Barmstedt. Neues Konzept in Barmstedt: Schüler sollen sich 20 Berufsausbildungen direkt in den Betrieben der Stadt und der Umgebung anschauen.
Die Gottfried-Semper-Schule in Barmstedt, mit etwa 1000 Schülerinnen und Schülern eine der größten Gemeinschaftsschulen im Kreis Pinneberg, will jetzt mit einer neuen Aktion ihre Schulabgänger mit dem Berufsleben konfrontieren. „Wir müssen unseren Schützlingen einen kleinen Schubs geben“, sagt Maren Nerlich, die an der Schule für Berufsorientierung zuständige Lehrerin.
Alle etwa 140 Schülerinnen und Schüler des neunten und zehnten Jahrgangs sind jetzt eingeladen, einen Vormittag bei etwa einem Dutzend Betrieben reinzuschnuppern.
Keine theoretische Ausbildungsmesse, sondern direkter Kontakt im Betrieb
„Azubi-Speed-Dating“ hat sie das Projekt genannt, das sie gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten Ulrike Cinieri und dem Handel-und Gewerbeverein (HGB) der Stadt Barmstedt am Donnerstag, 25. Januar, veranstaltet.
Statt die Ausbildungsbetriebe auf einer Art Ausbildungsmesse in Schule zu präsentieren, wie dies sonst üblich ist, sollen Schüler hier direkt vor Ort von den Firmenchefs erfahren, welche Berufe sie ausbilden, was sie dabei lernen könnten und wie sich darauf vorbereiten sollten.
Fachkräftemangel zeigt sich an Geschäftsaufgaben in Barmstedt
Der Fachkräftemangel und die Nachwuchssuche mache den Unternehmen auch in Barmstedt zu schaffen, sagt Fynn Dohrn vom HGB-Vorstand. „Wir haben im abgelaufenen Jahr drei unserer Mitglieder verloren, weil sie ihre Geschäfte aufgegeben haben“, sagt Dohrn und weiß: „Heute können sich die Jugendlichen ja meist aussuchen, ob und welche Lehrstelle sie ergreifen möchten.“
Das habe er jüngst erst selbst erfahren, als ihm eine Praktikantin ganz locker sagte, sie habe keinerlei Eile, sie werde auf jeden Fall bis zum Sommer einen Ausbildungsplatz für sich finden, berichtet der Versicherungskaufmann.
Viele Schülerinnen und Schüler sind noch völlig orientierungslos
Andererseits scheinen die Schülerinnen und Schüler aber durchaus noch allerhand Berührungsängste mit der Wirtschaft und dem Berufsleben zu haben, sagt Julia Dix-Kruse, die als Berufscoachin die Jugendlichen in der Gemeinschaftsschule betreut. „Viele Schüler warten noch ab und lassen vieles auf sich zukommen. Einige sind noch völlig orientierungslos“, hat sie festgestellt.
Ihre Praktika hätten sie oft in einer Art „Wohlfühlatmosphäre“ in der Firma von den Eltern, Verwandten oder Bekannten gemacht. „Das Berufsleben ist für viele Neuntklässler noch weit weg“ – auch wenn die Schulzeit in absehbarer Zeit zu Ende geht. Einige hätten regelrecht „Bammel“ davor, was sie nach der Schule beruflich machen sollten. „Sie müssen raus aus dieser Komfortzone und sich selbst etwas zutrauen“, rät Julia Dix-Kruse.
Berufscoachin: Die Jugendlichen müssen raus aus der Komfortzone
Darum soll diese „Azubi-Speed-Dating“-Aktion sie nun in direkten Kontakt mit den Betrieben, den dortigen Verhältnissen und Mitarbeitenden bringen, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte Ulrike Cinieri. Für sie sei diese Aktion auch eine gewünschte Hilfsmaßnahme, gerade Mädchen aufzuzeigen, welche Berufschancen sie hier vor ihrer Haustür haben.
„Sie kennen zwar die meisten Betriebe, wissen aber meist gar, was die genau machen oder anbieten.“ Gerade auch für Mädchen sei es wichtig, dass sie etwas lernten und beruflich für sich selber sorgen und auf eigenen Beinen könnten. Zudem wünsche sie sich, dass dieses „Speed-Dating“ möglicherweise vorhandenes „stereotypische Denken über Berufsbilder aufbricht“.
Etwa 20 verschiedene Berufszweige können die Jugendlichen kennenlernen
Und so können die Barmstedter Gemeinschaftsschüler bei diesem Speed-Dating rund 20 Berufe aus nächster Nähe kennenlernen. Von der Verwaltung im Rathaus über die Milchwirtschaft in der größten Meierei des Landes und der Energieversorgung der Stadtwerke bis zu Kaufleuten bei Versicherung und Sparkassen sei eine große Bandbreite dabei.
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Auch Handwerksbetriebe aus der Tischlerei und dem Sanitär- und Heizungsbereich seien ebenso vertreten wie die mobile häusliche Altenpflege. Für manche Schulabsolventen böte sich auch zunächst ein befristeter Bundesfreiwilligendienst an, schlägt Mike Steinhauer vom HGB-Vorstand den noch unschlüssigen Schülerinnen und Schülern vor.
Speed-Datin soll den „Horizont erweitern“
Das Speed-Dating werde auf jeden Fall „ihren Horizont“ erweitern, ist Berufscoach Julia Dix-Kruse überzeugt. „Es wird ihnen die Augen öffnen, was für Möglichkeiten sie hier direkt vor Ort haben.“ Und für die örtlichen Wirtschaftsbetriebe sei diese Aktion eine gute Gelegenheit, für sich Werbung zu machen, glaubt HGB-Vorstand Dohrn. „Das wird unsere hier ansässigen Betriebe stärken.“ Wir sind jedenfalls dankbar, dass die Stadt uns dabei unterstützt.“ Zwei Drittel der Firmen, die mitmachten, gehörten zu den 60 Mitgliedern des HGB.
Nach aktuellem Stand der Arbeitsagentur Elmshorn sind noch 256 Ausbildungsstellen im Kreis Pinneberg nicht besetzt. 109 Schulabgänger suchen noch die passende Lehrstelle für sich. Insgesamt standen im Sommer den 1287 Jugendlichen, die eine Ausbildung beginnen wollten, 1674 freie Lehrstellen zur Verfügung.