Kreis Pinneberg. Gefährdete Waldrappe aus Österreich sind irrtümlich nicht nach Süden, sondern nach Norden geflogen. Ein Tier hat nun Glück gehabt.
Große Aufregung um komische Vögel: Seit Tagen schwirren Meldungen über seltene verirrte Zugvögel durch die Medien. Und tatsächlich haben sich etliche Waldrappe auf ihrem Weg nach Süden verflogen – und zwar in Richtung Norden, inklusive Schleswig-Holstein, Dänemark und Schweden.
Deshalb sucht ein Waldrappteam aus Österreich, das sich um die Wiederansiedlung der Vögel in Europa kümmert, schon einige Tage lang geradezu fieberhaft nach den verschwundenen Tieren, denn die frostigen Temperaturen sind lebensbedrohlich für die gefährdete Ibis-Art. Ein Waldrapp hatte nun aber offenbar Glück, er hockt jetzt in Sicherheit im Kreis Pinneberg.
„Arietta“ heißt das augenscheinlich desorientierte Tier, das derzeit in der Wildtierstation im Kreis Pinneberg aufgepäppelt wird und durchaus noch ums Überleben kämpft. Das Glück des Vogels war, dass er mit einem Tracking-Sender ausgestattet ist. So konnte eine kleine Schar bis nach Jütland und Flensburg verfolgt werden. Dort wurde „Arietta“ nun von aufmerksamen Anwohnern eingefangen.
Waldrapp-Drama: Ein verirrter Vogel wird nun in Pinneberg aufgepäppelt
Hintergrund des Waldrapp-Dramas ist, dass die jungen Tiere aus Österreich statt in ihr Winterquartier im Süden in die komplett falsche Richtung geflogen sind. Statt in Italien landeten die seltenen Vögel von Salzburg aus im eisigen Norden, und zwar in Schweden, Dänemark und auch in Schleswig-Holstein. Das Problem: Bei dieser Witterung finden die gefährdeten Tiere keine Nahrung, Eis und Schnee sind ein Todesurteil.
Christian Erdmann, Leiter der Wildtierstation im Kreis Pinneberg, bot dem Waldrapp-Team aus Österreich deshalb seine Unterstützung bei der Erstversorgung und Unterbringung der Tiere an. Nun hockt zumindest ein Vogel bei ihm. Der eingefangene Waldrapp konnte zuerst im Tierheim Flensburg untergebracht werden. Tierpflegerin Sina Schröder vom Wildtier- und Artenschutzzentrum im Kreis Pinneberg brachte den seltenen Gast nun nach Sparrieshoop.
Waldrapp „Arietta“ wiegt viel weniger als sie sollte
Waldrapp „Arietta“ sei allerdings sehr dünn und hat erst mal eine Magensonde mit Elektrolyten bekommen, erklärt Stationsleiter Christian Erdmann. Nach anfänglichem Zögern fraß sie zwar auch Mehlwürmer. Über den Berg sei sie aber noch nicht, bangt Erdmann. „Wir stehen in engem Kontakt mit dem Waldrappteam in Österreich.“
Aktuell wiege der Vogel nur 860 Gramm, 900 Gramm seien eigentlich das Minimum für die gar nicht so kleinen Tiere. Warum eine ganze Gruppe nun die falsche Richtung beim Zug nach Süden eingeschlagen habe, sei noch unklar. Die entsprechende Route erlernen Waldrappe von ihren Eltern oder Altvögeln. Dieses Mal habe es offenbar nicht funktioniert.
Warum sich die Waldrappe verirrt haben, ist noch unklar
Johannes Fritz, Leiter des Waldrapp-Teams, erklärte schon zuvor in der „Zeit“: „Was wir wissen, ist, dass die Vögel zielstrebig, gut orientiert und geradlinig losgeflogen sind – allerdings in die falsche Richtung“. Mehr als 30 junge Waldrappe seien in Richtung Norden gestartet, 23 von ihnen quer durch Deutschland geflogen, wie die GPS-Daten verrieten. Ein Vogel, der inzwischen ebenfalls geortete Waldrapp „Satus“, sei sogar über die Ostsee bis nach Jönköping in Schweden geflogen.
Der Waldrapp ist etwa gänsegroßer Zugvogel aus der Familie der Ibisse. Er war bis ins 17. Jahrhundert auch in Mitteleuropa heimisch, bevor er dort wegen exzessiver Bejagung verschwand. In einem ersten Projekt von 2014 bis 2019 wurde in den Alpen eine migrierende Population von Waldrappen wieder angesiedelt. Dennoch wird der Vogel auf der Roten Liste gefährdeter Arten aktuell in der Gefährdungskategorie stark gefährdet gelistet.
Vögel sind vom Aussterben bedroht - so viele gibt es noch
2019 lebten 142 Tiere in drei Brutkolonien nördlich der Alpen mit einem gemeinsamen Überwinterungsgebiet in der Toskana. Während der Schutzbemühungen konnten mit einer umfangreichen Kampagne die Verluste durch illegale Vogeljagd in Italien fast halbiert werden. Die Projektziele wurden zwar erreicht, doch Modellierungen zeigen, dass eine Population dieser Größe noch nicht selbständig überlebensfähig ist.
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Aus diesem Grund wurde ein weiterer Förderantrag gestellt. Für den Förderzeitraum von 2022 bis 2028 kommen 60 Prozent des Budgets aus dem EU-Haushalt, die restlichen 40 Prozent werden durch Partner und Ko-Finanzierer aufgebracht, dem Waldrapp-Schutzprojekt zugute. Zielsetzung ist der weitere Aufbau der Population, bis sie entsprechend den Modellierungen selbständig überlebensfähig ist.
Das Projekt wird von zehn Partnern aus vier Ländern umgesetzt, unter Leitung des Tiergartens Schönbrunn in Wien und mit Beteiligung des Förderverein Waldrappteam. Maßnahmen sind in Österreich, Deutschland, Italien und der Schweiz geplant.