Rellingen. Wenn sich das Nervensystem schwer entzündet: Jose Perez will anderen MS-Kranken Halt geben und gründet Selbsthilfegruppe in Rellingen
Jose Perez bekam 2019 die Diagnose Multiple Sklerose. Heute sitzt er im Rollstuhl. „Ich habe den schwersten Verlauf“, sagt der 60-Jährige, der sein Leben lang sportlich aktiv war. Eine Heilung gibt es nicht, der Leidensdruck ist groß. „Für Betroffene ist der Austausch mit anderen Betroffenen extrem wichtig“, sagt der gebürtige Uetersener mit spanischen Wurzeln. Darum gründet er eine MS-Selbsthilfegruppe. Die trifft sich ab 12. Oktober regelmäßig jeden zweiten und vierten Donnerstag im Monat in der DRK-Begegnungsstätte in Rellingen.
Die Krankheit brach plötzlich aus. „Meine linke Seite war auf einmal gelähmt“, sagt Perez. Er führte zu dem Zeitpunkt in Elmshorn ein Unternehmen für Lagerlogistik und technische Dienstleistungen mit 500 Mitarbeitern, trieb eine Stunde Sport am Tag, spielte aktiv Fußball bei TuRa Harksheide und war früher Leistungssportler in Leichtathletik. Der erste Verdacht – ein Schlaganfall – bestätigte sich nicht.
Multiple Sklerose: Es gibt kein einheitliches Krankheitsbild
Mithilfe einer Magnetresonanztomografie, kurz MRT, suchten die Ärzte nach krankhaften Veränderungen im Körper. Bei einer Lumbalpunktion wurde Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit entnommen. Die Diagnose: Multiple Sklerose, eine autoimmune, chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. „Ich wusste nicht, was ich mit der Diagnose anfangen sollte“, sagt Perez. Er googelt zunächst Multiple Sklerose, liest alles, was er zu dem Thema finden kann.
Die Vielzahl an teils widersprüchlichen Informationen verwirrt ihn. Die Krankheit lässt noch viele Fragen unbeantwortet und ist in Verlauf, Beschwerdebild und Therapieerfolg von Patient zu Patient so unterschiedlich. Aus diesem Grund ist MS auch als „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ bekannt.
Multiple Sklerose verläuft nicht zwangsläufig tödlich
Einige Menschen sind nur temporär betroffen, andere hangeln sich von Katastrophe zu Katastrophe, so wie Perez. Obwohl zu Multiple Sklerose viel geforscht wird, zum Beispiel an der Uniklinik Eppendorf, sei noch nicht klar, was der Ursprung und Auslöser seien, so Perez. Es könne grundsätzlich jeden treffen, junge Frauen, Jugendliche, ältere Männer.
Klar ist: „Multiple Sklerose ist nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, kein Muskelschwund und keine psychische Erkrankung. Auch die häufig verbreiteten Vorurteile, dass MS in jedem Fall zu einem Leben im Rollstuhl führt, sind so nicht richtig.“ So schreibt es die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) auf ihrer Seite. Sie geht von 280.000 Betroffenen in Deutschland aus.
Jose Perez: „Die Krankheit zerlegt einen von innen“
„Bei mir brennt die Zündschnur vor sich her“, sagt Perez. Äußerlich ist ihm die Krankheit nicht anzusehen, aber er hat dauerhaft Schmerzen. Die Nerven schwellen an, die Myelinschicht um die Nerven löst sich auf. „Es fühlt sich an wie starke Zahnschmerzen – am ganzen Körper“, beschreibt Perez, der in Rellingen lebt. „Die Krankheit zerlegt einen von innen.“ Aufgrund von Medikamentenunverträglichkeiten kann er keine Schmerzmittel nehmen. Multiple Sklerose zieht oft noch andere andere chronische Erkrankungen nach sich. Perez leidet unter anderem an einer Herzinsuffizienz.
„MS verändert nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern auch der Angehörigen“, sagt der vierfache Vater. Seine Kinder, das jüngste ist 15 Jahre alt, trifft der körperliche Verfall ihres einst so starken Papas besonders hart. „Die Krankheit ist schrecklich. Weder Betroffene noch Ärzte, noch Therapeuten, noch Angehörige können verstehen, was passiert. Es passiert und man schaut zu wie in einem schlechten Film“, sagt Perez, der einen großen Verwandten- und Bekanntenkreis hat.
„Wenn eine Tretmine nach der anderen hochgeht, können die aber auch nicht helfen.“ Durch die Erkrankung fühlten sich viele Betroffene nicht mehr vollwertig und würden sich zurückziehen. Darum sei es so wichtig, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.
Selbsthilfegruppe trifft sich in DRK-Begegnungsstätte in Rellingen
„Alles, was in der Gruppe besprochen wird, bleibt in der Gruppe“, sagt Perez, der in Elmshorn ehrenamtlich als Beauftragter für Menschen mit Behinderung tätig ist. Respekt und Wertschätzung seien wichtig. Der Austausch soll emotional entlasten, und die Mitglieder sollen sich gegenseitig zu einem aktiven Leben motivieren.
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Primär geht es um praktische Dinge des Alltags, wie Hilfsmittelversorgung, Beratungsleistungen, Antragstellungen, medizinische Neuheiten und alternative Versorgungsleistungen. Aber auch der gesellige Faktor spielt eine sehr wichtige Rolle. Jeder darf Ideen, Vorschläge, Aktivitäten einbringen.
Selbsthilfegruppe soll Erkrankte stützen
In der Selbsthilfegruppe sollen Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl wieder gestärkt werden. Die MS-Gruppe, die immer den zweiten und vierten Donnerstag im Monat von 15 Uhr an am Rosenkamp 21 in Rellingen zusammenkommt, soll einen geschützten Raum bieten. Anmeldungen sind telefonisch unter 04101/553186 oder per Mail an bgst@drk-kreis-pinneberg.de möglich.
„Die Räume in der neuen DRK-Begegnungsstätte sind barrierefrei und auch mit Rollstuhl gut zu erreichen“, sagt Kerstin Kreuzhage. Die Diplompädagogin und Psychoonkologin leitet die Zentrale Kontaktstelle für Selbsthilfe im Kreis Pinneberg. Sie unterstützt Jose Perez bei der Gründung der neuen MS-Gruppe. Im Kreis gibt es damit vier: in Schenefeld, Pinneberg, Elmshorn und nun auch in Rellingen. Der Bedarf ist da.