Kreis Pinneberg. Pinneberger Schulräte sehen große Defizite bei deutschen Schülerinnen und Schülern. Was andere Länder wie Kanada besser machen.

Die Schulaufsicht über die 72 Schulen mit ihren 13.000 Schülerinnen und Schülern im Kreis Pinneberg ist wieder komplett. Mit Siegfried Hesse hat Schulrat Dirk Janssen endlich wieder einen Kollegen an der Seite in der Kreisbehörde, nachdem Anja Soeth ins Bildungsministerium gewechselt ist und er sieben Monate lang allein verantwortlich war. Ohne Unterstützung seien aber die vielen Herausforderungen in der Schulpolitik kaum zu schaffen, betont Schulrat Janssen.

Die Aufgabenstellung ist schwierig genug: Die deutschen Kinder sind im internationalen Vergleich weit abgeschlagen, was das Lesen Lernen betrifft. Der durch die Corona-Schulschließungen forcierte Absentismus, das Schulschwänzen, steigt weiter und müsse wieder in den Griff bekommen werden. Und ein fester Grundwortschatz, aus dem sich Rechtschreibregeln gut ableiten ließen und den alle Grundschüler bis zu vierten Klasse zu erlernen haben, soll jetzt helfen, die zunehmende Rechtschreibschwäche zu beseitigen.

Deutsche Schüler lesen eine Stunde pro Woche weniger als Schüler anderer Länder

All das werde jetzt mit festen Daten unterlegt, die regelmäßig von allen Schulen im Kreis erhoben werden. „Damit wollen wir mögliche Ursachen und eine Entwicklung erkennen, ob es sich nur um einen Ausrutscher oder einen klaren Trend handelt“, erklärt Schulrat Hesse, der zuvor zehn Jahre lang eine Gemeinschaftsschule in Norderstedt geleitet hat.

Wollen den Lehrern und Schulen sowie den Schülerinnen und Schülern die Arbeit erleichtern: die Schulräte Dirk Janssen (links) und Siegfried Hesse.
Wollen den Lehrern und Schulen sowie den Schülerinnen und Schülern die Arbeit erleichtern: die Schulräte Dirk Janssen (links) und Siegfried Hesse. © Burkhard Fuchs

„Wir wollen weg davon, nur zu sagen, ‚wir arbeiten gefühlt richtig‘“, erläutert Kollege Janssen. Es gehe hin zu einer auf festen Daten und Ergebnissen basierten Analyse des aktuellen Leistungsstandes der Schüler, was gut laufe und was besser gemacht werden könnte, um die Lehrer zu entlasten und den Schülerinnen zu helfen.

Kanadische Schulen sind Vorbild – da greifen Hilfsmaßnahmen sofort

Vorbild sei dabei das Schulsystem in Kanada. Dort sei bereits eine Struktur geschaffen worden, die regelmäßig in festen Abständen die schulische Entwicklung der Schülerinnen und Schüler abfrage und festhalte. Sollten sich dabei Defizite ergeben, was das Lesen, Schreiben oder Rechnen angeht, würden sofort vorher festgelegte Hilfsangebote greifen, die die betroffenen Schüler auffangen und sie unterstützen sollen.

Soweit sei es hier noch lange nicht, sagt Janssen. „Aber dieser fast automatisch greifende Anspruch auf Förderung ist der richtige Weg zu einem besseren Schulsystem.“

Auch hochbegabte Schülerinnen und Schüler sollen gezielter gefördert werden

Das solle nicht nur die Schüler unterstützen, die Schwierigkeiten in der Schule, mit dem Unterricht oder Lernen haben. Es gehe nicht nur darum, bestimmte Mindestanforderungen des Lernniveaus zu erreichen, ergänzt Schulrat Hesse. Auch hochbegabte Schülerinnen sollen mit Hilfe einer besseren und regelmäßig aktualisierten Datenbasis gezielter und individueller gefördert werden.

Die Ergebnisse in den jeweiligen Schulen würden mit der Schulaufsicht diskutiert und beraten und mit neuen Förderprojekten bestückt, die wiederum nach ihrer Umsetzung stetig daraufhin untersucht werden, ob sie wirklich hilfreich und nützlich seien.

Schulräte: Lesen ist die Schlüsselkompetenz zum Wissenserwerb

„Inhaltlich ist das Lesenlernen klarer Schwerpunkt unserer Arbeit“, betont Schulrat Janssen. Während in Deutschland die Kinder nur noch 141 Minuten in der Woche in und für die Schule lesen würden, also etwa 20 Minuten am Tag, seien es nach einer OECD-Studie in anderen Ländern weit mehr als 200 Minuten in der Woche, also eine ganze Stunde mehr als in Deutschland. „Lesen ist aber elementar wichtig für die Schülerinnen und Schüler. Es ist die Schlüsselkompetenz zum Erwerb von Wissen“, erklären die Schulräte.

Darum haben sie mit den Grundschulen vereinbart, dass nun zum neuen Schuljahr sogenannte Lesebänder eingeführt werden. Das bedeutet, dass zu einer bestimmten Zeit alle Klassen jeden Tag 20 Minuten lesen sollen – egal ob in Deutsch, Rechnen oder Sachkunde. „Das gilt Fächer übergreifend“, erklärt Schulrat Hesse. „So wollen wir das Lesen Lernen stärken.“ Das Konzept sei an Hamburger Schulen schon sehr erfolgreich umgesetzt worden. Kinder, denen Eltern zu Hause vorgelesen haben, seien im Vorteil.

Mindestwortschatz soll das richtige Schreiben besser erklären und fördern

Für die bessere Rechtschreibung wird jetzt ein Mindestwortschatz vorausgesetzt, der bis zur vierten Klasse in allen Grundschulen zu lernen ist. Hierzu stellte die Iglu-Studie fest, an der 400.000 Kinder in 65 Staaten und 4611 Schülerinnen und Schüler aus 252 Klassen in Deutschland teilnahmen: „Im Kompetenzbereich Orthografie fallen die Ergebnisse bundesweit am schlechtesten aus. 30,4 Prozent verfehlen die Mindeststandards, nur 44,4 Prozent erreichen die Regelstandards.“

Die Spannweite zwischen den Ländern sei hier enorm: „In Berlin und Brandenburg verfehlt fast jedes zweite Kind die Mindeststandards (46,1 Prozent), in Bayern sind es ‚nur‘ 20,5 Prozent.“

Auch die Sprachförderung ist ein Schwerpunkt in den Grundschulen

Dazu hat das Bildungsministerium jetzt unter dem Titel: „Ebbe, Krabbe, Flut und Seepferdchen“ einen Grundwortschatz erstellt, der den Kindern gut erklärt, wann es das Dehnungs-h oder Doppelkonsonanten in einem Wort gibt und sie durch Mehrzahlbildung leicht herausfinden können, ob ein Wort mit d oder t endet. „Anhand der Wörtersammlung erwerben Schülerinnen und Schüler Rechtschreib-Strategien, erlangen Rechtschreibbewusstheit und vermehrt auch Rechtschreibsicherheit“, begründet Bildungsministerin Karin Prien dieses Konzept, die ja ihren Wahlkreis im Kreis Pinneberg hat.

Aber nicht nur das richtige Schreiben, auch das flüssige Sprechen ist im Fokus der beiden Schulräte. Dazu gehöre, dass Kinder mit ungünstigen Lernvoraussetzungen und Migrationshintergrund schon vor Eintritt in die Schulen gezielter gefördert werden. „Bereits in der Kita müssen wir insbesondere den Erwerb und die Förderung von Deutsch als Bildungssprache und Vorläuferfähigkeiten im Bereich Mathematik in den Blick nehmen“, sagt Bildungsministerin Prien dazu.

Der Übergang von der Grundschule auf weiterführende soll leichter werden

Gemeinsames Ziel aller sei es, den Schülerinnen und Schülern den Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen zu erleichtern, betont Schulrat Janssen. Mit der regelmäßigen Abfrage des Datenblatts und der Ergebnisse sowie der Schwerpunktbildung für die Lese- und Rechtschreibförderung solle dies künftig besser gelingen.

Die Schulaufsicht sieht sich dabei als wichtiger Berater der Schulen, die durchaus eigene Ideen und Konzepte umsetzen sollten, von denen dann andere lernen und diese übernehmen könnten. Solche „Experimentierklauseln“ habe Ministerin Prien ausdrücklich begrüßt.

Frühzeitig reagieren und gegensteuern, wenn Kinder plötzlich fehlen

Zur Eindämmung des Schulschwänzens müssten zudem in den Schulen Alarmierungsketten installiert werden, die sofort und beinahe automatisch in Gang gesetzt werden, sobald ein Kind morgens fehlt, betont Janssen.

Auch vorherige Warnsignale, die darauf hindeuteten, sollten früher erkennbar sein und mit Hilfe von pädagogischen und psychologischen Hilfsmaßnahmen frühzeitig aufgefangen werden. Zudem sollte frühzeitig der Kontrakt zu den Eltern gesucht werden. Auch dieser Absentismus werde nun systematisch von allen Schulen registriert. „Das gilt auch für entschuldigtes Fehlen“, betont Schulrat Janssen. s