Pinneberg. Nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien sammelt ein Autofolierer Spenden. Auch ein TikTok-Influencer half kräftig mit.

Als die ersten schrecklichen Bilder des verheerenden Erdbebens in der Türkei und Syrien um die Welt gingen, war eines für die Pinneberger Mert Can Erdagi (23) und seinen Kumpel Mehmet Yildirim (22) klar. Sie wollen den Opfern helfen – und das so schnell wie möglich. Seit dem Erdbeben kommen sie nicht mehr dazu, ihrem üblichen Job nachzugehen.

In der Haderslebener Straße betreibt Erdagi ein Aufbereitungsunternehmen für Autos. Normalerweise werden dort Autoscheiben foliert, getönt oder aber der Motor bekommt mehr Power durch ein Chip-Tuning. Doch kurzerhand wurde die Halle leergeräumt und Sachspenden gesammelt, die nun per Lkw in die Krisenregionen im Südosten der Türkei nach Ardana, Urfa, Gaziantep unterwegs sind. Selbst ein Ferrari musste weichen, weil Statussymbole in der Not keine Rolle spielen.

Erdbeben in Türkei: Pinneberger sammeln Spenden – sogar Ferrari muss weichen

Mittlerweile steht auch der Ferrari wieder an seinem Platz. Aus Platzgründen waren alle Fahrzeuge aus der Halle in Pinneberg gefahren worden.
Mittlerweile steht auch der Ferrari wieder an seinem Platz. Aus Platzgründen waren alle Fahrzeuge aus der Halle in Pinneberg gefahren worden. © Frederik Büll

Und die beiden Pinneberger haben in wenigen Tage jede Menge Unterstützung erhalten. „Zwei Lastwagen sind auf dem Weg in die Türkei. Ein 7,5-Tonner und ein 40-Tonner. Gefüllt unter anderem mit Klamotten, Decken, Babynahrung, Pampers und Powerbanks“, sagt Erdagi. Auch Bohrmaschinen oder vier Generatoren für die Stromerzeugung sind auf die Reise gegangen.

Der kleinere Lastwagen ist um 22.30 Uhr am vergangenen Mittwoch gestartet, der andere am Donnerstagmorgen um 8 Uhr. Die Lastwagen kamen aus dem polnischen Warschau. Selbst organisiert. Auch, weil eine Hamburger Spedition 20.000 Euro netto für die Tour verlangt habe, wollte Edagi es lieber auf eigene Faust – und mit einem großen Netzwerk – selbst probieren.

Mehmet Yildirim ist auf Tiktok als „abiregelt“ unterwegs

Sein Kumpel Yildirim ist im sozialen Netzwerk TikTok unter dem Pseudonym „abiregelt“ unterwegs – üblicherweise versteht er sich dort als Entertainer und erreicht mit seinen kurzweiligen Clips knapp 122.000 Follower. Insgesamt haben seine Videos 5,8 Millionen Likes gesammelt. Er nutzte seine Reichweite diesmal für den guten Zweck.

„Wir standen hier bis drei Uhr nachts und haben Spenden gesammelt, innerhalb von 24 Stunden war hier alles schon sehr gut gefüllt“, sagt Yildirim. Die beiden sind auch Nachbarn und kennen sich seit Kindheitstagen. Als Geschäftspartner möchten sie sich weitsichtig auch mit den Themen Wasserstoff und Motoren beschäftigen.

Yildirims Familie stammt aus dem türkischen Konya

Beide haben auch türkische Wurzeln. Yildirims Familie stammt aus Konya, gut 500 Kilometer vom Epizentrum in der Provinz Kahramanmaras nahe des türkisch-syrischen Grenzgebiets entfernt.

Der Großteil von Erdagis Familie kommt aus dem weit entfernten Istanbul, allerdings: „Einige wohnen auch in Urfa, ihnen ist Gott sei Dank nichts passiert, aber alles ist zerstört. Sie sind obdachlos und leben jetzt auf der Straße“, erzählt er. Für sie ist es eine moralische Verpflichtung, ihren Landsleuten zu helfen.

Spenden-Aktion in Pinneberg: Zuletzt gab es nur noch „ein bis zwei Stunden“ Schlaf

Viel geschlafen habe er in den vergangenen Tagen nicht. Meist so „ein bis zwei Stunden“. In den vergangenen Tagen wuselte ein Helferteam von bis zu 50 Personen auf dem Firmengelände herum, um gut 600 Kartons zu packen. Dabei musste – leider Gottes – auch jede Menge Müll oder Unnötiges aussortiert werden.

Die Kartons mit den Spenden für die Türkei verteilten sich auch über das Firmengelände in Pinneberg.
Die Kartons mit den Spenden für die Türkei verteilten sich auch über das Firmengelände in Pinneberg. © Privat | Privat

„Ich möchte den Leuten auch keinen Vorwurf machen. Es steckte bestimmt gute Absicht dahinter. Aber wozu brauchen Frauen in einem Katastrophengebiet zum Beispiel High Heels?“, so der Pinneberger.

Auch ausrangierte Unterhosen mit mysteriösen Verfärbungen waren unter den Spenden. Am Donnerstagnachmittag türmte sich noch jede Menge Müll auf dem Gelände – um die Entsorgung muss er sich nun selbst kümmern.

Der Pinneberger Firmeninhaber ist stolz auf das 50-köpfige internationale Team

Erdagi zuckt mit den Schultern. Das sei nicht wichtig. Wichtig ist, dass die Transporte ankommen, um den Menschen in den zerstörten Gebieten ein wenig Linderung ihres Leids bieten zu können.

„Die nötigen Unterlagen sind alle da. Der türkische Katastrophenschutz Afad koordiniert die Hilfe. Darüber läuft unserer Transport. Aus Pinneberg selbst starten heute noch fünf, sechs weitere Lastwagen, diese Hilfslieferungen werden von anderen hier organisiert“, erzählt der Firmen-Inhaber am Donnerstag.

Was ihn bei der Aktion ebenfalls sehr gefreut hat: „Es haben nicht nur Türken mitgeholfen, sondern ganz viele Nationalitäten waren dabei. Zum Beispiel Deutsche, Polen, Ukrainer, Russen, Kurden. Das zeigt mir, dass es halt auch so funktionieren kann, wenn man sich verbunden fühlt“

Aktuell werden keine Sachspenden mehr für die Türkei angenommen

Aktuell werden keine Sachspenden mehr angenommen, es wird die Möglichkeit von Paypal-Konten geprüft, um Geld in die vom Erdbeben betroffenen Regionen zu schicken. Er selbst möchte auch noch so schnell wie möglich in die Krisenregion reisen, um zu helfen. In der Zeit übernimmt dann sein Kumpel die Firma.

Kurz vor der Abfahrt in die Türkei. Die Helfer aus Pinneberg posieren vor den beiden Lkw.
Kurz vor der Abfahrt in die Türkei. Die Helfer aus Pinneberg posieren vor den beiden Lkw. © Privat

Und Erdagi ist auf der Suche nach Experten. „Leute, die bei der Feuerwehr sind, als Ärzte arbeiten oder eine Sanitätsausbildung haben, sich im Pflegebereich auskennen und an Schaufelbaggern ausgebildet sind, können sich gern mit mir in Verbindung setzen. Das würde ich dann an die entsprechenden Stellen weiterleiten“, sagt er. Auch Personen oder Firmen, die sein Anliegen finanziell unterstützen mögen, sind herzlich willkommen. Am besten sollten alle potenziellen Unterstützer einfach zu Premium Car Design an die Haderslebener Straße 1f kommen.

Hilfe für Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien: DRK Elmshorn sammelt

Beispiele für die große Hilfsbereitschaft im Kreis Pinneberg gibt es einige. Auch das DRK Elmshorn etwa sammelt Spenden. Neben telefonischen und persönlichen Anfragen vor Ort kämen viele Elmshorner mit ihren Sach- und Kleiderspenden direkt in die Gärtnerstraße 12. „Das ist wirklich rührend“, sagt der Vorsitzende des DRK-Ortsvereins, Alexander Dittmer.

Aber es sei wichtig, die Bevölkerung darüber zu informieren, dass gut gemeint nicht immer gut gemacht ist: „Dringend benötigte Logistik- und Hilfsstrukturen können blockiert werden, wenn jeder seinen privaten Hilfskonvoi oder seine individuelle Spendenaktion ins Leben ruft.“

DRK bittet darum, sich an bekannte Hilfsorganisationen zu wenden

Nicht abgestimmte Hilfslieferungen füllen Lagerhäuser und binden Transport- und Sortierkapazitäten. So könne aus vermeintlicher Hilfe eine Behinderung der humanitären Arbeit vor Ort werden. Besser sei es, sich einer der bekannten Hilfsorganisationen anzuschließen.

Die DRK-Verantwortlichen arbeiten derzeit unter Hochdruck. Sie stimmen sich mit den Schwestergesellschaften vor Ort und den Partnern der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung ab. Erste koordinierte Hilfstransporte des DRK starteten am Freitag per Flugzeug und Lkw-Konvoi Richtung Türkei.

Erdbeben in der Türkei: „Geldspenden sind deutlich effektiver“

Dittmer erklärt: „Geldspenden sind zum jetzigen Zeitpunkt deutlich effektiver als Sachspenden.“ Die Organisationen könnten sich dann vor Ort an veränderte Verhältnisse anpassen und direkt auf die Bedarfslagen in den betroffenen Gebieten eingehen.

Wer das DRK unterstützen möchte, kann das unter dem Stichwort „Nothilfe Erdbeben Türkei und Syrien“
(IBAN: DE63 3702 0500 0005 0233 07, BIC: BFSWDE33XXX) machen. Anfragen von Unternehmen zu Spenden oder Kooperation können an gerichtet werden. Informationen gibt es unter www.drk.de.