Wedel/Itzehoe. Polizisten berichten vor dem Landgericht in Itzehoe, warum sie nach einer Bluttat in Wedel zunächst andere Schlüsse zogen.
Als Oberkommissarin Kerstin W. und ihr Streifenkollege Henrik W. am 22. Mai 2022 als erste Beamte am Tatort in der Rudolf-Breitscheid-Straße in Wedel eintreffen, ist die Lage unübersichtlich. Gemeldet ist eine Körperverletzung mit einem Messer. „Es war alles total wirr, wir haben das erst später richtig verstanden“, so die Polizistin am Montag vor dem Landgericht Itzehoe. Dort sitzt Bülent O. (42) wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung auf der Anklagebank. Ihn hatten die Beamten vor dem Einfamilienhaus auch angetroffen – und irrtümlich für das Opfer der Attacke gehalten.
Wedel: Messerattacke wird vor dem Landgericht verhandelt
Warum zunächst Täter und Opfer verwechselt wurden, wollen die Richter von den Beamten wissen. „Als wir dort eintrafen, stand der jetzige Beschuldigte am Straßenrand, hatte ein Handtuch um die Hand gewickelt“, berichtet Polizist Henrik W. (34). Bülent O. habe berichtet, er sei von seinem Mitbewohner mit einem Messer attackiert worden. „Wir sind daher zunächst davon ausgegangen, dass er der Geschädigte ist.“ Sie hätten danach das Gebäude erfolglos nach dem möglichen Täter durchsucht, ehe ein Bekannter des möglichen Opfers geäußert habe, dieser sei weggelaufen.
Kerstin W. betrat auch die Wohnung im Keller des Einfamilienhauses, das in mehrere Wohneinheiten aufgeteilt worden war. „Überall waren Blutspuren, auch an der Wand. Vor einer Tür lag ein Messer, das war ziemlich blutig.“ Sie habe gemeinsam mit einem weiteren Kollegen oberflächlich nach einem Ausweisdokument der geflüchteten Person gesucht und dafür die Räume betreten. Alle bis auf einen. Er gehörte dem eigentlichen Opfer Hüseyin D. (30), der inzwischen von einem Freund zur Behandlung ins Krankenhaus Rissen gebracht worden war.
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Wie das Opfer der Messerattacke zum Täter wurde
„Wir haben dann von der Leitstelle mitgeteilt bekommen, dass eine Person mit einer schweren Messerverletzung am Hals im Krankenhaus behandelt wird“, berichtet Henrik W. Er sei daraufhin sofort in die Klinik gefahren und war mit bei Hüseyin D. im Behandlungsraum. „Er war nicht auf der Schwelle des Todes, aber gut sah anders aus.“ Er sei auch später bei dem Weitertransport des Mannes in ein Hamburger Krankenhaus dabeigewesen und habe dessen Handy sichergestellt. „Er sprach nur Türkisch. Wir haben uns dann entschlossen, ihn nicht mit Google Übersetzer zum Tathergang zu befragen.“
Bülent O., der sehr gut Deutsch spricht, wurde dann von Lasse B. vom Kriminaldauerdienst zu den Geschehnissen befragt – und gab dort jene Version zu Protokoll, die er auch vor Gericht wiederholte. Er sei mit Hüseyin D. wegen der nicht erfolgten Reinigung des Badezimmers in Streit geraten und habe gedroht, ihm den Zugang zu dem Sanitärraum zu verweigern. „Er soll zuvor mehrfach seinen häuslichen Pflichten nicht nachgekommen sein“, erinnert sich der Kriminalbeamte.
Wedel: Prozess um Messerattacke – Wer ist Täter?
Bülent O. habe weiter angegeben, dass Hüseyin D. durchgedreht sei, als er mit dem Verschließen des Badezimmers gedroht habe. Dieser sei in sein Zimmer gelaufen, mit einem Messer zurückgekommen und habe ihn angegriffen. Er habe die Attacke abwehren können und sei in sein Zimmer geflüchtet. Als er dieses etwas später verlassen wollte, habe sich der Kontrahent im Flur erneut mit dem Messer auf ihn gestürzt. Es sei zu einem Gerangel gekommen, in dessen Verlauf er sich beim Abwehr eines Stichs an der Hand verletzt habe. Im Verlauf sei dann das Messer versehentlich an den Hals des Kontrahenten gelangt.
Zu Beginn glaubten die Ermittler diese Version. Später, als auch Hüseyin D. vernommen worden war und erste Untersuchungsergebnisse eintrafen, kamen ihnen Zweifel. Inzwischen wird laut der Anklage davon ausgegangen, dass Bülent O. – er sitzt seit Ende Mai in Untersuchungshaft – das Messer holte und auf den Kontrahenten einwirkte.
Die Schwurgerichtskammer hat noch zwei weitere Prozesstage angesetzt, um die Bluttat rekonstruieren zu können. Auch das Gutachten der Rechtsmedizin zu den Verletzungen steht noch aus.