Kreis Pinneberg. Kreis Pinneberg zieht äußerst positive Bilanz des günstigen Nahverkehrstickets: “Genau das, was wir erreichen wollten.“

Mit attraktiven, preisgünstigen und vor allem äußerst einfach zugänglichen Angeboten kann die Mobilitätswende gelingen. Das hat die dreimonatige Praxis-Erfahrung des 9-Euro-Tickets gezeigt, das allein im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) rund 1,9 Millionen Fahrgäste im Monat genutzt haben.

9-Euro-Ticket wurde vor allem im Hamburger Umland genutzt

Den größten Effekt erzielte das preislich stark vergünstigte Regionalbahnticket im Hamburger Umland: 200.000 Menschen, die vorher kaum mit dem Bus und der Bahn gefahren waren, konnten von Juni bis August plötzlich zum Einsteigen in den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bewegt werden. Das entsprach mehr als jedem vierten 9-Euro-Ticket-Fahrgast in den Hamburger Randkreisen.

In Hamburg waren das nur 120.000 ÖPNV-unerfahrene Menschen, elf Prozent der Nutzer. Und vor allem sind mehr Autofahrer im Umland in den ÖPNV umgestiegen: Jeder siebte Fahrgast im Kreis Pinneberg wäre sonst mit dem Auto gefahren, in Hamburg traf das auf etwa jeden zehnten zu. „Das ist ein überraschend gutes Ergebnis der Fahrverlagerungen“, sagt Claudius Mozer von der Südholstein Verkehrsservicegesellschaft, die den Linienbusverkehr in den Kreisen Pinneberg, Segeberg und Dithmarschen strategisch plant und lenkt. „Genau, was wir erreichen wollen: Dass mehr Menschen vom Pkw in das Gesamtsystem ÖPNV umsteigen.“

Nutzung des Nahverkehrs übertraf sogar das Vor-Corona-Niveau

Insgesamt sind es im Umland sogar 17 Prozent gewesen, die von anderen Verkehrsmitteln (Pkw, Fahrrad, sonstige) in Busse und Bahnen umgestiegen sind. In Hamburg waren es zwölf Prozent. „Dies entspricht einer Einsparung von sechs Millionen Pkw-Fahrten pro Aktionsmonat. Die CO-Einsparung durch das 9-Euro-Ticket lag bei monatlich 20.000 bis 25.000 Tonnen“, so die Bilanz des HVV.

Mehr als die Hälfte aller 9-Euro-Ticket-Besitzer gab an, sein Auto seit dem 1. Juni seltener genutzt zu haben. Das Auto stehen zu lassen, war auch für jeden dritten im Hamburger Umland der Hauptgrund, das 9-Euro-Ticket zu kaufen. Für zwei Drittel war der günstige Fahrpreis entscheidend. Denn 78 Prozent aller Nutzer stiegen in diesen drei Monaten von teureren Abo-Fahrkarten auf das 9-Euro-Ticket um. Es löste fünf Prozent zusätzliche Bahn- und Busfahrten aus. Das führte dazu, dass im gesamten HVV-Gebiet das Vor-Corona-Niveau von 2019 bei der Anzahl der Fahrgäste um fünf Prozent übertroffen werden konnte.

9-Euro-Ticket bewegte viele Menschen zum Umdenken

All diese Erkenntnisse sind völlig neu und dürften dem ÖPNV einen weiteren Schub geben, sagt Mozer, Chefplaner im Kreis Pinneberg. „Das war ein einzigartiges Experiment, das so vorher noch nicht ausprobiert wurde“, sagt Mozer. Es sei eine Art bundesweite „Labor-Situation“ gewesen, die überraschend viele Menschen zu einem spontanen Umdenken und Verändern ihres Mobilitätsverhaltens bewegt hat. Mozer: „Die Fachwelt hatte zuvor geglaubt, dass der Fahrpreis dabei nur eine geringe Rolle spielt.“

Claudius Mozer ist Nahverkehrschefplaner im Kreis Pinneberg.
Claudius Mozer ist Nahverkehrschefplaner im Kreis Pinneberg. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Der Erfolg im Hamburger Umland sei aber nicht nur auf den günstigen Fahrpreis zurückzuführen, so Mozer. „Die Einfachheit des Systemzugangs war das Entscheidende.“ Die Möglichkeit, das Ticket überall kaufen und es bundesweit in allen Regionalzügen einsetzen zu können, habe den großen Run ausgelöst. „Der extrem niedrigschwellige Zugang zum 9-Euro-Ticket hat eine große Rolle gespielt – vermutlich eine größere als der Fahrpreis“, ist sich der ÖPNV-Experte sicher.

Das sind die Überlegungen für ein bundesweites Nachfolgeticket

Um diesen Rückenwind für den ÖPNV weiter zu forcieren, müssten Bund und Länder eine attraktive Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket finden, rät Mozer. Im Gespräch sind dafür im Moment Monatskarten, die zwischen 49 und 69 Euro kosten sollen. Der Bund wolle dafür 1,5 Milliarden Euro bereitstellen und erwarte, dass die Länder dieselbe Summe investierten. Die Länder wiederum forderten zusätzliche 1,65 Milliarden Euro vom Bund, um die Kostensteigerungen für Bus- und Bahnunternehmen durch Energiepreise und Inflation auszugleichen.

„Das Gesamtsystem ÖPNV ist durch die Treibstoffkrise deutlich teurer geworden“, warnt Mozer und fordert: „Die Finanzierung muss gesichert sein. Das Nachfolge-Ticket müssen Bund und Länder tragen. Denn die Leistungsfähigkeit der Kreise ist dabei begrenzt.“ Zumal sich Kreise wie Pinneberg heute schon vorbildlich für den Busverkehr engagieren würden.

Nahverkehr: Was der Kreis Pinneberg für die Mobilitätswende tut

Allein der Kreis Pinneberg investiert knapp 29 Millionen Euro in den Linienbusverkehr, wovon er nach Abzug von Fahrgasterlösen sowie Zuschüssen von Bund und Land 17,6 Millionen Euro trägt. Zum Fahrplanwechsel im Dezember wird der Kreis Pinneberg – wie berichtet – weitere 1,8 Millionen zusätzlich in neue Linien und Taktverdichtungen investieren.

Für 2024 sind noch einmal 1,5 Millionen Euro zusätzlich geplant, kündigt Mozer an. Am Dienstagabend wollte er dafür die Zustimmung des Verkehrsausschusses des Kreistages einholen. „Wir können damit alles Mögliche machen, von besseren Taktverbindungen bis zu neue Buslinien.“

Bis 2032 soll zudem der gesamte Busverkehr im HVV-Bereich abgasfrei und klimaneutral sein durch die Umstellung aller etwa 2500 Busse auf elektrische Antriebstechnik, 150 davon für den Kreis Pinneberg.