Quickborn. Warum die Heinrich-Lohse-Straße nach Ansicht der Quickborner Grünen den Namen des Nazi-Opfers Martha Weidmann tragen soll.
Das schwere Erbe mit ihrer NS-Vergangenheit ist für manche Kommunalpolitiker nicht leicht zu ertragen. Das zeigt sich gerade in Quickborn und Tornesch, wo Historiker, die sich mit der NS-Vergangenheit beschäftigen, gefordert haben, zwei Straßen umzubenennen, weil deren Namensgeber wegen ihrer Nähe beziehungsweise Verwicklung zum Nationalsozialismus nicht mehr als Vorbilder taugen.
In Tornesch wurde daraufhin nach Anwohnerprotesten beschlossen, die Von-Helms-Straße, benannt nach dem früheren Bürgermeister Johannes von Helms (1926 bis 1943), mit einer Hinweisstele zu versehen. Das werde auch demnächst umgesetzt, teilt Bürgermeisterin Sabine Kählert auf Nachfrage mit.
NS-Vergangenheit: Politiker wollen Straße umbenennen
In Quickborn ist die Initiative von Christiane Lefebvre und der Fraktion Die Grünen etwas eingeschlafen, die Heinrich-Lohse-Straße in Martha-Weidmann-Straße umzubenennen. Sie war ein Euthanasie-Opfer der NS-Kriegsverbrecher und lebte in dieser Straße, wo auch ein Stolperstein für sie aufgestellt ist. Quickborns Grünen-Fraktionschef Dirk Salewsky kündigt an, nach der Sommerpause einen erneuten Anlauf zu starten. Denn, so Fraktionskollegin und stellvertretende Kreispräsidentin Sabine Schaefer-Maniezki: „Wir müssen gerade für die jüngeren Generationen die Erinnerung an die NS-Vergangenheit wachhalten, damit so etwas nicht wieder passiert. Darum können wir es uns nicht leisten, diese Erinnerungskultur einfach totzuschweigen.“
Die beiden NS-Forscher Christina Lefebvre und Enno Hasbargen hatten vor einem Jahr die Diskussion angestoßen. Der langjährige deutschnationale Amtsvorsteher Heinrich Lohse, der kurz vor seinem Tod im Alter von 71 Jahren im Jahr 1938 bereits von den Nazis mit der Straßenbenennung zwischen Goethe- und Feldbehnstraße geehrt worden war, könne aus heutiger Sicht nicht mehr als ein Vorbild angesehen werden, da er sich von den Nazis zumindest habe instrumentalisieren lassen, kritisierten die beiden.
Quickborner Grüne wollen Straße nach Nazi-Opfer benennen
Sie forderten deshalb, die Straße nach Martha Weidmann umzubenennen, für die in der Heinrich-Lohse-Straße 2012 ein Stolperstein in den Asphalt verlegt worden ist. Die Quickbornerin wurde bereits 1933 von den Nazis wegen ihrer psychischen Erkrankung in verschiedenen „Heilanstalten“ inhaftiert und 1943 im Alter von nur 42 Jahren ermordet. „Wir würden damit die Straße von einem Täter der NS-Zeit nach einem Opfer der Nazis umbenennen. Was kann es Passenderes geben?“, waren Christiana Lefebvre und Hasbargen von ihrer Idee überzeugt. Sie wollten daraufhin das Thema mit einer Befragung unter den heutigen Anwohnern anreichern und somit ein Stimmungsbild erzielen.
Doch die CDU-Fraktion kam ihnen zuvor. Mit einer Postwurfsendung an die Anlieger versuchte der damalige CDU-Parteivorsitzende Bernd Weiher, die Initiative sogleich im Keim zu ersticken. „Die Umbenennung einer Straße ist mit weitreichenden Folgen verbunden“, hieß es in dem CDU-Schreiben. „Nicht nur für das Ansehen des Namensgebers und seiner Hinterbliebenen, sondern auch direkt für Sie als Anwohner (u.a. Änderung des Personalausweises und jeder hinterlegten Adresse).“ Darum dürfe keine leichtfertige Entscheidung getroffen werden, forderte der damalige CDU-Vorsitzende und heutige Erste Stadtrat Quickborns.
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Quickborn: Uneinigkeit über die Rolle von Heinrich Lohse
Heinrich Lohse war von 1902 bis zu seiner Pensionierung im August 1933 insgesamt 31 Jahre lang Gemeinde- und Amtsvorsteher. Damit übte er polizeiliche Aufgaben aus. Er sei „hochgeachtet in der gesamten Bevölkerung“ gewesen, behauptet Weiher und beruft sich auf Lohses Ehrenbürgerschaft 1936 und die Benennung der Straße nach ihm. Zudem sei er für seinen entschlossenen Einsatz bei der Explosionskatastrophe des Sprengstoffwerks im Ersten Weltkrieg 1917 mit dem Verdienstkreuz ausgezeichnet worden. Dagegen spricht die Recherche des Soziologen Jörg Penning, der auch dem Vorstand des Vereins Spurensuche angehört, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Spuren der NS-Vergangenheit im Kreis Pinneberg aufzuarbeiten.
Penning hat sich wissenschaftlich in seiner Diplomarbeit mit dem Aufkommen der Nazi-Herrschaft in Schleswig-Holstein und insbesondere in Quickborn befasst. Für ihn steht fest, dass Heinrich Lohse „zu den Angehörigen der lokalen gesellschaftlichen Elite (gehörte), die nach der Machtübernahme 1933 eine große Anpassungsbereitschaft zeigten und sich bereitwillig in das NS-Regime integrierten.“
Lohse soll sich bereitwillig in Nazi-Regime integriert haben
Dabei hätten ihm sein konservatives Grundverständnis als „treudeutscher Mann“, wie ihn eine damalige Lokalzeitung beschrieb, und seine Aversionen gegen die Weimarer Demokratie den Zugang zum Nationalsozialismus erleichtert, ist Penning überzeugt. Nur so sei es zu erklären, warum Lohse auch nach der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 im Amt bleiben konnte und der von den Nazis dominierte Gemeinderat ihn sogar mit dem Straßennamen ehren konnte.
Die örtliche Parteiführung der NSDAP habe dadurch nach außen demonstrieren können, dass auch die alten Eliten den Weg in den Nationalsozialismus gefunden hätten, argumentiert Sozialforscher Penning. „Wir sind jetzt in einer Zeit angekommen, in der die Gesellschaft auf breiter Ebene anerkennt, dass das Dritte Reich mit seinem rassistischen Gedankengut, dem Militarismus und der gezielten Vernichtung von Millionen Menschen ein Unrechtsregime war“, schreibt Penning. „Da wirkt es heute befremdlich, mit Heinrich Lohse weiterhin einen Unterstützer des NS-Regimes mit einer Straßennamensgebung zu ehren.“
Grüne wollen die Straße nach Nazi-Opfer umbenennen
Schließlich war Heinrich Lohse als Deutschnationaler „stramm rechtskonservativ, republikfeindlich und antisemitisch“, so Penning. Mit ziemlicher Sicherheit sei er auch in die NSDAP eingetreten, auch wenn seine Mitgliedschaft sich im Bundesarchiv in Koblenz nicht mehr nachweisen ließe. Die Mitgliedskarten seien nicht vollständig überliefert, so Penning. Er gehe aber davon aus, dass Lohse höchstwahrscheinlich im Mai 1933 noch vor seiner Pensionierung NSDAP-Mitglied geworden sei. „Selbst wenn sich eine Mittäterschaft Lohses nicht eindeutig belegen lässt, sollte man nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern die Person des Heinrich Lohse kritisch hinterfragen“, fordert der NS-Forscher.
Die Grünen werden dies jetzt nach der Sommerpause aufgreifen, kündigt Fraktionschef Salewsky an. Wenn sich die Umbenennung der Straße politisch nicht durchsetzen ließe, müsste zumindest ein Zusatzschild an die Straßenbeschilderung angebracht werden, das auf die Verstrickung Lohses in die NS-Zeit hinweist. Sabine Schaefer-Maniezki hält dafür auch eine Einwohnerversammlung für notwendig. „Es ist im Interesse der Stadt, sich mit solchen Fragestellungen der NS-Erinnerungskultur zu befassen und dem sollten wir uns stellen. Es totzuschweigen, wäre das Falscheste, was wir machen können.“
Tornesch weist an zwei Stellen auf die Vergangenheit des Namensgebers hin
Auch die SPD will diese Geschichte „auf jeden Fall aufarbeiten“, so Fraktionschefin Astrid Huemke. Ob das dann in eine Straßenumbenennung oder ein Hinweisschild hinauslaufe, müsse die Diskussion zeigen. „Wir wollen das so erträglich wie möglich für die Anwohner gestalten.“
In Tornesch soll an zwei Stellen in der Von-Helms-Straße eine Infotafel mit Stele aufgestellt werden. Den Text hat dort die Heimatforscherin Annette Schlapkohl verfasst. Darin heißt es unter anderem: „Als Amtsvorsteher ab 1937 nahm Johannes von Helms polizeiliche Aufgaben wahr und hatte bei Verhaftungen für deren Durchführung zu sorgen. Durch mündliche Überlieferung eines verfolgten Zeugen Jehovas ist dessen Überführung ins Gefängnis nach Altona im Beisein des Gemeindevorstehers von Helms und des Gestapo-Beamten Tödt bezeugt.“
Die politischen Gremien Torneschs, die die Norderstraße erst 1973 in Von-Helms-Straße umbenannten, konnten sich 2021 nicht zu einer erneuten Umbenennung entschließen. Es wurde „beschlossen, auf einer öffentlichen Tafel eine Aufklärung über das Wirken Johannes von Helms in der NS-Zeit sichtbar zu machen.“