Uetersen. An der Kleinen Twiete soll ein Neubaugebiet entstehen. Neben Widerstand gibt es nun auch Umweltbedenken. Wie geht es jetzt weiter?
Die Aufschrift ist eine eindeutige Warnung: „Auf dieser Fläche wurde in den 60er-Jahren Papierschlamm abgelagert, es erfolgte eine Abdeckung mit unbelastetem Mutterboden. Der Papierschlamm ist erkennbar an der weißen Farbe und der faserigen Struktur, es ist nicht ausgeschlossen, dass Bodenlebewesen Rückstände an die Oberfläche bringen. Diese Fläche eignet sich nicht für Freizeitaktivitäten. Bitte informieren Sie Kinder hierüber.“
Das so beschriftete Schild, aufgestellt von der Stadt Uetersen unter der damaligen Bürgermeisterin Andrea Hansen, steht etwa 150 Meter von der Kleinen Twiete und nur wenige Schritte vom Ohrtbruchsbach entfernt. Dort möchte der Bauinvestor Bonava auf 4,5 Hektar 104 Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser bauen. Geworben wird auch mit dem Bau einer Kita mit mindestens 50 Plätzen und ökologischen Aspekten. Besonders Familien sollen sich angesprochen fühlen.
Dioxin im Boden: Bonava-Bauprojekt gefährdet
„In den Apfelgärten“ nennt die Bonava ihr Bauprojekt in Uetersen. 100 Bäume sollen in dem Neubaugebiet gepflanzt werden. Dabei warnte das Kreisamt für Bodenschutz und Grundwasser Anwohner der unmittelbar an das Areal angrenzenden Grundstücke bereits im Januar 2020 in einem Schreiben davor, Gemüse und Obst für den Verzehr anzubauen. Ein entsprechender Brief, auf den sich der Naturschutzbund (Nabu) Elbmarschen stützt, liegt der Redaktion vor.
Der Nabu unterstützt die Bürgerinitiative „Lebenswertes Uetersen“, die einen Bürgerentscheid initiiert haben, mit dem Ziel, die Feuchtwiese als Lebensraum für Pflanzen und Tiere zu erhalten (das Abendblatt berichtete). Am 8. Mai können die Uetersener parallel zur Landtagswahl darüber abstimmen, ob das Bauvorhaben umgesetzt oder das Naturrefugium erhalten werden soll.
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„In dem Schreiben wird chronologisch und detailliert die Historie der mit Dioxinen belasteten Straßen Wiesengrund, Am Eichholz und Esinger Steinweg aufgezeigt“, sagt Roland Dilchert, Vorstand des Nabu Elbmarschen. Dem Behördenschreiben lässt sich unter anderem entnehmen, dass die zuständige Behörde den Grundstückseigentümern wegen der hohen Dioxingehalte im Papierschlamm in Bereichen mit betroffenen Ablagerungen mögliche Sanierungen angeboten hat. Und: „Sie hat den Anwohnern Beschränkungen für den Anbau von Nahrungspflanzen auf betroffenen Böden empfohlen.“
Investor verweist auf eigene Untersuchungsergebnisse
Es wurde teilweise auf Grundstücken bis zu 60 Zentimeter dick Boden aufgeschüttet, auch auf denen, die direkt an die Wiese, die bebaut werden soll, grenzen. „Es standen keine Kapazitäten zur Komplettsanierung zur Verfügung“, sagt Dilchert. Unstrittig sei zudem, dass das Grundwasser von den höher gelegenen belasteten Flächen Am Eichholz zur Wiese fließt und im Erdreich durch Tiere ständige Bewegung stattfindet.
Dilchert kritisiert, dass die Bonava für ihr Bodengutachten den Gutachter selbst ausgesucht und bezahlt hat. Dadurch sei die Objektivität nicht mehr gegeben. „Für mich stellt sich die Frage, haben die Landwirte bei der Einarbeitung der belasteten Papierschlämme direkt vor der jetzt geplanten Wiese halt gemacht.“, sagt Dilchert. Er hält das für unwahrscheinlich.
Dass es in der Umgebung Dioxinbelastungen gab, war Bonava schon vor Grundstücksankauf bekannt. „Daher haben wir in Abstimmung mit der unteren Bodenschutzbehörde bereits vor einem Jahr eingehende Bodenuntersuchungen und Analysen gemäß der Bundesbodenschutzverordnung von einem externen Ingenieurbüro durchführen lassen“, sagt Unternehmenssprecher Christian Köhn. Rund um die belasteten Nachbarflächen sei ein Untersuchungsraster angelegt und Bodenproben von einem akkreditierten Chemielabor gewonnen worden.
Bonava weist Dioxin-Vorwürfe zurück
„Die Beprobungs- und Analyseergebnisse zeigen, dass der Verdacht der Ausweitung der bekannten Dioxinbelastungen auf das Bonava-Baugrundstück nicht gegeben ist. Die Untersuchungsergebnisse wurden der unteren Bodenschutzbehörde im Kreis Pinneberg vorgelegt und von dieser auch bestätigt“, sagt Köhn weiter.
In dem Schreiben heißt es: „Die ermittelten Dioxingehalte der acht Mischproben liegen deutlich unterhalb des Maßnahmenwertes für Kinderspielflächen der Bundes-Bodenschutzverordnung (BBodSchV). Damit ist ein Verdacht auf schädliche Bodenveränderungen auch mittels eines Untersuchungsberichtes entkräftet. Es besteht kein bodenschutzrechtlicher Handlungsbedarf. Die übrigen ermittelten Gehalte an den Untersuchungsparametern der BBodSchV des Oberbodens liegen ebenfalls deutlich unterhalb von Prüfwerten. Hier ist auch kein bodenschutzrechtlicher Handlungsbedarf gegeben.“
Auch Luftbild- und Kartenauswertungen würden laut unterer Bodenschutzbehörde keine Hinweise auf das Ein- und Aufbringen von Materialien auf oder in den Boden bringen. „Untersuchungen in Hinblick auf eine Gefahr-Erforschung werden daher auf dem gegenwärtigen Kenntnisstand von der unteren Bodenschutzbehörde im Zusammenhang mit einer Bauleitplanung nicht gefordert“, heißt es in der amtlichen Stellungnahme.
„Angesichts der eindeutigen Faktenlage drängt sich der Eindruck auf, dass die Dioxin-Vorwürfe der Bürgerinitiative allein darauf abzielen, das Bauprojekt öffentlich zu diskreditieren“, sagt Bonava-Sprecher Köhn. Gesprächsangebote an die BI seien bislang ausgeschlagen worden.
Bürgerinitiative befürchtet Verkehrskollaps an Baustelle
Während die BI die Kleine Twiete als unverbautes Naherholungsgebiet bezeichnet, spricht die Bonava von einer landwirtschaftlichen Nutzfläche. Die Vertreter der BI befürchten zudem einen Verkehrskollaps und eine Überlastung des Siel- und Kanalnetzes durch das Bauprojekt. „Das Verkehrsgutachten hat ermittelt, dass die zusätzlich zu erwartenden Verkehre sicher und leistungsfähig über die vorhandenen und geplanten Verkehrsanlagen abgeführt werden können“, sagt Köhn dazu. Das durch ein externes Ingenieurbüro entwickelte Entwässerungsgutachten sehe vor, dass Regenwasser kontrolliert zurückgehalten und anschließend gedrosselt in den Ohrtbrooksgraben geleitet werden kann.
Zu den bestehenden Gewässern soll es einen vier Meter breiten Schutzstreifen geben. Es sei eine vielfältige artenreiche und heimische Bepflanzung der Freiflächen geplant. Für jedes Haus und jede Wohnung will Bonava einen Baum pflanzen. Am Übergang zum Landschaftsschutzgebiet sind zudem viele Neupflanzungen vorgesehen, um dort eine knickartige Struktur herzustellen. Die angrenzend geplanten Häuser erhalten Gründächer. „Auch Nisthilfen für Vögel und Insekten sowie Fledermausquartiere sind Teil unseres Konzepts“, argumentiert Köhn.