Appen. Ernährungsmediziner Matthias Riedl aus Appen erklärt, warum Zucker schadet – und wie wir dem Jieper auf Süßes entkommen.

„Die meisten Menschen essen zu viel Süßes, ohne es zu merken“, sagt Matthias Riedl. Das Problem: Zucker steckt sogar in Brot, Wurst und Krautsalat, wird von den Konsumenten häufig gar nicht als solcher erkannt. Auch Fruchtsäfte sind fatal. So enthält ein Glas genau so viel Zucker wie 600 Gramm Erdbeeren. Der enthaltene Fruchtzucker erhöht die Blutfette, kann zu Fettleber und Diabetes führen.

„Viele unabhängige Wissenschaftler kritisieren seit Jahren die Verzuckerung unserer Lebensmittel“, sagt Riedl. 25 Gramm am Tag sind in Ordnung. Bei 105 Gramm täglich steigt das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen. „Hierzulande werden locker 100 Gramm gegessen.“ In allen Regionen mit besonders vielen Hundertjährigen kämen zwei Lebensmittel selten auf den Teller: Zucker und Weizenmehlprodukte.

Ernährungs-Doc: Finger weg von Fertigprodukten

Auf der oft kleingedruckten Zutatenliste von Fertigprodukten erkennen Verbraucher Zucker an der Endung -ose wie in Glukose, Saccharose, Dextrose, Laktose oder Fruktose. Auch hinter den Begriffen Süßmolkepulver (Milchzucker), Molkenerzeugnis, Sirup, Maltodextrin oder Diaccharide verbirgt sich Zucker.

„Grundsätzlich sollten Fertigprodukte gemieden werden“, rät der Arzt. Selbst kochen sei gesünder. Auch Brot besser selbst backen – ohne Zucker. Wer Saucen nicht selbst herstellen will, sollte zu Bio-Produkten greifen, da sie meist 50 Prozent weniger Zucker enthalten. Kräuter und Gewürze bringen Geschmack ins Essen. Wasser und ungesüßte Tees sind gesunde Getränke, Fruchtsäfte lieber stark verdünnen zu Schorle.

Matthias Riedl, Ernährungsmediziner aus Appen
Matthias Riedl, Ernährungsmediziner aus Appen © Anne Dewitz

Auch wenn man weiß, dass Zucker nicht guttut, kommen wir nur schwer davon los, denn genetisch sind wir auf süß programmiert. „In Urzeiten war Zucker ein Indiz dafür, dass ein Lebensmittel nicht giftig ist.“ Auch die Lebensmittelindustrie mache es den Verbrauchern schwer. „Schon Kinder werden durch Werbung angefixt“, sagt Riedl. Dabei gleichen 99 Prozent aller Kindercerealien einer „Kindesmisshandlung“.

Riedl: Zu viel Zucker macht krank

Zuckerfrei zu genießen lohnt sich: „Ohne unnötigen Zucker oder Zuckerersatz leben wir gesünder, es gelingt leichter, schlank zu bleiben, der Blutzuckerspiegel ist ausgeglichen“, sagt der aus der TV-Sendung „Die Ernährungs-Docs“ bekannte Mediziner.

Ein Übermaß an Kohlenhydraten und Zucker wirkt sich sogar negativ auf die Hirnleistung aus. „Menschen mit höherem Blutzuckerspiegel schnitten bei Gedächtnistests schlechter ab – und das waren keine Diabetiker, sondern sie lagen im normalen Zuckerbereich“, so Riedl. Bei hohem Blutzucker komme es anscheinend zu Veränderungen der Gehirnstruktur, gerade in Regionen, die bei Alzheimer betroffen seien.

Und es bilden sich Zuckerverbindungen mit Proteinen, die nicht mehr abbaubar sind. Die sogenannten Advanced Glycation Endproducts (AGE) lösen laut Riedl oxidativen Stress und Entzündungen aus und führen zu Schädigungen auch im Gehirn. So finden sich bei Alzheimer große Mengen davon im Gehirn. Auch Krebszellen lieben Zucker und brauchen für ihre schnelle Zellteilung viel Energie. Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) bei Kindern wird mit hohem Zucker- und Zusatzstoffkonsum in Verbindung gebracht.

Ernährungs-Doc: Zucker nach und nach weglassen

Wie gelingt es, sich Süßes abzugewöhnen? „In kleinen Schritten“, sagt der Appener. So sollte man den Zucker in Kaffee oder Tee reduzieren und schließlich ganz weg lassen. „Nach wenigen Wochen erscheint einem der pure Geschmack der Nahrungsmittel intensiver.“ Die Lust auf Schokolade und Kuchen lasse nach.

Was bringen Süßstoffe und Co. als Zuckerersatz? „Leider ist Fruchtzucker zum Süßen kein Ausweg“, sagt Ernährungs-Doc Riedl. Er kommt in Agavendicksaft, Honig oder Trockenfrüchten vor. „Fruchtzucker fördert Fettleber.“ Das gilt übrigens auch bei übermäßigen Konsum von zuckerhaltigem Obst. Zuckerarme Varianten sind Beeren, Melonen, saure Äpfel.

Süßstoff hat zwar kaum Kalorien, steigert aber das Verlangen nach Süßem. Es ist oft auch in Light-Produkten enthalten, die Heißhungerattacken und das Diabetes-Risiko erhöhen können. Eine Alternative bietet Birkenzucker (Xylit), da es ähnlich süßt wie Zucker, aber 40 Prozent weniger Kalorien enthält und unabhängig von Insulin verstoffwechselt wird.

Wenn Süßes, dann direkt nach der Hauptmahlzeit

Wer nicht gänzlich auf Süßes verzichten mag, greift am besten zum kleinen Dessert wie Obstsalat, Joghurt oder zwei Stückchen Zartbitterschokolade direkt nach dem Mittag. „Das vermeidet Blutzuckerspitzen zwischen den Mahlzeiten“, erklärt der Internist und Diabetologe.

Fünf mal Obst und Gemüse pro Tag
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    In der Ernährungsmedizin gilt übrigens der Grundsatz, dass die Ernährung in der Schwangerschaft und in den ersten 1000 Tagen des Kindes über sein späteres gesundheitliches Schicksal mitbestimmt. Aber auch später lassen sich Geschmäcker noch prägen. Indem wir etwa 20- bis 30-mal essen, fangen wir an, es zu mögen.

    Ernährungs-Doc mit Büchern und eigener App

    Dr. Matthias Riedl ist Internist, Ernährungsmediziner, Diabetologe und ärztlicher Leiter des Medicum Hamburg. Gemeinsam mit TV-Kollegen wie Anne Fleck und Jörn Klasen zeigt der gebürtige Uetersener in der NDR-Sendereihe „Die Ernährungs Docs“, wie das richtige Essen Krankheiten lindern und sogar heilen kann.

    Seine mehr als 20-jährige Erfahrung als Mediziner fließt auch in die Ernährungsratgeber und Kochbücher ein, die er allein oder als Co-Autor veröffentlicht hat. Anfang 2021 brachte er eine ernährungsmedizinische App auf den Markt. Der 59-Jährige hat zwei erwachsene Söhne aus erster Ehe und lebt mit seiner Lebensgefährtin in Appen.