Pinneberg. Corona, Personalmangel, Hallen zu: Die Zahl der jungen Schwimmer ist alarmierend gering. Ein ganzer Jahrgang sei „verloren“.
Diese Zahlen klingen wie ein Bauchklatscher im Freibad: beunruhigend. Denn einer neuen Erhebung zufolge kann nur jeder fünfte Pinneberger Schüler am Ende der vierten Klasse sicher schwimmen. Eine Anfrage der Grünen an die Stadtverwaltung förderte zudem zutage, dass an den Grundschulen der Stadt oft nur das Mindestmaß an Schwimmunterricht gegeben werden kann – wenn überhaupt.
Personalmangel, coronabedingte Kursausfälle sowie die zeitweise Schließung der Schwimmhalle haben zu einer Unterversorgung geführt und sind weit von dem Ziel der Landesregierung entfernt, jedes Grundschulkind bis zum Ende der vierten Klasse zum Schwimmen zu befähigen.
Nils Warnecke vom Pinneberger Ortsverband der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) nennt die geringe Anzahl der Schwimmer in den Grundschulen „erschreckend“. Die Quote spiegele aber auch die bundesweite Situation. Demnach können 59 Prozent der Grundschüler und jeder zweite Erwachsene nicht oder schlecht schwimmen. Jede vierte Grundschule im Land hat nicht mal Zugang zu einem Schwimmbad in der Nähe.
Schwimmer an Pinneberger Grundschulen: Drei von 202 Kindern
In Pinneberg sind die konkreten Zahlen sehr durchwachsen. An der Hans-Claussen-Schule etwa haben nur neun von 286 Schülern das Bronze-Abzeichen – die Minimalanforderung an sichere Schwimmer. An der Grundschule Rübekamp sind es nur drei von 202 Kindern. An der Grundschule Thesdorf können immerhin 35 von 140 Kindern schwimmen und auch an der Grundschule Waldenau ist die Quote mit 29 von 131 Kindern etwas besser.
Das Schulzentrum Nord gibt den Anteil der Schwimmer mit elf Prozent an, die Grundschule im Quellental mit „einem Drittel, wenn überhaupt“. Die Helene-Lange-Schule hat auf die Anfrage das Rathauses nicht geantwortet. Nachweislich sind damit nur 76 von 759 Pinneberger Grundschülern in der Lage zu schwimmen, mit den prozentualen Schätzwerten der anderen angefragten Schulen wird insgesamt nur ein Wert von 20 Prozent erreicht.
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Schulen steht nur eine Schwimmstunde pro Woche in der vierten Klasse auf dem Unterrichtsplan, mancherorts sind es zwei, an der Schule Rübekamp sind es vier. Nahezu durchgängig würden die Schulen gern mehr Schwimmunterricht geben, doch mal mangelt es am Personal, mal sei nach eigenen Angaben die Organisation zu kompliziert.
Politik zu Nichtschwimmerzahl: „Schockierend und alarmierend“
Laut Pinnebergs DLRG-Sprecher Warnecke sei positiv, das viele Schulen immerhin versuchen, Schwimmunterricht anzubieten, obwohl dieser nicht einfach im Lehrplan einzubetten ist. Die Pinneberger Politik ist dagegen bestürzt. „Die Zahlen sind schockierend und alarmierend“, sagt etwa Natalina di Racca-Boenigk (CDU). Kai Vogel, schulpolitischer Sprecher der SPD, nennt die Zahlen „ernüchternd“. Für Sandra Hollm von den Grünen und Unabhängigen, gleichzeitig Vorsitzende des Schulausschusses, ist das Ergebnis der Umfrage wenig überraschend: „Es fehlen ja auch die Schwimmlehrer“.
Dabei hatte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) erst im Mai umfangreiche Unterstützungen des Landes für das Schwimmenlernen zugesagt. Jährlich stünden 7,5 Millionen Euro für Schwimmsportstätten zur Verfügung. Gleichwohl sei in der Pandemie der Schwimmunterricht „leider in den Hintergrund gerückt“. Die Schwimmausbildung habe nahezu nicht mehr stattgefunden. „Wenn wir jetzt nichts ändern, dann wäre von dem Stillstand ein ganzer Jahrgang von Kindern betroffen.“
Laut Ministerin sei klar, dass „unsere Kinder das Schwimmen lernen müssen. Keiner von uns möchte, dass Kinder beim Baden ertrinken, weil sie keine sicheren Schwimmerinnen oder Schwimmer sind. Jede und jeder Badetote ist eine und einer zu viel.“ Darum wurden Schwimmkurse von Kindern bis 14 Jahren wieder möglich gemacht. Sämtlichen Grundschulen wurde empfohlen, den Schwimmunterricht wieder aufzunehmen. Die Mittel dafür wurden auf insgesamt 400.000 Euro aufgestockt.
Schwimmabzeichen: Rückgang um 75 Prozent
Die DLRG und der Schleswig-Holsteinische Schwimmverband als Kooperationspartner beobachten trotzdem akuten Nachholbedarf. In Pinneberg beträgt der Einbruch laut DLRG-Sprecher Warnecke „etwa 75 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019“. Ein bis zwei Jahrgänge seien verloren. Andererseits, so Warnecke, sei Schwimmunterricht nicht nur ein Schulthema. „Auch Eltern sollten sich rechtzeitig damit auseinandersetzen. In Pinneberg gibt es viele Möglichkeiten, das Schwimmen zu erlernen.“
Schulpolitisch müsse laut DLRG die Schwimmausbildung einen höheren Stellenwert bekommen. „Die Qualifikation der Lehrkräfte und auch die Schwimmausbildung sollte gefördert und Anreize geschaffen werden“, so Warnecke. Denn Grundschullehrerinnen und -lehrern fehlten häufig die sogenannten Rettungsfähigkeiten, die beim DLRG erworben werden können. „Wir als DLRG Pinneberg bieten dies an“, sagt Warnecke. Der Schulträger übernehme die Kosten.
Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte schon vor der Pandemie und nach einer ebenfalls ernüchternden Erhebung des Landes „das Schwimmen als Kernkompetenz“ bezeichnet, das Problem sei erkannt. Damals wurde nur an 388 von 475 Grundschulen überhaupt Schwimmunterricht erteilt. Fehlende Sportlehrkräfte, fehlende Schwimmstätten oder zu große Entfernungen zu Schwimmhallen sowie zu hohe Transportkosten waren die Hauptwidersacher eines funktionierenden Unterrichts.
37.000 Menschen ertrinken pro Jahr in Europa
Vor diesem Hintergrund stellte Prien fest: „Wir brauchen mehr Lehrkräfte und sollten die Rahmenbedingungen für Schwimmunterricht kontinuierlich verbessern.“ Spezielle Fortbildungen und externe Hilfe sollten das Problem beheben. Doch erst bewegte sich kaum etwas, dann kam Corona und nun sind ganze Jahrgänge ohne Schwimmunterricht.
Immerhin: Die DLRG in Pinneberg organisiere außerhalb des Schulunterrichts pro Halbjahr etwa 30 Schwimmkurse mit mehr als 400 Kindern. Mehr als 50 ehrenamtliche Ausbilder seien aktiv, und doch sind die Wartelisten lang. Denn der Fokus liege nicht auf der schnellen Abzeichenabnahme, so Sprecher Nils Warnecke, sondern auf dem sicheren Schwimmer. „Ein Kind mit Seepferdchen ist kein sicherer Schwimmer. Erst nach dem Bronzeabzeichen sprechen wir von sicheren Schwimmern.“ Gesellschaftlich müsse verstanden werden, dass Schwimmen eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen ist, 24 Millionen Deutsche betreiben sie.
Andererseits ertrinken in Europa jährlich mehr als 37.000 Menschen, weltweit sind es laut Vereinten Nationen fast 240.000. Bei Kindern im Alter von fünf bis 14 Jahren ist Ertrinken die zweithäufigste Todesursache. Nicht grundlos gibt es einen „Welttag der Ertrinkungsprävention“, er wird jährlich am 25. Juli von der UN ausgerufen.