Uetersen. Es ging um den Handel mit Waffen und Drogen. Ein 34-Jähriger soll eines der größten illegalen Internetportale betrieben haben.

Drogen, Waffen, Medikamente: Als im Juli einer der bedeutendsten Schläge gegen die organisierte Internetkriminalität in Deutschland gelang, führte eine wichtige Spur in den Kreis Pinneberg, nach Uetersen.

Dort saß einer der Drahtzieher in einer unauffälligen Wohnung eines Mehrfamilienhauses und lenkte die Geschicke vom Heimbüro aus. Sein Name: André P. Im Netz nannte sich der 34-Jährige aber lieber „Ebola“, um als Administrator des Darknet-Portals „Fraudsters“ eine der wichtigsten deutschen Plattformen des illegalen Internethandels zu verwalten.

Prozess gegen Darknet-Baron gestartet

Nun wird dem Pinneberger Baron des Darknets in Bad Kreuznach der Prozess gemacht. Am ersten Verhandlungstag präsentierte sich der Uetersener aber nicht wie ein wohlhabender Emporkömmling der kriminellen Seite des Internets, sondern wie ein jungenhafter Normalo.

Rotblonde Haare, Fünf-Tage-Bart, grauer Pullover. Kaum vorstellbar, dass dieser junge Deutsche eine illegale Seite betrieben haben soll, auf der im großen Stil Drogen-, Waffen-, Medikamenten- und Datengeschäfte von mehr als 30.000 angemeldeten Nutzern abgewickelt worden sein sollen.

Der Angeklagte sitzt seit Juli 2019 in Untersuchungshaft

Nachdem er im Juli 2019 von Cybercrime-Ermittlern festgenommen wurde, warf ihm die Staatsanwaltschaft vor, als Administrator das Darknet-Forum mit weiteren Tatverdächtigen betrieben zu haben.

Neben dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung bestehe gegen den Mann aus Uetersen der dringende Verdacht der Beihilfe in mehr als 1.700 Fällen. Darunter Betäubungsmittelstraftaten, Datenhehlerei, Urkundenfälschung und Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz. Seitdem sitzt der vorbestrafte André P. in Untersuchungshaft.

Angeklagter hat keine Berufsausbildung

Er habe keine Berufsausbildung, nichts gelernt, sagte er beim Prozessauftakt vor Gericht. Für illegale Internetgeschäfte hatten seine Fähigkeiten aber offenbar gereicht.

Doch über die spärlichen Angaben zu seinen Lebensumständen hinaus ließ sich der mutmaßliche Administrator P. bisher nicht weiter zu den Vorwürfen ein. Die Staatsanwaltschaft sieht es aber als erwiesen an, dass der Mitdreißiger Beihilfe zur Weitergabe sensibler Daten, zur Beschaffung von gefälschten Ausweisen, dem gewerbsmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln sowie dem Inverkehrbringen von Falschgeld geleistet hat.

Anonyme Anzeige führte zur Verhaftung

Laut Staatsanwaltschaft war der Verhaftung des Ueterseners eine anonyme Anzeige eines nicht identifizierten Anzeigeerstatters vorausgegangen. Am 3. Juli 2019 hatten ihn Internet-Fahnder aus Rheinland-Pfalz an seinem Wohnort festgenommen.

Die Beamten stellten Computer, Laptops, Festplatten, Handys sowie Betäubungsmittel sicher. Unter anderem fanden sie laut Anklageschrift 99,2 Gramm Kokain, 18,56 Gramm Amphetamin, 38,44 Gramm MDMA und drei halbautomatische Schusswaffen. Die von ihm angeblich verwaltete Untergrund-Plattform „Fraudsters“ (engl. Betrüger) wurde zuvor geschlossen.

Angeklagter lebte "völlig unauffällig"

Der Angeklagte habe bis zu seiner Festnahme „völlig unauffällig“ in dem Mehrfamilienhaus gelebt. Keine dicken Autos, keine Eskapaden. Doch Oberstaatsanwältin Beatrix Jakobs warf ihm in der Anklage wörtlich vor: „Sie schufen ‚Fraudsters‘ in der Absicht, eine Plattform zur Begehung von Straftaten im Internet zu bieten.“

Insgesamt gehe es bei ihm um 113 konkrete Fälle, zu denen die Internet-Fahnder etliche Beweise gesichert hatten. Bei einer Verurteilung droht dem 34-Jährigen eine „mehrjährige Haftstrafe“, wie Oberstaatsanwalt Jürgen Brauer dem Abendblatt sagte.

Umfangreiche Ermittlungen seit 2017

Zuvor hatten die Landeszentralstelle Cybercrime (LZC) und das Dezernat Cybercrime des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz seit 2017 umfangreiche Ermittlungen gegen die Verantwortlichen des kriminellen Netzwerks im Internet angestrengt.

Nach intensiven Maßnahmen konnte schließlich der Administrator des ehemals größten deutschsprachigen Underground-Economy-Forums in Uetersen ausfindig gemacht werden. Seine Wohnung und die eines 44 Jahre alten „Fraudsters“-Begründers im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis wurden durchsucht.

Anonymer, digitaler Schwarzmarkt

Unter „Underground-Economy“ versteht man einen abgeschlossenen Bereich des Internets. Im Grunde handelt es sich um einen anonymen, digitalen Schwarzmarkt mit entsprechend illegalen Gütern.

Das „Fraudsters“-Forum war bis April 2019 über das Darknet, einen abgeschotteten Teil des Internets, erreichbar (siehe Infotext). Die Käufer auf dieser Plattform nutzten die Anonymität dieses Bereichs und bezahlten mit der Kryptowährung Bitcoin.

Profitables Geschäftsmodell

Das Geschäftsmodell, so die Anklagebehörde, sah für den Uetersener insofern profitabel aus, als dass André P. an den Verkäufen mitverdient habe. Verkäufer sollen einen Pauschalbetrag an ihn und die anderen Betreiber gezahlt haben.

Nur dieser Betrag gestattete es ihnen, auch weiterhin auf der Plattform Waren vertreiben zu dürfen. Zudem gab es wohl eine Art „Treuhandservice“, bei dessen Nutzung eine Gebühr der Transaktion abfiel.

Angeklagter verfasste Tutorial für Einsteiger in die "Szene"

Auch Werbung habe Geld in die dunkle Kasse gespült. Der Angeschuldigte habe selbst ein umfangreiches Tutorial verfasst, das sich an Einsteiger in die „Szene“ richtete.

Das Gericht rechnet dennoch mit einer komplizierten Beweisaufnahme, bis März 2020 gibt es Verhandlungstermine. Das Landgericht Bad Kreuznach ist zuständig, da Waren auch an Packstationen in der rheinland-pfälzischen Stadt geliefert worden sind.

Was ist das Darknet?

Das Darknet (englisch: dunkles Netz) ist ein verschlüsselter, weitgehend anonymisierter Bereich des Internets. Das Darknet ist nur mit bestimmter Software und speziellen Browsern zu erreichen. Es wird auch verstecktes Netz genannt, weil Suchmaschinen keine Treffer aus dem Darknet zeigen.

Wegen der Anonymität bietet das Darknet sowohl Raum für vertrauliche Kommunikation (etwa in Kriegsgebieten), als auch für kriminelle Geschäfte – etwa illegalen Drogen- oder Waffenhandel. Eine Studie stufte jüngst mehr als die Hälfte von 5205 Darknetseiten als „illegal“ ein.

Andererseits nutzten Whistleblower wie Edward Snowden oder Zeitungen wie die New York Times die verschlüsselten dunklen Netzwerke, um brisante Informationen zu schützen. Das Darknet bietet also nicht nur schwer zu überwachenden Raum für Kriminelle, es hat auch sinnvolle Seiten.