Wedel. Verkehrsminister gab in Wedel das Startsignal für die Elbvertiefung. Kritiker fürchten die Folgen für die Region.
Das Empfangskomitee hat sich etwas einfallen lassen. Eine Gruppe von Umweltschützern macht jedenfalls mächtig Lärm, hat toten Fisch in Sektgläser mit Elbwasser gestopft, reckt Transparente in die Luft und übt kritische Sprechchöre für den Bundesverkehrsminister ein. Und als Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit Entourage tatsächlich um die Ecke biegt, zeigt sich der Erfolg. Passabel gereimt schallt es ihm entgegen: „Herr Scheuer, was soll der Quatsch? Wir haben hier den ganzen Matsch!“
Zum Start der „Nassbaggerarbeiten“ für die neunte Elbvertiefung hatte sich am Dienstagmittag die versammelte Schifffahrts- und Verkehrsprominenz nicht in Hamburg sondern ausgerechnet im kleinen Wedel getroffen. Auf dem extra aus Hamburg an den Anleger Schulau gesteuerten Ausflugsschiff „MS Hammonia“ soll der Beginn der umstrittenen Maßnahme verkündet werden – begleitet von verblüfften Ausflüglern, zwei Polizeibooten sowie lautstarken Protesten von zahlreichen Gegnern.
BUND-, Nabu- und WWF-Mitglieder schreien ihre Kritik am Wedeler Fähranleger Willkomm-Höft in Richtung des Schiffs, wollen Scheuer, der fünf Minuten vor dem Ablegen lächelnd durch das Spalier der Umweltschützer marschiert, das „Letzte Gedeck für die Tideelbe“ aus totem Stint und Elbwasser in die Hand drücken. Doch Scheuer bahnt sich ungerührt seinen Weg. Die Umweltschützer der Region finden beim Repräsentanten der Bundespolitik kaum Gehör. Wie so oft, meinen sie.
Acht Kilometer lange Begegnungsbox vor Wedel
Für Bernd Biggemann etwa, Vorstand der BUND-Kreisgruppe Pinneberg, ist das Ausbaggern der Fahrrinne und das Verbreitern des Stroms für eine acht Kilometer lange Begegnungsbox vor Wedel ein fatales Signal. „Wir halten die Elbvertiefung für unnötig“, sagt Biggemann. „Denn es gibt einen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, den die großen Schiffe, für die jetzt die Fahrrinne vertieft wird, ansteuern können.“ Stattdessen werde Kirchturmpolitik der einzelnen Hafenstandorte betrieben. Biggemann hält ein norddeutsches Hafenkonzept für sinnvoller, statt „regionale, egoistische Interessen“ zu verfolgen. Vor allem Hamburg agiere rücksichtslos.
Außer Scheuer sind auch Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos), der Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg, Gunther Bonz, sowie die Wasserbaufirma DEME die Adressaten des Protests. Trotz des unumkehrbaren Starts der etwa 800 Millionen Euro teuren Elbvertiefung ist die Kritik ungebrochen, und bezieht sich nicht selten auf befürchtete Schäden im Kreisgebiet. Tenor: Scheuer drückt ein Knöpfchen und fährt zurück nach Berlin, die Zeche zahlen Menschen, Tiere und Pflanzen vor Ort. So kämpft Wedel unter anderem mit einer zunehmenden Verschlickung des Hafenbeckens und eben des Anlegers, auf dem sich heute alle zur Abfahrt versammelt haben. In der Stadt, gerade bei den Grünen, gibt es viele Stimmen, die die Elbvertiefung für den Grund halten. Allein Beweise fehlen.
Drei Millionen Container mehr pro Jahr erhofft sich die Hansestadt durch die fast zwei Jahre dauernden Baggerarbeiten, nicht wenige Kritiker im Kreis meinen – auf Kosten der Umwelt und der Menschen in der Region. Fischer fürchteten um ihre Fänge, Obstbauern um ihre Ernte, Elbgemeinden um die Sicherheit der Deiche, die Versalzung der Nebenflüsse. „Durch die erhöhte Fließgeschwindigkeit steigt zudem die Gefahr von Überschwemmungen“, sagt Biggemann.
Röhrichtgürtel bereits um 100 Meter geschrumpft
Dem pflichtet Uwe Helbing, Schutzgebietsbetreuer des Nabu für die Elbmarsch, bei. „Der Sand- und Schlickabtrag ist schon beschleunigt“, sagt er. Helbing beobachte Uferabbrüche und überspülte Buhnen. Im Fährmannssander Watt seien dramatische Verluste von Organismen zu beklagen, weil nährstoffreicher Schlick abgetragen und Sandwatt angehäuft werde. „Seit der letzten Elbvertiefung ist an einigen Stellen der Röhrichtgürtel um 100 Meter geschrumpft“, sagt Thomas Behrends, der für den Nabu Schleswig-Holstein die Klagen gegen die Elbvertiefung begleitet hat und an diesem Tag protestierend am Ufer steht. Wichtiger Lebensraum für den Stint verschwinde. „Wenn die Fließgeschwindigkeit nochmals steigt, kommen Stinte nicht mehr ins Watt und fehlen bald der größten Flussseeschwalbenkolonie als Nahrung“, so Behrends. „Das ist ein ökologisches Desaster.“
Während das Protestdrama am Ufer und auf dem Wasser seinen Lauf nimmt, haben sich an Land zahlreiche Ausflügler und Interessierte eingefunden. Gäste im Fährhaus blicken erstaunt von ihren Kuchentellern auf. Große Politik im kleinen Wedel? Warum nicht?! Die Meinungen bei den Zaungästen gehen durchaus auseinander.
Positiv wertet etwa der 71-jährige Grundstücksmakler Helmut Carstens die Entscheidung. Die Konkurrenz durch Häfen in Rotterdam und Antwerpen sowie die Abhängigkeit vieler Arbeitsplätze vom Hamburger Hafen rechtfertige die Maßnahme.