Kreis Pinneberg. Führerschein mit 18, seit sechs Jahren nicht gefahren: Abendblatt-Mitarbeiterin Paulina Bonkowski hat sich wieder hinters Steuer getraut.
Ein schwarzer Kombi nähert sich dem Elmshorner Bahnhof, schon von Weitem sticht das weiße Schild mit der roten Schrift auf dem Dach ins Auge: „Fahrschule“. Jetzt hält der Wagen, ein drahtiger Mann, das Haar raspelkurz, die Sonnenbrille schwarz, steigt aus und grüßt: „Moin, ich bin der Mario!“ Der 62-Jährige ist Fahrlehrer bei der Fahrschule Sellhorn in Elmshorn und begleitet mich an diesem Tag bei einer meiner größeren Herausforderungen der zurückliegenden Jahre: Auto fahren. Was für viele Menschen ein Teil ihres Alltags ist, verursacht bei mir die größte Panik.
Selbst wenn es offenbar keine Statistiken darüber gibt: Ich bin nicht allein damit. Auch in meinem näheren Umfeld ist präsent, was Fachleute Fahrangst nennen. Ich habe Freundinnen, die nachts nicht schlafen können, weil sie am nächsten Tag zum ersten Mal im unbekannten Firmenwagen fahren sollen. Bekannte, die nach leichten Unfällen den Fahrersitz seit Jahren meiden. Verwandte, die nur bekannte Strecken fahren, und das ausschließlich bei Tageslicht. Viele sind jüngere Frauen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen.
Ich habe meinen Führerschein seit sechseinhalb Jahren. Führerschein mit 18, dann Studium im busfreundlichen Regensburg, hinterm Steuer des Familienautos sitzt stets meine Mutter. Führerschein ja, Autofahren nein. Ich bin seit fast sechseinhalb Jahren nicht gefahren. Und jetzt traue ich mich nicht mehr.
Laut ADAC entsteht Fahrangst durch Unsicherheit oder mangelnde Praxis entstehe. Diese Furcht kann bei Führerschein-Neulingen wie auch bei routinierten Autofahrern entstehen. In Deutschland seien es Tausende von Menschen, die unter Fahrangst litten, die Dunkelziffer sei hoch. In einigen Bundesländern gibt es extra „Angsthasenfahrschulen“. Fest steht: Fahrlehrer können helfen.
Also auf zu Mario ins Auto, meine Tasche werfe ich auf die Rückbank. „In diesem Auto braucht es keinen klassischen Schlüssel mehr“, sagt der Fahrlehrer. Er erklärt in aller Ruhe die Basics: Lenkrad, Schalthebel, Gas-, Brems- und Kupplungspedal. Die Seitenspiegel und der Sitz lassen sich elektrisch verstellen. „Funktioniert wie ein Joystick die Bedienung“ sagt Mario, der mit Nachnamen Blesin heißt, scherzhaft. Ich fühle mich wohl. Doch die Vorstellung, dass ich es gleich bin, die den Startknopf drückt, der den herkömmlichen Schlüssel abgelöst hat, bleibt utopisch.
Mario Blesin stellt bei Auffrischungsstunden wie dieser regelmäßig fest, dass es „wie beim Fahrradfahren ist: Das verlernt man nie.“ Tatsächlich drücke ich den Knopf. Dann links blinken, den Schulterblick mache ich automatisch, Kupplung treten, ersten Gang einlegen, Handbremse (auch elektrisch!) lösen, Kupplung kommen lassen, Gas geben. Das Auto rollt los. Und steht gleich wieder. Abgesoffen. Mario Blesin erklärt mir, wann der Schleifpunkt erreicht ist und wann ich Gas geben soll. Wir fahren weiter. Von der Friedensallee auf die Kaltenweide, Richtung Autobahn. Blesin erkennt meine Aufregung, als ich „Autobahn“ höre, und sagt mit sanfter Stimme: „Das schaffst du.“
Der 62-Jährige hat einen bunten Lebenslauf. Er greift ins Handschuhfach und holt ein kleines, gelbes Papier heraus. Seinen Fahrlehrerschein. Ausgestellt 1984. Er arbeitete auch lange für die Polizei in Hamburg, lebte mal in Tel Aviv und ist heute in Kollmar zu Hause. „Mir ist es wichtig, intensiv auf meine Schülerinnen und Schüler einzugehen“, sagt er. „Gerade bei Menschen, die Ängste haben, ist das wichtig.“
„Angst vorm Straßenverkehr im Allgemeinen wird immer größer“
Für die Fachverbände ist Fahrangst ein großes Thema. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, Kurt Bartels, sagt allerdings: „Fahrangst sehe ich bei den unter 30-Jährigen eher weniger.“ In dieser Altersgruppe sei zwar eine Steigerung des Prüfungsstresses zu beobachten, aber keine verbreitete Fahrangst.
Frank Walkenhorst, Vorsitzender des Fahrlehrer-Verbands Schleswig-Holstein, diskutierte vor zwei Jahren im Bundesvorstand über gesteigerte Fahrangst bei jüngeren Menschen. Das Ergebnis nach dem Austausch mit seinen Kollegen: „Nein, eine Steigerung können wir in Schleswig-Holstein nicht beobachten.“ Auffrischungsstunden würden primär von „älteren Damen genutzt, die ihren Ehepartner verloren haben und wieder fahren wollen“. Doch er und sein Team hätten großes Interesse an neuen Zahlen über Menschen mit Fahrangst. Denn über den Straßenverkehr an sich kann er eine sichere Prognose machen: Der werde immer hektischer, und die Menschen auf den Straßen werden ungeduldiger. „Die Angst vor dem Straßenverkehr im Allgemeinen wird also immer größer.“
Wir sind inzwischen tatsächlich auf der Autobahn. Ich schaue nach rechts, setze den Blinker und bremse runter auf Tempo 60. Die Baustelle bei Pinneberg. Nun naht die Ausfahrt Pinneberg-Mitte. Ich habe es fast geschafft, denn in der Kreisstadt soll meine Probefahrt enden. Erst jetzt merke ich, wie ich meine Aufregung komplett verloren habe. Während der Fahrt. Und als die Mittagssonne auf die Fahrbahn der A 23 scheint, empfinde ich sogar eine kleine Freude beim Fahren.
Ich stelle fest, dass die Fahrt mir eine Erkenntnis gebracht hat: Meine Angst kann ich bekämpfen mit einer geschulten Person an meiner Seite. Mario Blesin lobt mich und sagt: „Vielleicht sollten wir zukünftig gezielter mit Auffrischungsfahrstunden werben.“ Sellhorn hat auch Fahrschulen in Barmstedt und Tornesch. „Mobilität um jeden Preis“, sagt Blesin, sei die Intention, die junge Menschen in die Räume der Fahrschulen treibe. Er meinte: „Wir sollten auch um werben, die von der Angst getrieben werden.“