Appen. Wirtin in Existenzangst, Anlieger genervt, Bürgermeister machtlos: Eindrücke am Rande der L 105, die monatelang saniert wird

Für die rund 12.000 Autofahrer, die täglich von Pinneberg nach Wedel oder in umgekehrter Richtung fahren, ist die Sperrung der Wedeler Chaussee und die damit verbundene Umleitung vor allem zeitraubend und nervend. Für die Anwohner indes wird sie immer mehr zur Belastung. Und für Wirtin Claudia Hausen in Appen-Etz sind die Bauarbeiten auf dem 2,7 Kilometer langen Teilstück der Landesstraße 105 existenzbedrohend.

„Es ist eine Katastrophe. Seit dem Baubeginn am 23. April habe ich keine Gäste mehr“, sagt die 51-jährige Griechin mit dem deutschen Namen, die seit 1995 das Hotel und den Gasthof Heidekrug an der L 105 führt und dort mit ihrem Sohn Georgios Giokas (19) griechische Spezialitäten anbietet. Etwa 300 Meter vor dem Familienbetrieb ist die Landesstraße rigoros abgesperrt, nur Radfahrer und Fußgänger können passieren. Ansonsten ist die Strecke tabu, sogar für Anlieger sowie deren Besucher und Lieferanten. Parken vor der Baustelle ist nicht nur verboten, sondern schlichtweg unmöglich.

Bis zu ihnen kommen keine Gäste mehr durch: Heidekrug-Gastwirtin Claudia Hausen (51), hier mit ihrem Sohn Georgios Giokas (19), ist verzweifelt
Bis zu ihnen kommen keine Gäste mehr durch: Heidekrug-Gastwirtin Claudia Hausen (51), hier mit ihrem Sohn Georgios Giokas (19), ist verzweifelt © HA | Melanie Mallon

Claudia Hausen weint, als sie die Folgen schildert. „Große Feste wie Konfirmationen, runde Geburtstage und Hochzeiten wurden abgesagt, der Schaden beläuft sich mittlerweile schon auf 15.000 Euro“, sagt Wirtin Hausen. Bis zu 120 Gäste hat sie täglich versorgt, sonnabends bis zu 180, die 21 Hotelzimmer waren häufig ausgebucht. „Unser Getränkelieferant musste fünf Fässer zu Fuß anliefern. Der war richtig genervt“, sagt Georgios Giokas. Seine Mutter ist verzweifelt. „Ich war sogar schon gezwungen, einen meiner drei Mitarbeiter zu entlassen. Das tut mir in der Seele weh.“

Posse um ein zugeschüttetes Schlagloch

19,2 Kilometer ist die teilweise unzureichend ausgeschilderte Umleitungsstrecke lang, sie kostet je nach Verkehrslage bis zu eine Stunde Zeit. Zeit, die sich Ortskundige sparen – zum Leidwesen der Anwohner in Appen-Etz, insbesondere am Grenzweg und Karbatenmoorweg im Naherholungsgebiet Klövensteen. Autofahrer nehmen die nur dreieinhalb Kilometer lange „Abkürzung“ über den Fohlenhof, eine zunächst nicht asphaltierte üble Schlaglochpiste. „Die weichen sogar über die Stellplätze für die Pferdetransporter aus, wir haben den Bereich nun abgesperrt“, sagt Fohlenhof-Besitzer Benno Radtke, wie die meisten Menschen hier ein Pragmatiker. Nach dem Motto „nicht lang schnacken, zupacken“ hat er das schlimmste Schlagloch zugeschüttet – und dabei die Rechnung ohne die Behörde gemacht. „Der zuständige Mitarbeiter hat mir mitgeteilt, dass meine Reparatur mit Schotter unzulässig sei, weil Rutschgefahr bestehe“, sagt der 56 Jahre alte Landwirt achselzuckend. Also hat er – ganz pragmatisch – das Schlagloch wieder freigeschaufelt. . . „Die Schlaglöcher werden von Tag zu Tag tiefer und die Staubwolken dicker. Wir machen hier jedenfalls nichts mehr“, sagt Radtke.

Die illegale Abkürzung führt weiter über den einspurigen, nur für Landwirte freigegebenen Weg, der links und rechts von Gräben gesäumt ist und bei Gegenverkehr Augenmaß und Schritttempo erfordert.

Ines und Benno Radtke (stehend), Kundin Claudia Ristau (l.) und Pferdewirtin Anja Behrmann proben eine Sitzblockade, Ein Autofahrer will vorbei, Hofhündin Lara kläfft ihn an
Ines und Benno Radtke (stehend), Kundin Claudia Ristau (l.) und Pferdewirtin Anja Behrmann proben eine Sitzblockade, Ein Autofahrer will vorbei, Hofhündin Lara kläfft ihn an © HA | Melanie Mallon

Hajo Steinmeyer, Vater von zwei Kindern, hat das Problem direkt vor der Haustür. Dort ist der Krabatenmoorweg etwas breiter, die Autos sind deshalb schneller unterwegs. Der Gärtner und Baumschuler hat Kinderspielzeug wie etwa eine Schubkarre, einen kleinen Anhänger, einen Kinderstuhl und dicke Baumscheiben als Hindernisse auf dem Grünstreifen platziert, dazu das Bobby-Car seines Sohnes. „Wenn die Leute Spielzeug sehen, fahren sie automatisch langsamer“, sagt der 54-Jährige. Oder sie machen sich die Situation anders zunutze. „Das Bobby-Car war schon nach drei Stunden spurlos verschwunden, dreist geklaut“, sagt Steinmeyer.

Die etwa 150 Reiter von den umliegenden Pferdeställen meiden den Weg mittlerweile - zu gefährlich für Ross und Reiter, zu einladend für Autofahrer. „Ein Nachbar hat hier binnen 20 Minuten 240 Autos gezählt“, sagt Hajo Steinmeyer. „Natürlich nervt die ganze Situation; aber andererseits wollen wir auch eine intakte Landesstraße. Waschen, ohne sich nass zu machen, funktioniert nun mal nicht.“

Bürgermeister kann Problem nicht lösen

Nervend ist die Situation auch für 200 Schüler der Grundschule Appen. „Eltern und Schüler stehen morgens zur Stoßzeit auf der Umleitungsstrecke im Stau und kommen hier sauer an“, sagt Schulleiter Martin Scharnweber. „Wir leiten die Beschwerden weiter, ansonsten sind uns die Hände gebunden“, sagt der 42-Jährige.

Verbindung von Pinneberg nach Wedel

Die Landesstraße 105 ist die von rund 12.000 Autos täglich befahrene Verbindung von Pinneberg über Appen-Etz nach Wedel.

Die Vollsperrung der Wedeler Chaussee betrifft den gesamten Abschnitt vom Kreisverkehr am Pinneberger Westring bis zum Kreisverkehr bei Appen-Etz. Diese Strecke ist 2,7 Kilometer lang.

Die Umleitung ist 19,2 Kilometer lang und führt über den Westring und die Mühlenstraße in Pinneberg durch Appen nach Moorrege. Von dort geht es über die Bundesstraße 431 durch Holm nach Wedel – und umgekehrt. Auch Buslinien sind betroffen.

Der Zeitverlust beträgt im Idealfall 25 Minuten, im Berufsverkehr etwa eine Stunde.

Die Sanierung kostet 1,5 Millionen Euro und wird vom Land Schleswig-Holstein bezahlt.

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Appens Bürgermeister Hans-Joachim Banaschak (CDU) ist die Lage natürlich bekannt. „Wir wissen von den Problemen, können aber nichts unternehmen. Es ist die Landesstraße, sie fällt also unter die alleinige Zuständigkeit der Landesregierung“, sagt der 67-Jährige. In deren Auftrag verantwortet der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr (LBV) den Ausbau des 2,7 Kilometer langen Teilstücks der L 105 zwischen Pinneberg und Wedel. „Aus Gründen der Verkehrssicherheit, des Arbeitsschutzes und der Bauqualität müssen diese Bauarbeiten unter Vollsperrung des Durchgangsverkehrs durchgeführt werden“, sagt Kai-Uwe Schacht, LBV-Niederlassungsleiter in Itzehoe. Zuerst werden die Radwege entlang der Strecke abgefräst und neu asphaltiert. „Die Sicherheit der Radfahrer hat zunächst Priorität“, sagt ein Mitarbeiter des Tiefbauunternehmens Strabag vor Ort. Dann folgt das gleiche Prozedere bei der Fahrbahn. „Hier ist es wichtig, beide Fahrstreifen gleichzeitig zu erneuern, damit es keine Naht in der Mitte gibt“, sagt der Strabag-Experte. 900 der 2700 Meter sind jetzt fertiggestellt. Der LBV ist zuversichtlich, die 1,5 Millionen Euro teuren Bauarbeiten wie geplant bis zum 16. Juli beenden zu können.

Ob das rechtzeitig genug ist, um Gastwirtin Claudia Hausen vom Heidekrug in Appen-Etz die Existenzsorgen zu nehmen, ist fraglich. „Ich weiß nicht, ob ich so lange durchhalten kann.“