chenefeld. Schenefelder Ehrenpreisträgerin entdeckt mit fast 80 Jahren das Internet. 70 Literaturlesungen sind dort auszugsweise zu sehen.

S Bücher. Ihre ganze Wohnung steht voller Bücher. In den Regalen, die vom Boden bis zur Decke reichen, reiht sich Klassiker an Klassiker. „10.000 Bücher habe ich hier in der Wohnung“, sagt Hanna-Maria Engel. Aus vielen hat sie vorgelesen. Ein Vierteljahrhundert lang hat die heute 79-Jährige den Schenefeldern die Perlen der Literatur nähergebracht. Vor zwei Jahren endete die Veranstaltungsreihe mit Kultcharakter, als der Ehemann der Schenefelderin schwer erkrankte und es auch mit ihrer Gesundheit nicht zum Besten stand.

Jetzt ist Hanna-Maria Engel zurück. Und sie ist aktiver denn je. Youtube sei Dank. Die Schenefelderin, die im Juni ihren 80. Geburtstag feiert, hat das Internet für sich entdeckt – und setzt dort ihren Feldzug für die Klassiker der gedruckten Literatur fort. Auf dem Youtube-Kanal der Ehrenpreisträgerin der Stadt sind inzwischen 70 Videos mit ihr zu sehen. Ob „Effi Briest“, „Faust“ oder „Die Buddenbrooks“ – Hanna-Maria Engel erweckt dort mit ihrer ausdrucksstarken Stimme die Bücher zum Leben.

„Als Schauspieler kannst du nur eine Rolle spielen und bist zudem dem Regisseur untergeordnet. Ich habe mich immer für Lesungen entschieden, weil ich auf diese Weise alle Charaktere eines Buchs verkörpern und ihnen eine Stimme geben kann“, sagt Engel. 1996 gründete sie gemeinsam mit ihrem im September 2016 verstorbenen Ehemann, dem Maler und Grafiker Knut Engel, in ihrer Dachgeschosswohnung am Husbargen das „Atelier Engel“.

Hanna-Maria Engel Anfang der 90er-Jahre bei einer Lesung
Hanna-Maria Engel Anfang der 90er-Jahre bei einer Lesung © HA | Arne Kolarczyk

Dort fanden dann auch die ersten Literaturabende statt. Vor allem die Hamburger Kulturfans schätzten diese ganz besondere Atmosphäre unter dem Dach, zwischen den Büchern und den Katzen der Gastgeber auf den extra aufgestellten Klappstühlen. Junge Künstler vom Hamburger Konservatorium kamen nach Schenefeld, um sich auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln und die Pausen zwischen den Texten mit Musik zu füllen. Im Mittelpunkt stand die Gastgeberin, die aus den Büchern ihrer Lieblingsschriftsteller wie Fontane, Mann, Rilke und Heine vortrug. In den Pausen gab es Schnittchen – und teilweise Wein aus dem Tetrapak.

Ihr geliebtes Atelier musste sie nach Streitigkeiten mit dem Hausbesitzer 2008 verlassen. „Das war für uns ein Drama“, sagt sie heute. Doch ihre Lesungen gingen weiter. Nach einem kurzen Gastspiel im Jugend- und Kommunikationszentrum (Juks) fand sie unter dem Dach der Stephanskirche eine neue Heimat. Bis 2016 blieb Hanna-Maria Engel, die auf einer privaten Schauspielschule in Hamburg ausgebildet wurde und auch kleine Rollen im Theater spielte, auf der Literaturbühne. Dann war Schluss. „Ich konnte nicht mehr, das hat mir alles zu sehr zugesetzt.“

Inzwischen hat sie den Tod ihres geliebten Mannes verwunden, und auch mit ihrer eigenen Gesundheit geht es langsam, aber stetig bergauf. Ein Grund, warum sich die Konstitution der Schenefelderin verbessert hat, ist ihr Internet-Projekt. „Eigentlich bin ich kein Fan moderner Technik“, sagt Hanna-Maria Engel. Sie habe jedoch trotzdem zugestimmt, als Gerhild Pfeil einst um Erlaubnis bat, die Veranstaltungen im „Atelier Engel“ mitschneiden zu dürfen. Daraus entstanden Live-Aufnahmen, die keine Studioperfektion haben, aber viele schöne Momente wieder aufleben lassen. Alle Filme sind auf DVD gebrannt – und viele von ihnen sind jetzt auf dem Youtube-Kanal der Schenefelderin zu sehen.

„Ich habe einen Haushaltshelfer, der aus Algerien kommt. Der junge Mann hat die DVDs gesehen und gesagt, dass ich sie doch ins Internet einstellen soll“, sagt sie. Sie habe zu dem Zeitpunkt „nicht viel übers Internet gewusst“. Und doch ließ sich Hanna-Maria Engel nach einer Einweisung in die Philosophie von Youtube überzeugen. „Das war eine Riesenarbeit, das alles neu zusammenzuschneiden.“ Ihr sei wichtig gewesen, die Authentizität des Materials zu bewahren. „Es kommt mir nicht so sehr auf Perfektion an. Wichtig ist, dass die Atmosphäre rüberkommt.“

Eine der ersten Ehrenpreisträgerinnen

Hanna-Maria Engel erhielt für ihr kulturelles Engagement 1991 den Ehrenpreis der Stadt Schenefeld – als eine der ersten Preisträgerin. Erst 1989 hatte die Ratsversammlung der Stadt beschlossen, die Auszeichnung zu vergeben, mit der ehrenamtliche Leistungen auf den Gebieten des Sports, der Kultur, des Sozialen und der Umwelt gewürdigt werden.

Geboren wurde die Schenefelderin 1938 in Neu-Sammit in Mecklenburg-Vorpommern. Schon als kleines Mädchen begeisterte sie ihre Schulkameraden für eine Aufführung, führte selbst Regie.

In Schenefeld gab Hanna-Maria Engel Schauspielunterricht, war 23 Jahre lang Dozentin für Literatur in der städtischen Volkshochschule und leitete auch die Märchenwerkstatt.

1/3

70 Videos dokumentieren aktuell das frühere Wirken der Ehrenamtspreisträgerin. „Ein Maler lebt in seinen Bildern weiter, als Schauspieler kann mich jetzt die ganze Welt im Netz sehen“, sagt Hanna-Maria Engel. Und sie sagt weiter: „Ich habe sogar eine ganze Menge Klicks.“ Am besten würden die Lesungen abschneiden, die sich mit heiteren Stoffen befassen – etwa Wilhelm Busch, Jürgen von Manger oder der Märchenabend. „Aber auch Dostojewski, Tolstoi und Faust werden geklickt.“

Als ihr Vermächtnis will die 79-Jährige („Im Alter muss man aktiv bleiben, sich neue Dinge erschließen“) das Internet-Projekt nicht ansehen. Denn ihr Kampf für die großen Klassiker der Literatur geht weiter. Künftig will sich die Schenefelderin nicht auf die Bearbeitung alter Stoffe und ihre Veröffentlichung im Netz beschränken. „Ich will neue Wege gehen und etwas live machen.“ Eine erste Aufnahme mit Texten aus der Bibel, dem Koran und der Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise sei bereits erfolgt, müsse jedoch noch zurechtgeschnitten werden.

Diesen Weg will Engel weitergehen – und sie schließt auch ein Comeback auf der Literaturbühne vor Live-Publikum – dann ausnahmsweise nicht im Internet – nicht aus. Sie sagt: „Wenn sich meine Gesundheit weiter stabilisiert und ich auch körperlich besser drauf bin, könnte ich mir auch vorstellen, wieder Lesungen zu machen. Das wird dann aber das Schicksal entscheiden müssen.“