Wedel. Sven Kamin ist Pressesprecher der Stadt Wedel – und gehört in seiner Freizeit zu den besten Poetry-Slammern Deutschlands.

Tagsüber sitzt Sven Kamin im Rathaus und sorgt dafür, dass die Wedeler informiert werden, was in ihrer Verwaltung passiert und in ihrer Stadt los ist. Abends tobt er über die Bühnen, etwa in der Szene-Kneipe Bier- und Wein-Comptoir (BWC), trägt seine Texte vor und misst sich im Wettstreit mit anderen Literaten. Sven Kamin gehört zu den bekanntesten Poetry-Slammern Deutschlands – und er ist seit Kurzem Pressesprecher der Stadt Wedel.

Der 38 Jahre alte Sven Kamin ist in Syke in der Nähe von Bremen aufgewachsen. Schon an der Grundschule spielte er Theater, hob später eine Schülerzeitung aus der Taufe. An der Kasseler Universität leitete er eine Theater-AG, gründete eine Kabarettgruppe und schrieb erste Artikel für die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), vornehmlich Konzertkritiken.

Mit dem Magister in Englisch und Geschichte in der Tasche ging es für ein Volontariat bei der Nordwest-Zeitung zurück in die Nähe der alten Heimat, nach Oldenburg. „Ich bin ein neugieriger Mensch, und im Journalismus geht es jeden Tag ein bisschen wie in der Sendung mit der Maus zu“, sagt Sven Kamin. „Man lernt eine Menge dabei.“ Am meisten Spaß haben ihm die „Mitmach-Geschichten“ der Zeitung bereitet, etwa wenn er um 5 Uhr morgens neben dem Kassierer einer Weser-Fähre stand und beschrieb, was um ihn herum passierte.

2008 erlebte Sven Kamin seinen ersten Poetry-Slam in der Bremer Lagerhalle. „Das kann ich auch“, dachte er sich. Während des Studiums hatte er sich mit moderner US-amerikanischer Lyrik beschäftigt, unter anderem mit den Werken der Beat Generation. Deren Autoren, darunter Allen Ginsberg und William S. Burroughs, schrieben ihre wichtigsten Texte in den 1950er- und 60er-Jahren. Sie spielten mit der Sprache und legten viel Wert auf Tempo. Eine wichtige Inspirationsquelle war der Jazz. Die Poetry-Slammer von heute orientieren sich ebenfalls an Musik, vor allem an Rap und Hip-Hop.

Schon ein halbes Jahr nach diesem ersten Kontakt mit der neuen Literaturform erreichte Sven Kamin die Runde der letzten Acht bei den deutschsprachigen Slam-Meisterschaften. Er textet über reinen Wein, die Liebe zur Musikkassette, Gewalt gegen Kinder oder Vogelschiet auf der Windschutzscheibe. Mit der Zeit entwickelte er sich zu einem hervorragenden Performer, das Markenzeichen ist die wild hin und her fliegende Haartolle.

Privat: Sven Kamin auf der Bühne als Poetry-Slammer
Privat: Sven Kamin auf der Bühne als Poetry-Slammer © HA | Fabian Stürtz

Beruflich ging es über eine Zwischenstation bei der Allgemeinen Zeitung in Uelzen – dort schloss er sich auch einer Top-40-Coverband als Sänger an – nach Wedel, wo bereits die Dame des Herzens wohnte. Der Vollblutjournalist heuerte bei der örtlichen Tageszeitung an. „Aus dieser Zeit kenne ich alle wichtigen Menschen der Stadt“, sagt der Pressesprecher.

Als Poetry-Slammer heimste Kamin Titel ein, wurde Hamburger und Bremer Stadtmeister, erster NDR-Slam-op-Platt-Weltmeister, denn niederdeutsch dichtet er auch, sowie mehrfach Träger des Goldenen Kloppstocks. Er initiierte den „Wedel Schädel Poetry Slam“ im BWC, „um Nachwuchskräften eine Bühne zu bieten“. Mehrere Soloprogramme entstanden.

Der Wedeler Tageszeitung sagte er nach einem Jahr adé und wechselte „auf die anderen Seite des Tisches“, wie es Journalisten gern nennen, zu einer Hamburger Kommunikations- und Marketingagentur. Dort kümmerte sich der Vielseitige um die Außendarstellung von Großkunden wie Mercedes-Benz und Lufthansa Cargo. Der Wechsel ins Wedeler Rathaus war dann naheliegend, weil er sich in seiner näheren Umgebung wohl fühlt, etwas für die Stadt tun möchte und „neue Wege gehen“ kann.

Kamin ist der einzige Pressesprecher einer Verwaltung im Kreis Pinneberg, der aus dem Journalismus kommt. Üblicherweise werden nur Verwaltungsmitarbeiter ausgewählt. Mit dem „Bürgerblick“ will der Stadtsprecher an die neue Arbeit gehen. Er möchte Transparenz herstellen und erklären, warum etwas gemacht wird.

Was die Stadt zu verkündet hat, wird übrigens nicht nur via Stadt-Website und Pressemitteilung an die Medien publik gemacht. Die Pressemitteilungen bekommen auch alle Mitarbeiter, „damit sie informiert sind, wenn Nachbarn sie ansprechen“.

Einen weiteren Vorteil hat der Wechsel von der Hamburger PR-Agentur ins Wedeler Rathaus: Früher war Kamin beruflich viel unterwegs. Nun schätzt er es, mehr zu Hause zu sein, bei seiner dreieinhalbjährigen Tochter.