Kreis Pinneberg. Knapp 28.000 Analphabeten leben im Kreis Pinneberg. Um sie in die VHS-Kurse zu locken, sind „Multiplikatoren“ wie Arbeitgeber, Freunde und Verwandte nötig.

„Analphabeten brauchen Menschen, die sie an die Hand nehmen“, stellt Inga Pleines, Leiterin der Volkshochschule Tornesch-Uetersen klar. Von sich aus fänden nur selten Teilnehmer den Weg in angebotene Kurse. Deswegen sind „Multiplikatoren“ wie Arbeitgeber, Freunde und Verwandte nötig, die das Problem erkennen, es ansprechen und bei den ersten Schritten helfen. „Dieses Defizit muss nicht das ganze Leben mitgeschleppt werden“, steht für Inga Pleines fest. Um auf die Schwierigkeiten dieser Menschen hinzuweisen, hat die Unesco den 8. September zum Weltalphabetisierungstag erklärt.

Viele Menschen mit Leseschwäche stünden voll im Arbeitsleben, sagt die Chefin der Bildungseinrichtung. Praktisch alle entwickelten Strategien, um ihre Defizite geheim zu halten. So habe sich etwa ein Teilnehmer eines Kurses jeden Tag eine Bild-Zeitung gekauft, „um unter Kollegen dazu zu gehören“.

Einen Kursus bei der VHS Tornesch-Uetersen leitet Anke Ramson. Sie arbeitet individuell auf die Lernenden abgestimmt. „Jeder wird abgeholt, wo er steht“, erklärt die Lerntherapeutin. Deswegen könnten Teilnehmer jederzeit einsteigen. Manche hätten das Lesen nie gelernt, andere es im Laufe der Zeit verlernt. Leichter sei es, das vergessene Wissen zu reaktivieren. Eine Strategie für alle Kursteilnehmer gebe es nicht. „Manche motivieren sich selbst, für andere ist die Gruppe wichtig“, weiß Anke Ramson. Leider gebe es immer wieder Abbrecher.

Allein aus den Gebühren der Besucher finanziert sich der Kursus nicht, der dienstags um 18 Uhr in den Tornescher Räumlichkeiten der Volkshochschule beginnt. Doch für Inga Pleines ist das Angebot eine gesellschaftliche Notwendigkeit.

500 bis 600 Lernende sind bei den Volkshochschulen in Schleswig-Holstein registriert, berichtet Petra Mundt vom VHS-Landesverband. 250.000 Analphabeten gibt es im Land zwischen den Meeren, 7,5 Millionen bundesweit. Dies sind Zahlen aus einer wissenschaftlichen Arbeit, Level-One-Studie (leo) genannt. Das 2010 an der Universität Hamburg vorgelegte Papier, an der das Forschungsinstitut infratest dimap mitwirkte, gilt als erste wirklich grundlegende Arbeit zu dem Thema. Aus der leo-Studie kann für den Kreis Pinneberg die Zahl von knapp 28.000 Analphabeten bei gut 300.000 Menschen abgeleitet werden. Früher sei von geringeren Zahlen ausgegangen worden, die auf Schätzungen beruhten, so die Schleswig-Holsteinische Koryphäe in Sachen Analphabetismus.

Eine „leichte Verbesserung“ hat Astrid Mundt in der jüngeren Vergangenheit ausgemacht. Das gilt vor allem für den Bereich der jüngeren Erwachsenen und hat seinen Ursprung in der neuen Bildungspolitik. „Da hat sich viel getan“, sagt sie. So waren es vor einiger Zeit noch zehn Prozent der Abgänger, die die Schule ohne Abschluss verließen. Heute sind es in Schleswig-Holstein sechs Prozent.

Zudem würden Lehrer ein stärkeres Augenmerk auf die Lese- und Schreibkompetenz der Schüler legen, erklärt die VHS-Expertin. Hinzu kommt, dass bei dem immer häufiger genutzten Gruppen- oder Individualunterricht Schwächen früher erkannt werden.

Hoffnung setzt Petra Mundt in eine neue Kampagne, die heute von der Bundesministerin für Bildung und Forschung gestartet wird. Professor Dr. Johanna Wanka ruft die „Nationale Dekade für Alphabetisierung“ aus.