Pinneberg. Pinneberg schickt Asylbewerbern Gerichtsvollzieher ins Haus. Sie sollen für teurere Unterbringung in Hotels zahlen.
Allein in einem fremden Land, geflüchtet aus der Heimat, ohne Sprachkenntnisse: Und plötzlich steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Der will für die Stadt Geld eintreiben. Für die entstandenen Kosten der Notunterkunft. Auf rund 1000 Euro soll sich die Summe belaufen, die der Flüchtling plötzlich bezahlen soll. Klingt aberwitzig? Ist aber genauso in Pinneberg abgelaufen – und „es ist kein Einzelfall“, wie Marc Trampe als Sprecher der Pinneberger Stadtverwaltung am Freitag einräumt.
In zahlreichen Fällen sollen Asylbewerber auch Schreiben erhalten haben, in denen ihnen mit Vollstreckung und dem Besuch des Gerichtsvollziehers gedroht wurde. Betroffen waren all diejenigen, die Pinneberg aufgrund des Platzmangels länger als zwei Monate in Hotels untergebracht hat. Bis Anfang August waren das allein 110 der 259 Flüchtlinge. Wie viele Asylbewerber von dem bedrohlichen Schreiben und dem anschließenden Besuch genau betroffen sind, konnte Trampe am Freitag nicht beziffern. Klar ist, dass sie für zusätzlich anfallende Unterbringungskosten in den Gasthöfen zur Kasse gebeten werden sollten.
Die Stadt liegt im Streit mit der Kreisverwaltung
Hintergrund ist ein Streit zwischen der Stadt Pinneberg und der Kreisverwaltung. Dabei geht es um die höheren Kosten, die durch die Unterbringung in Gasthöfen beziehungsweise Hotels entstehen und die Frage, wer dafür zahlt. Laut dem Asylbewerberleistungsgesetz teilen sich das Land mit 70 Prozent und der Kreis mit 30 Prozent die Unterbringungskosten – wenn sie im Bezug zur Mietobergrenze angemessen sind. Das sind im Fall von Pinneberg 427 Euro pro Monat und Person.
Liegen sie wie bei der Anmietung von Hotelzimmern mit durchschnittlich 750 Euro pro Monat darüber, werden laut eines Erlasses des Innenministeriums für einen kurzfristigen Zeitraum auch höhere Kosten übernommen. Gestritten wird nun über das Wort kurzfristig.
Die Kreisverwaltung interpretiere laut Trampe „kurzfristig“ mit einem Zeitraum von zwei Monaten. „Das ist eine restriktive Handhabung und entspricht nicht der Wirklichkeit in den Kommunen“, kritisiert der Rathaussprecher. Wie man das in der Kreisverwaltung sieht, war am Freitag nicht herauszubekommen. Sprecher Oliver Carstens vertröstete aufgrund einer Radtour der Stabsstelle auf Montag. „Wir fühlen uns im Stich gelassen“, legt Trampe nach und zielt auch auf das Kieler Innenministerium ab. Das könnte ein Machtwort sprechen und den kurzfristigen Zeitraum definieren, damit hätte der Streit ein Ende. Laut Trampe dränge Pinneberg seit 2014 auf Klärung. Trotz mehrfacher Anschreiben und Appelle habe es bislang keine Reaktion aus Kiel gegeben.
Pinneberg muss verstärkt auf Gasthöfe und Hotels setzen
Pinneberg greift im Unterschied zu anderen Städten und Gemeinden im Kreisgebiet verstärkt auf Hotels und Gasthöfe zurück. „Wir haben eine besondere Wohnungsstruktur und verfügen kaum über Sozialwohnungen“, sagt Trampe. Daher sei nur in Ausnahmefällen eine Umsiedlung der Flüchtlinge nach zwei Monaten Hotelaufenthalt machbar. Für die Differenz müsste dann das finanziell klamme Pinneberg aufkommen. „Seit Jahresbeginn sind bereits Kosten in sechsstelliger Höhe bei uns aufgelaufen“, so Trampe.
Die Stadt hat wiederum keine Handhabe, Kreis und Land zur Übernahme der zusätzlichen Kosten zu zwingen. „Laut Asylbewerberleistungsgesetz hat der Asylbewerber Anspruch auf Übernahme der Unterbringungskosten, nicht die Stadt. Klageberechtigt wäre also allein der Asylbewerber“, sagt Trampe. Bisher habe die Stadt aber keinen Asylbewerber gefunden, der ein solches Verfahren durchfechten will. Dass die Stadt die betroffenen Flüchtlinge deshalb mit Rechnungen, Mahnungen und Vollstreckungsbescheiden überzieht, um einen Klagewilligen zu finden, weist Trampe zurück.
Das Problem sei laut Trampe, dass gegen die Betroffenen eine offene Forderung bestünde und die Stadt angehalten sei, offene Forderungen nun einmal einzutreiben. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter der Stadtkasse gar nicht wissen würden, dass es sich um einen Flüchtling handele. „Wir unterliegen dem Sozialdatenschutz“, so Trampe. Ein Abgleich der Daten zwischen der Stadtkasse, die für die Vollstreckung zuständig sei, und dem Sozialamt, das sich um die Unterbringung kümmert, sei rechtlich nicht möglich.
Eine ehrenamtliche Betreuerin deckte das Vorgehen der Stadt auf
Dass die Verwaltung Gerichtsvollzieher gegen Flüchtlinge in Gang setzt, kam durch eine ehrenamtliche Betreuerin ans Licht. Sie wandte sich hilfesuchend an die Stadt. Als sie dort abblitzte, schaltete sie die Fraktion Grüne & Unabhängige ein. Die ist empört über Pinnebergs „besondere Form der Willkommenskultur“. Sie forderten am Freitag in einer Erklärung von Bürgermeisterin Urte Steinberg, das Vorgehen sofort zu stoppen, versendete Bescheide zurückzuziehen und von Flüchtlingen bezahlte Mehrkosten zurückzuerstatten.
Die Stadt will einlenken. Es soll künftig keine Mahn- und Vollstreckungsverfahren mehr geben. „Wir haben uns an den Datenschutzbeauftragten des Landes gewandt, um eine Ausnahme vom Sozialdatenschutz zu erreichen“, so Trampe. Zudem werde mit Hochdruck an der Schaffung von Wohnraum gearbeitet, um die Hotelunterbringung zu reduzieren.