Bei verschiedenen Rundgängen mit Natur- und Landschaftsführerin Annkatrin Holbach lernen Teilnehmer Elmshorn kennen. Diesmal spürt sie der Existenz von Juden nach.

Elmshorn. Der jüdische Friedhof von Elmshorn ist ein verwunschener Ort. Mächtige Bäume und jahrhundertealte Grabstätten mit verwitterten Inschriften stehen dort. Ein Trampelpfad schlängelt sich durch das ansonsten ungemähte Gras der mehr als 300 Jahre alten Anlage. Morbide Romantik statt präziser Parkpflege.

Die Ästhetik des Verfalls gehört zum Prinzip auf jüdischen Friedhöfen. Anders als bei den Christen haben jüdische Tote ein ewiges Ruherecht. Geharkte Beete sucht man daher auf dem Gelände an der Feldstraße vergebens. Ein „Neubelegen“ der Gräber ist tabu, Blumenschmuck unüblich. „Beim Friedhofsbesuch hinterlassen die Angehörigen lediglich einen kleinen Stein auf dem Grab“, erklärt Annkatrin Holbach, zertifizierte Natur- und Landschaftsführerin.

Holbach muss es wissen. In den vergangenen Monaten hat sich die 68-Jährige intensiv mit der Kultur und der Geschichte der Juden in Elmshorn auseinandergesetzt. Am Sonntag, 22. März, will Holbach ihr Wissen weitergeben. Unter dem Titel „Auf jüdischen Spuren durch Elmshorn“ bietet sie von 15 Uhr an einen Rundgang durch ihre Heimatstadt an. Innerhalb von drei Stunden will sie den Teilnehmern mehrere Orte zeigen, an denen Juden gelebt und gearbeitet haben. Auch der Friedhof an der Feldstraße samt Andachtshalle gehört dazu. Den Abschluss bildet ein Besuch der Synagoge am Flamweg.

„Die Existenz von Juden in Elmshorn ist seit 1685 belegt“, sagt Holbach. Damals erhielt Behrend Levi von Christian Detlev Reichsgraf zu Rantzau einen Schutzbrief, der den Juden unter anderem Religionsausübung gestattete. Die Gemeindegründung folgte vermutlich 1688, die erste Synagoge öffnete 1749.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verbesserte sich die rechtliche und gesellschaftliche Situation der Juden. „Sie durften in Vereinen und Politik mitarbeiten. In Elmshorn haben sie das öffentliche Leben sehr segensreich gestaltet“, sagt Holbach. In Archiven und Büchern hat die Stadtführerin Familiengeschichten aus dieser Zeit gefunden, die sie den Teilnehmern des Rundgangs erzählen will. Zur Veranschaulichung wird die ehemalige Deutsch- und Erdkundelehrerin auch Kopien von historischen Fotos und Urkunden mitbringen.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann auch für die Juden in Elmshorn ein schwarzes Kapitel. Wirtschaftlicher Boykott, Entrechtung und Repression waren an der Tagesordnung. In der Pogromnacht vom 10. November 1938 brannte die alte Synagoge am Flamweg nieder. Eine Gedenkstätte an selber Stelle erinnert seit 2010 an das Verbrechen. Übrig geblieben ist auch eine Thora-Rolle. Sie befindet sich heute im Judaica-Museum in New York City, das vom ehemaligen Elmshorner Rudolf Baum gegründet wurde. Im Zuge des Novemberpogroms deportierten die Nazis fast alle männlichen Gemeindemitglieder in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Die noch in Elmshorn verbliebenen Juden wurden von 1940 an abtransportiert. Albert Hirsch, der letzte Gemeindevorsteher, beging kurz vor seiner Deportation Selbstmord. Im November 1943 vermeldete die Stadt Elmshorn schließlich, dass sie „judenfrei“ sei. Heute weisen 25 sogenannte Stolpersteine im Asphalt der Stadt auf die Schicksale der Opfer hin. Eine der quadratischen Messingplatten wird Annkatrin Holbach exemplarisch aufsuchen: An der Kirchenstraße 4 will sie an Georg Rosenberg erinnern, der dort einen Papiergroßhandel führte und 1943 nach Auschwitz deportiert wurde.

Der jüdische Friedhof überdauerte die Zeiten. Seit Ende vergangenen Jahres steht das Gelände unter Denkmalschutz. „Der Friedhof gilt als einer der schönsten in Schleswig-Holstein“, sagt Holbach. Mit Mitteln des Landesdenkmalamtes, der Stadt und einiger Sponsoren sollen die etwa 130 Grabsteine vor dem Verfall bewahrt werden.

Das jüdische Leben in Elmshorn nahm mit dem Zuzug osteuropäischer Juden in den 1990er-Jahren wieder an Fahrt auf. 2012 weihte Landesrabbiner Walter Rothschild eine Synagoge ein – in einem Apartment am Flamweg, in der Nähe des alten Standortes. Dass die Wohnung aus dem Jahr 1890 schon zuvor in jüdischer Hand war, davon zeugen alte Holzeinbauten, die mit Davidstern und anderen Symbolen verziert sind. Details dazu und zum Brauchtum will Gemeindevorsteherin Alisa Fuhlbrügge am Ende des Rundgangs in den Räumen der Synagoge erklären.