Beim „lebendigen Adventskalender“ treffen sich jedes Jahr im Dezember Dorfbewohner zum Singen und Klönen. Dabei hat das Programm der jeweiligen Gastgeber schon so manche Überraschung hervorgebracht.
Kölln-Reisiek. „Da kommen sie angeschlichen“, sagt Jean Hertwig, als eine Gruppe von Menschen gemächlich auf das Backsteinhaus am Reihergrund in Kölln-Reisiek zusteuert. Sie kann im Dunkeln nur ihre Schatten sehen. Noch werden einige Gäste zu diesem besonderen Abend erwartet. „Man weiß ja nie genau, wer kommt, das ist das Spannendste“, sagt Barbara Sievers, Hertwigs Nachbarin, die an diesem Abend mit ihrem Mann Uwe ihr Carport zur Verfügung stellt.
Beim „lebendigen Adventskalender“ ist jeden Tag ein anderer Haushalt aus Kölln-Reisiek Gastgeber, am Sonnabend gab es jedoch eine Ausnahme: Alle Bewohner der Straße Reihergrund luden gemeinsam zu dem Beisammensein ein. Das wird in dem Neubaugebiet schon seit einigen Jahren so gehandhabt.
Eingeladen ist zu dem Nachbarschaftstreff, der an allen Dezemberabenden veranstaltet wird, die gesamte Gemeinde Kölln-Reisiek. „Es beginnt der Advent und jeder rennt hier mit einem leeren Becher und einer Taschenlampe durchs Dorf“, sagt Bernhard Taut aus dem Gemeinderat. Denn jeder Besucher muss sich sein Grundbesteck selbst mitbringen. „Wenn man als Ausrichter Pech hat, können auch 3000 Leute kommen.“ Im Durchschnitt sind es dieses Jahr aber 40 bis 50 Kölln-Reisieker gewesen, die sich täglich von 19 bis 20 Uhr im Freien versammelt haben. Besinnliches Beisammensein für die ganze Familie ist das Motto des von der Gemeinde organisierten Projekts. Manchmal bleiben die Leute sogar deutlich länger als die vorgesehene Stunde.
Da werden Liederzettel verteilt, vorweihnachtliche Geschichten erzählt oder außergewöhnliche Dekorationen gezeigt. Etwa eine Modelleisenbahn, die durch einen Vorgarten tuckert, oder eine aufgespannte Wäscheleine, von der sich jeder Besucher ein Plüschtier abschneiden darf. Ein Vater, der Historiker ist, erklärte des Gästen auch einmal, wie das Wahlsystem zur Kaiserzeit funktionierte. So entscheidet jeder Gastgeber selbst, was er präsentieren oder mit den Besuchern veranstalten möchte. Richtig gut kommen laut Bernhard Taut zum Beispiel immer Geschichten auf Plattdeutsch an und dann gibt es natürlich noch die Klassiker. „Ich habe bestimmt schon fünf Mal ‚die Weihnachtsmaus‘ gehört, aber das macht nichts“, sagt Bernhard Taut. „Wer nicht immer dabei war, weiß das ja nicht. Und außerdem liest jeder die Geschichte anders.“
Den „lebendigen Adventskalender“ gibt es in Kölln-Reisiek nun schon seit fünf Jahren und immer mehr Einwohner machen mit. Sogar einige Nachbargemeinden sind schon angesteckt worden. Initiatorin ist Elke Kruse vom Schul- und Kulturausschuss, die sich im Umkreis von Ratzeburg inspirieren ließ. „Ich habe da so eine Idee, aber ich weiß nicht, ob das funktioniert“, sprach sie einst bei der Bürgermeisterin und dem Ausschuss vor. Und es funktionierte. Bis zu 80 Kölln-Reisieker sind in der Regel täglich in der Adventszeit dabei. Als der örtliche Kindergarten an der Reihe war, kamen sogar um die 200 Gäste. Auch die Gastgeber aus dem Reihergrund freuten sich am Sonnabendabend über rege Beteiligung.
„Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“, trällern etwa 50 Kölln-Reisieker. In ihrem Rücken auf dem Rondell der Sackgasse leuchtet eine sechs Meter hohe, geschmückte Tanne. Im Anschluss darf Pfarrer Stefan Langer eine christliche Weihnachtsgeschichte erzählen. „Prost“ schallt es aus den hinteren Reihen, kurz nachdem er fertig ist. Für das leibliche Wohl haben die Bewohner des Reihergrunds gesorgt, die Gäste können sich an insgesamt 40 Litern Glühwein, zehn Litern Apfelpunsch, 60 geschmierten Schmalzbroten und ein paar Keksvarianten bedienen. Bewirtung sei aber kein Muss, es solle ja kein Stress für die Ausrichter sein, betont Elke Kruse.
Und wenn es doch einmal zu viel ist und etwas schief läuft, dann sind alle nachsichtig. Wie bei der Sache mit der Adventskalendernummer. Denn an jedem Tag wird beim „lebendigen Adventskalender“ auch ein echtes Türchen oder Fenster geöffnet. Dabei hat sich eine Partei der Reihergrund-Bewohner diesmal um einen Tag geirrt. Statt einer „20“ prangte eine große „21“ an der Fensterscheibe eines Hauses. Uwe Sievers, bei dem sich an diesem Abend alle versammelt haben, lacht verständnisvoll. „Die Familie ist im Babystress“, sagt er und stimmt wieder ins Weihnachtslied ein.