Der Seniorenbeirat läuft gegen die Sparmaßnahme Sturm und auch der Träger, das DRK in Wedel, kritisiert die Pläne. Grund für den Ärger: Die Stadt will sich aus der Finanzierung des Betreuten Wohnens zurückziehen.
Wedel. Magdalena Heinsohn sitzt in ihrem großen, bequemen Sessel. Allein. Es ist still in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung, die sie einst mit ihrem Mann bewohnte, der verstorben ist. Einsam? Nein, das ist die 96-Jährige nicht. „Nur, wenn ich es will“, sagt sie. Die Rentnerin genießt einen Komfort, den Menschen ihres Alters selten haben: Sie kann sich aussuchen, ob sie allein sein möchte. Wenn nicht, muss sie nur vor die barrierefreie Tür ihrer Wohnung treten und ein paar Schritte gehen. Dann steht sie im Gemeinschaftsraum der Wohnanlage. Zwei angestellte Mitarbeiterinnen kümmern sich um das Wohl der Bewohner.
Die Anlage ermöglicht Senioren ein gutes Leben – auch solchen, die wenig Geld haben. Doch das besondere Angebot steht auf der Kippe, denn eine Mehrheit der Wedeler Politiker will die städtischen Zuschüsse für die Einrichtung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Wedel aufkündigen. Der Seniorenbeirat läuft gegen die Pläne Sturm, auch das DRK pocht auf die bestehenden Verträge, die man auch mit den Bewohnern geschlossen hat.
Obwohl Magdalena Heinsohn auf einen Rollator angewiesen ist, geht sie häufig aus dem Haus. So wie an diesem Montag. Heinsohn wartet, bis die Turnstunde beginnt. Die besucht sie zusammen mit anderen Bewohnern der Anlage an der Rudolf-Höckner-Straße. In dem roten Klinkergebäude gibt es 18 Wohnungen. Alle sind belegt. Die Warteliste ist lang. Das liegt unter anderem daran, dass die Wohnungen sozial gefördert und die Mieten für Wedeler Verhältnisse erschwinglich sind. Es liegt aber auch daran, dass die Bewohner viel geboten bekommen. Die beiden Mitarbeiterinnen der Wohnanlage helfen bei der Bewältigung des Alltags, sind vormittags und nachmittags vor Ort. Sie organisieren Fahrdienste oder einen Haustechniker. Einmal pro Woche wird eine Einkaufstour angeboten. Wenn ein Bewohner krank wird, erledigen die Mitarbeiter der Anlage die Einkäufe für ihn.
„Es ist ein richtungsweisendes Projekt für weniger Begüterte. Dieses vorbildliche Angebot setzt Standards für freie Träger und Stiftungen und muss als Beispiel erhalten bleiben“, sagt Sigrun Klug. Die Vorsitzende des Seniorenbeirates in Wedel ist über den Einsparvorschlag erschüttert und hatte sich vor der Abstimmung auch an die Politiker gewandt. Ohne Erfolg. „Das Projekt abzuschaffen, wäre ein Armutszeugnis für die Stadt“, sagt Klug. Doch genau das droht. Nachdem die Gewerbesteuern eingebrochen sind, muss Wedel ein 28 Millionen Euro großes Loch stopfen. Dieser Sparzwang führte zum Vorschlag, den Vertrag mit dem DRK über das Wohnprojekt an der Rudolf-Höckner-Straße aufzukündigen. Das Angebot kann das DRK so nur mithilfe der Stadt aufrecht erhalten.
Pro Jahr erhält der Ortsverein einen Zuschuss in Höhe von 21.800 Euro. Damit deckt das DRK einen Teil der Personalkosten für die beiden Mitarbeiterinnen. Eine politische Mehrheit entschied sich in der vergangenen Ratsversammlung nun dafür, den Vertrag aufzukündigen, den die Stadt vor etwa 20 Jahren mit dem DRK schloss. Allerdings läuft der Vertrag noch bis 2019 und ist nur in schwerwiegenden Fällen und in einvernehmlichem Einverständnis kündbar.
Josef Musil wehrt sich gegen die Kündigung. Der sonst so diplomatische Vorsitzende des Wedeler DRK-Ortsvereins bezieht deutlich Position: „Ich bin den Bewohnern, aber auch den angestellten Mitarbeiterinnen verpflichtet. Sie haben eine Arbeitsgarantie bis 2019.“ Musil bezweifelt, dass die finanzielle Lage der Stadt als schwerwiegender Grund gelten kann, die getroffene Vereinbarung mit den Bewohnern aufzukündigen. Denn das müsste er tun. Die Betreuung wäre in diesem Umfang nicht mehr aufrecht zu erhalten und somit jeder Betreuungsvertrag mit den einzelnen Bewohnern zu kündigen.
Soweit will es Musil bei allem Verständnis für die Sparbemühungen der Stadt nicht kommen lassen. Er verweist darauf, dass das DRK bereits Zuschusskürzungen für die Begegnungsstätte in Höhe von 10.000 Euro freiwillig in Kauf genommen habe, trotz bestehenden Vertrages. Zudem habe sich das DRK auch im Bereich des Betreuten Wohnens mit möglichen Einsparungen oder Umstrukturierungen befasst, sei aber schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass sich das wirtschaftlich nicht lohne. Das liege vor allem an den öffentlichen Fördergeldern, die dann zurückgezahlt werden müssten. Das ist auch der Stadtverwaltung und den Kommunalpolitikern bewusst. Trotzdem soll die Kündigung geprüft werden. Musil versteht es nicht. „Es ist wirtschaftlich unsinnig und ethisch nicht in Ordnung“, sagt er.
Wenn es nach Musil geht, wird an dem Projekt zumindest bis 2019 nicht gerüttelt. Doch was dann? Die Wohnungen fallen nach 25 Jahren aus der sozialen Bindung und auch der städtische Zuschuss steht vor dem Aus. Beides könnte für die Bewohner zu hohen Kosten führen. Doch der DRK-Chef gibt sich kämpferisch. Er möchte das einzigartige Projekt aufrecht erhalten.
Ein Baustein, der dem DRK zur finanziellen Unabhängigkeit von städtischen Zuschüssen verhelfen soll, entsteht ganz in der Nähe der Wohnanlage. Auf dem Nachbargrundstück plant das DRK den Bau von zwölf weiteren Wohnungen für Senioren. Ohne soziale Mietpreisbindung. Die Bewohner könnten die Vorteile der Anlage von nebenan mitnutzen. Spatenstich ist für Februar 2015 geplant.