Vor 50 Jahren entwarf Star-Architekt Richard Neutra eine Siedlung in Quickborn. Heute sind die Häuser denkmalgeschützt und sehr gefragt. Eine Ausstellung zeigt nun die Besonderheiten dieser Wohnkultur.
Quickborn/Frankfurt. Sie hatten sich in dieses „Geisterhaus“ regelrecht verliebt. Seit sechs Jahren stand der 180 Quadratmeter geräumige, lichtdurchflutete Bungalow auf dem 1000 Quadratmeter großen Grundstück an der Quickborner Marienhöhe leer. Doch dann schnappte ein anderer Gabriele Degner und Dennis Neumann ihr Traumhaus vor der Nase weg. Als der Käufer jedoch feststellte, wie aufwendig die Sanierung des heruntergekommenen Baus werden würde, verkaufte er es lieber weiter an das junge Paar.
Nun lebt die Familie seit anderthalb Jahren in der denkmalgeschützten Siedlung mit 67 Häusern, die vor 50 Jahren der kalifornische Stararchitekt Richard Neutra für die Bewo-Bau in Quickborn konzipiert hatte. Bis zum 25. Oktober zeigt noch eine Ausstellung die Entwicklung dieser ungewöhnlichen Flachbauten mit den großen Fensterfronten und den schönen Gärten. Außer einer Siedlung mit 42 Bungalows in Waldorf bei Frankfurt ist es das einzige Architektur-Ensemble, das der gebürtige Österreicher Neutra in Europa geplant und gebaut hat.
Die Gärten, die die Häuser alleinstehend mitten in der Natur erscheinen lassen, obwohl sie dicht an dicht gebaut sind, hat der Gartenarchitekt Gustav Lüttge konzipiert, der 1953 in Hamburg den Alsterpark anlegte. „Das ist städtebaulich hervorragend gemacht“, würdigt Annelie Fesser von der Unteren Denkmalbehörde des Kreises Pinneberg die Neutra-Siedlung. „Wenn man aus dem Wohnzimmer blickt, hat man das Gefühl, den Garten direkt um sich zu haben, und dass die Nachbarn ganz weit weg sind.“
Heute erfreuen sich die Häuser wachsender Beliebtheit, sagt Hilmer Goedeking von der Neutra-Gesellschaft in Frankfurt, der selber seit zwölf Jahren in einem solchen Haus lebt. „In Waldorf haben wir eine Warteliste für Interessenten.“ Die Preise sind in die Höhe geschossen. „Sie haben sich in den vergangenen zehn, 15 Jahren verdoppelt“, sagt Goedeking. Die gestiegene Nachfrage haben auch Gabriele Degner und Dennis Neumann und ihre Quickborner Nachbarn bemerkt. Für ein unrenoviertes Neutra-Haus würden bis zu 300.000 Euro verlangt. Aber auch 1964, als die damals hochmodernen Häuser errichtet wurden, waren sie kein Schnäppchen. Preise von mehr als 200.000 Mark wurden damals verlangt.
Als das Landesamt für Denkmalpflege die Häuser vor zehn Jahren unter Schutz stellte, waren damit nicht alle Eigentümer einverstanden. Einige, wie Melanie und Hans Bienlein, fürchteten enorme Kosten für Umbauten und notwendige Wärmeschutzmaßnahmen. Sie klagten gegen die Denkmalbehörde. Letztlich hätten sie sich auf einen Vergleich geeinigt, sagt Bienlein, mit dem sie heute noch gut leben könnten. Der 84-Jährige und seine Frau sind vor 47 Jahren aus Genf hierher gezogen und haben drei Kinder großgezogen. Am Anfang habe es viele Missverständnisse und unnötige Sorgen der Eigentümer gegeben, die meist ausgeräumt werden konnten, sagt Annelie Fesser vom Kreis.
Für die noch relativ frischen Neutrahaus-Bewohner Neumann und Degner ist der Denkmalschutz dagegen ein weiterer wichtiger Grund, weshalb sie sich in ihren vier Wänden wohlfühlen. Rund 100.000 Euro haben die beiden bereits in die Renovierung ihres Eigenheims gesteckt. Demnächst möchten sie die weißen Kunststofffenster wieder austauschen lassen, um mit Holzfenstern dem Originalzustand näherzukommen. Dabei seien sie eng im Gespräch mit Annelie Fesser vom Denkmalamt.
„Für mich ist das wie eine Oldtimer-Restauration“, sagt der Kfz-Meister Neumann. „Als wir Frau Fesser erzählten, dass wir unser Haus in den Ursprungszustand zurückversetzen wollen, blühte ihr Herz auf.“
Völlig begeistert war das Paar auch von dem Besuch Raymond Neutras, dem Sohn ihres Architekten, der im Juni auf Einladung der Neutra-Gesellschaft die Quickborner Siedlung seines Vaters begutachte. „Mit 30 Nachbarn standen wir in unserem Garten und staunten gemeinsam über die tolle Architektur des Kaliforniers“, schwärmt Neumann. Zu ihren Nachbarn zählten viele junge Familien, die stolz seien, hier zu leben. Am Wochenende kämen oft Touristen vorbei, um sich diese städtebauliche Attraktion anzusehen.
Das geht Hilmer Goedeking genauso. „Die Idee, gutes Wohnen zu schaffen, war damals revolutionär und ist heute noch aktuell.“ Der Mensch solle im Einklang mit der Natur leben. Wasserflächen spiegeln sich von außen nach innen. Darum die verglasten Wände bis zum Fußboden, Fensterfronten selbst im Badezimmer und Fußböden, die bis auf die Terrasse reichen. „Die Neutra-Häuser kommen eher lässig daher. Sie hängen quasi in der Landschaft“, sagt Goedeking. Auch Annelie Fesser meint: „Das ist bis ins kleinste Detail durchdacht.“ Das Luft-Heiz-System, das im Sommer kalte und im Winter warme Luft in die Räume strömen lässt, gehört zu diesem ausgeklügelten System. Einziges Problem ist der hohe Energieverbrauch. Das hat Familie Degner/Neumann trotz Fußbodenheizung noch nicht gelöst. 300 bis 400 Euro zahlen sie an Heizkosten – im Monat.
Die Ausstellung mit von Peter Löwy fotografierten Neutra-Häusern in der Stadtbücherei im Forum am Bahnhof ist montags, dienstags, donnerstags und freitags von 10.30 bis 14 Uhr und von 15 bis 18 Uhr sowie sonnabends von 9.30 bis 12 Uhr zu besichtigen. Im Frühjahr 2015 will die Neutra-Gesellschaft Infotafeln an der Marienhöhe aufstellen, um Besuchern dieses kleine architektonische Wunder nahezubringen.