Elke-Maria Lutz, ehemalige Jugendrichterin am Amtsgerichts Elmshorn und jetzt Vorsitzende des Elmshorner Kinderschutzbundes, spricht im Abendblatt-Interview über den Mord an der 18-Jährigen.
Elmshorn. Der Mord an Lisa Marie B. aus Tornesch im März dieses Jahres erschütterte Menschen in der ganzen Region. Derzeit muss sich der 16Jahre alte Lukas M. wegen Mordes aus Heimtücke vor dem Landgericht Itzehoe verantworten. Er hat gestanden, die 18-Jährige erwürgt zu haben. Auch Elke-Maria Lutz, ehemalige Jugendrichterin aus Elmshorn, verfolgt die Berichterstattung über den Prozess aufmerksam. Im Interview des Hamburger Abendblatts in Pinneberg erklärt sie, warum das Jugendstrafrecht nicht zu lasch ist und wo sich Eltern auffälliger Kinder Hilfe holen können.
Hamburger Abendblatt: Ist Ihnen aus Ihrer Laufbahn als Richterin ein ähnlicher Fall wie der Mordfall an Lisa Marie B. aus Tornesch bekannt?
Elke-Maria Lutz: Als Jugendrichterin am Amtsgericht in Elmshorn habe ich keine Mordfälle verhandelt. Die werden am Landgericht entschieden. Ein Fall ist mir dennoch besonders in Erinnerung geblieben ist: Ich hatte einen Jugendlichen, der Kinder sexuell missbraucht hat, in die Jugendpsychiatrie eingewiesen. Er hat selbst dort versucht, kleine Mädchen in der Sandkiste sexuell zu belästigen und musste deswegen in der forensischen Psychiatrie geschlossen untergebracht werden. Eine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie könnte auch für Lukas M. in Betracht kommen, wenn er aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig sein sollte.
Abendblatt: Der Angeklagte soll bereits vor dem Mord an Lisa Marie Mitschüler gewürgt haben. Hätte das soziale Umfeld nicht eingreifen müssen und so eventuell einen Mord verhindern können?
Lutz: Erst mit 14 Jahren ist man in Deutschland strafmündig. Die Strafjustiz beschäftigt sich nicht mit Auffälligkeiten von Kindern. Lukas war laut Zeitungsbericht erst 13 Jahre alt, als er ein Mädchen gewürgt hat. Damals hätte das Umfeld alarmiert sein müssen. Insbesondere die Eltern hätten etwas unternehmen und sich für ihren Sohn Hilfe holen müssen, zum Beispiel beim Jugendamt oder auch einen Jugendpsychiater. Ich weiß natürlich nicht, inwieweit das geschehen ist. Eltern können ihr Kind sogar in einer geschlossenen Jugendpsychiatrie unterbringen, wenn ein Facharzt dieses für notwendig hält. Die Polizei benachrichtigt bei schweren Auffälligkeiten von Kindern meistens auch das Jugendamt, das dann tätig werden sollte. Oft werden die jungen Männer, die später eine Gewalttat begehen, schon sehr früh auffällig. Dann stehen zum Beispiel auch Kita oder Schule in der Verantwortung. Außenstehende können sich auch direkt ans Familiengericht wenden.
Abendblatt: Nach seiner Verhaftung wurden auf dem Computer von Lukas M. Videos entdeckt, in denen Frauen gewürgt werden. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Konsum von Gewalt im Internet und einer Straftat?
Lutz: Einige Wissenschaftler verneinen einen Zusammenhang. Ich sehe das anders. In der Pubertät können junge Menschen Realität und Fantasie schlecht auseinander halten. In meiner Praxis habe ich erlebt, dass die Täter nach schlimmen Gewalttaten von den Folgen erschüttert waren, nach dem Motto, im Film sei der am Boden Liegende auch wieder aufgestanden und habe sich den Ketchup aus dem Gesicht gewischt. Daher halte ich die virtuelle Anreicherung mit Gewaltdarstellungen für höchst gefährlich. Im Übrigen hat der Kinderschutzbund gerade erst Google aufgefordert, Hinrichtungsvideos der Terrororganisation Islamischer Staat zu löschen oder wenigstens für Kinder und Jugendliche zu sperren.
Abendblatt: Ist das Jugendstrafrecht eigentlich zu lasch?
Lutz: Man kann sich natürlich immer fragen, welche Strafe angemessen ist, wenn ein Leben ausgelöscht wird. Aus Sicht einer Richterin gibt das Jugendstrafgesetzbuch ausreichend Möglichkeiten der Bestrafung an die Hand. Man muss sich vor Augen halten, was die Höchststrafe von zehn Jahren Freiheitsentzug für einen 16-Jährigen bedeutet. Der verbringt mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens im Gefängnis. Seit 2013 kann das Gericht im Urteil neben einer Jugendstrafe auch für Jugendliche die Sicherungsverwahrung vorbehalten. Das war lange Zeit ein Tabu, denn es widerspricht eigentlich dem Ziel des Jugendstrafrechtes, die Persönlichkeitsentwicklung des jugendlichen Täters positiv so zu beeinflussen, dass er in Zukunft keine Straftaten mehr begeht. Die Sicherungsverwahrung dient dem Schutz der Bevölkerung vor neuen Taten eines rückfallgefährdeten Täters.
Abendblatt: In welchen Fällen kann bei Jugendlichen die anschließende Sicherheitsverwahrung beschlossen werden?
Lutz: Wenn der Jugendliche zum Beispiel zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren oder wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt wird, und die Gesamtwürdigung des Jugendlichen und seiner Tat ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit einschlägig rückfällig wird. Dazu gibt auch ein Gutachter eine Stellungnahme ab. Dieses ist sehr schwer zu beurteilen, da niemand sicher weiß, wie ein junger Mensch sich entwickelt und man nicht vorsorglich alle Jugendlichen, die einmal mit einer schweren Tat auffallen, lebenslang einsperren kann.
Abendblatt: Sie haben als Richterin sicherlich auch viel Leid gesehen...
Lutz: Richter sind keine Maschinen, und auch für die Kollegen sind solche dramatischen Fälle nicht leicht. Sie haben oft genug selbst Kinder und fühlen Mitleid. Es gibt nichts Schlimmeres, als sein Kind durch ein Verbrechen zu verlieren. Auch die Eltern haben bestimmt nicht vorausgesehen, dass ihr Sohn eine derart schreckliche Tat begeht. Ich habe während der Suche nach Lisa Marie mitgezittert und gehofft, sie würde lebend gefunden.