Bevor der 16-Jährige im März Lisa Marie in Tornesch erwürgte, kam es zu drei ähnlichen Vorfällen. Möglich ist, dass die Jugendkammer für den Angeklagten Sicherungsverwahrung anordnet.
Tornesch/Itzehoe. Wie wurde Lukas M. zum Mörder? Der Werdegang des 16-jährigen Torneschers, der am 19. März die zwei Jahre ältere Lisa Marie in seiner Heimatstadt erwürgt hat, stand im Mittelpunkt des zweiten Prozesstages vor dem Landgericht Itzehoe. In dem laut Jugendstrafrecht nicht öffentlichen Verfahren muss sich Lukas M. wegen Mordes aus Heimtücke verantworten. Er hat bereits am 18. September mehr als zwei Stunden lang zur Tat ausgesagt und sein bereits bei der Polizei abgelegtes Geständnis wiederholt.
Die wichtigste Frage des Prozesses ist die, ob der 16-Jährige schuldfähig ist, also um das Unrecht seiner Tat wusste. Dazu hat die Dritte Jugendkammer mit Professor Dr. Peer Briken vom Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am UKE in Hamburg und dem Kieler Kinderpsychiater Günter Hinrichs vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein gleich zwei Spezialisten als Sachverständige geladen.
Sie müssen beurteilen, inwieweit Lukas M. zum Zeitpunkt der Tat in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eingeschränkt war. Dass der Angeklagte psychisch krank ist, steht offenbar außer Frage. Bevor er Lisa Marie tötete, griff er in drei Fällen Kinder und Jugendliche an.
Der erste Vorfall dieser Art ereignete sich 2011. Damals schnürte er als 13-Jähriger in einem kleinen Wald einer gleichaltrigen Klassenkameradin die Luft ab. Das Mädchen konnte um Hilfe rufen, dank des Eingreifens einer Spaziergängerin konnte Schlimmeres verhindert werden. Nach dem Übergriff musste sich Lukas M. in psychologische Behandlung begeben, er wurde zudem in eine andere Klasse an der Klaus-Groth-Schule versetzt.
Genützt hat dies offenbar nur wenig. In der Folgezeit wurden zwei weitere Würge-Übergriffe des Torneschers aktenkundig. Diesmal traf es zwei Jungen aus dem schulischen Umfeld von Lukas M.. Die Vorfälle sollen zwar schwerwiegend, jedoch nicht so gravierend wie die erste Attacke auf die Klassenkameradin gewesen sein. Drei Opfer des 18-Jährigen sind bereits im Mordprozess Lisa Marie von der Jugendkammer vernommen worden. Dabei sollen die Richter auch der Frage nachgegangen sein, warum Lukas M. trotz seines alarmierenden Verhaltens als weniger gefährlich eingestuft wurde und ihm damit eine Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung erspart geblieben ist. In diesem Fall könnte Lisa Marie noch leben.
Die 18-Jährige kannte Lukas M. aus der Tornescher Jugendfeuerwehr. Allerdings nur flüchtig. Das Zusammentreffen, bei dem Lisa Marie starb, war offenbar die erste Begegnung unter vier Augen. Laut seinem Geständnis lockte Lukas M. die 18-Jährige am 19. März unter dem Vorwand, mit ihr ein Gespräch führen zu wollen, in sein Tornescher Elternhaus. Dort schlich er sich an sein arg- und wehrloses Opfer heran, nahm es in den Schwitzkasten und drückte zu, bis Lisa Marie ohnmächtig wurde. Dann legte er die Hände um den Hals der jungen Frau und erwürgte sie. Lukas M. schaffte die Leiche auf ein Feld hinter seinem Elternhaus, wo sie nach einer tagelangen Suchaktion am 24. März entdeckt wurde.
Nicht ganz aufgeklärt ist, wann der Angeklagte die Leiche an den späteren Fundort brachte. Laut Obduktion wurde Lisa Marie erwürgt. Hinweise auf einen sexuellen Übergriff fanden sich nicht, sie sind jedoch nicht völlig ausgeschlossen. Eine sexuelle Komponente liegt jedoch nahe. Auf dem Computer von Lukas M. wurden Videos entdeckt, in denen Frauen gewürgt werden. Diese Videos sollen von pornografischen Seiten stammen.
Ilona und Nico B., die Eltern von Lisa Marie, haben sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen. Sie waren am zweiten Verhandlungstag Zeuge, als zwei Freunde des Angeklagten aussagten. Sie gingen auf die Persönlichkeit von Lukas M. ein und beschrieben, wie sich der Angeklagte nach dem Verschwinden von Lisa Marie in der Schule verhielt. Nach der Tat hatte Lukas M. Polizei und Medien gegenüber den besorgten Kumpel gemimt und versucht, den Verdacht auf den 18 Jahre alten Freund des Opfers zu lenken.
Die Eltern von Lisa Marie haben inzwischen zwei Anwälte beauftragt, ihre Interessen vor Gericht zu vertreten. Nach dem ersten Prozesstag hatten sie in einem ZDF-Interview beklagt, dass Lukas M. im Gefängnis von allen Seiten unterstützt wird, während sie leer ausgehen würden. Sie beschrieben, dass der Angeklagte völlig emotionslos der Verhandlung folgen, keinen Augenkontakt zu anderen Prozessbeteiligten suchen würde.
Ilona und Nico B. geht es nicht so sehr darum, dass Lukas M. die Höchststrafe, die laut Jugendstrafrecht auf zehn Jahre begrenzt ist, erhält. Sie wollen vielmehr anstreben, dass eine Sicherungsverwahrung gegen den 16-Jährigen verhängt wird, sodass dieser in absehbarer Zeit nicht mehr auf freien Fuß kommt. Dies ist auch in einem Jugendverfahren möglich. Voraussetzung dafür ist, dass die beiden Gutachter zu der Prognose kommen, dass der 16-Jährige dauerhaft für andere gefährlich ist. Bisher hat die Staatsanwaltschaft keine Sicherungsverwahrung beantragt. Die Gutachter sollen am 13. Oktober gehört werden, die Urteilsverkündung ist für den 15. Oktober vorgesehen.