Immer wieder wird im Norden der Kampfmittelräumdienst zu Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg gerufen. Das 14-köpfige Spezialteam kümmert sich darum, die alten Bomben zu entschärfen.
Helgoland/Bad Oldesloe. Die Landschaft auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme ähnelt einer Mondlandschaft – überall sind deutlich Krater zu erkennen. Doch auf dem Luftbild sind auch Häuser, Schienen und Bäume zu sehen. Es ist ein Foto von Bad Oldesloe vom 24. April 1945. Die Kreisstadt lag damals nach Bombenangriffen in Schutt und Asche. Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes in Felde bei Kiel werten solche Aufnahmen heute aus. Auch von der Insel Helgoland gibt es solche Aufnahmen, die an eine Mondlandschaft erinnern, vor allem nach Angriffen der Engländer im April 1945. Rund 7000 Bomben sollen damals auf den roten Felsen gefallen sein, 5718 Einschlagtrichter konnte der Kampfmittelräumdienst anhand von Luftfotos lokalisieren. Bis zum 21. Februar 1952 bombardierte die englische Luftwaffe Helgoland noch als Übungsziel. Auch heute noch sind die Spezialisten vom Kampfmittelräumdienst bei den Bauvorhaben auf Deutschlands einziger Hochseeinsel im Einsatz, beispielsweise beim Wohnungsbau auf dem Oberland oder im Südhafen, der für die Versorgungsschiffe der Offshore-Industrie ausgebaut wird.
„Hier, solche keinen Einschlaglöcher suchen wir“, sagt Alan Bock und tippt auf einen kleinen Schatten auf der Schwarz-Weiß-Landschaft. „Bomben, die explodiert sind, haben Krater hinterlassen. Blindgänger indes kleine Löcher“, sagt der 34 Jahre alte Mitarbeiter.
„Schleswig-Holstein war Ende des Zweiten Weltkriegs Rückzugsgebiet der deutschen Wehrmacht und wurde damit auch stark bombardiert“, sagt Oliver Kinast Leiter des Kampfmittelräumdienstes und damit Chef von 14 Mitarbeitern. Der Großteil wurde über Kiel abgeworfen. Doch auch andere Regionen wurden stark angegriffen, wie etwa das zur Festung ausgebaute Helgoland, im Kreis Pinneberg waren unter anderem auch Wedel und Elmshorn Ziele von Bombenangriffen.
„Wir gehen davon aus, dass zehn bis 15 Prozent der abgeworfenen Bomben Bildgänger waren und die müssen wir jetzt finden“, sagt Alan Bock. Hat er einen Punkt ausfindig gemacht, muss er erst mal herausfinden, wie das Gelände heute aussieht und wo genau die Bombe liegen könnte. „Das ist nicht immer einfach, weil sich die Landschaft natürlich stark verändert hat.“
Außerdem vergleicht er weitere Luftbilder von der Stelle. „Es könnte natürlich sein, dass auf anderen Luftaufnahmen an dieser Stelle plötzlich ein Krater ist, die Bombe also doch detoniert ist“, so der Experte. Erhärtet sich jedoch der Verdacht, wird ein Sondierungstrupp rausgeschickt. „Wir suchen mit Detektoren nach Metall im Boden und müssen dafür auch kleine Bohrungen machen“, sagt der Chef Oliver Kinast. Schlägt das Gerät an, wird gegraben. „Die Bomben liegen zwischen 20 und 6 Meter in der Tiefe“, so Kinast.
Doch nicht immer verbirgt sich im Erdreich gleich eine Bombe. „Wir haben auch schon Metallfässer oder größere Motoren ausgegraben“, sagt Kinast und frotzelt: „Man könnte uns also auch als Umwelttrupp bezeichnen.“ Doch in der Regel legen die Experten vom Kampfmittelräumdienst eine Bombe oder Granate frei. „Zunächst müssen wir bei Fliegerbomben gucken, was für einen Zündern angebracht ist“, sagt Kinast.
Bei einem sogenannten Aufschlagzündern können sich die Experten Zeit lassen und eine Entschärfung in den kommenden Tagen planen. Eine Gefahr geht von diesen Sprengkörpern nicht aus, solange man sie nicht berührt oder versucht zu Entschärfen. Anders bei einem Langzeitzünder. Dann muss alles schnell gehen. Denn solch eine Bombe könnte jederzeit explodieren. Denn diese Zündern sind so konzipiert, dass die Bombe nicht sofort bei Aufprall explodiert. Im Zünder ist in einem kleinen Fläschchen eine Säure. Geht das Fläschchen beim Aufprall kaputt frisst sich die Säure durch Plastikplättchen und löst damit den Sprengsatz aus. Je dicker das Plastik desto länger die Zeit (oft mehrere Tage) zwischen Aufprall und Explosion.
„Bei solchen Blindgängern ist zwar das Fläschchen mit der Säure nicht kaputt gegangen, allerdings kann Plastik über Jahre porös werden und dann detoniert die Bombe“, sagt Kinast: „Etwa einmal pro Jahr geht in Deutschland solch eine Bombe plötzlich hoch.“ Fliegerbomben mit solchem Zünder versuchen die Experten kontrolliert zu sprengen. Ist dass nicht möglich, gilt wie bei allen anderen Fliegerbomben auch: Zünder von Sprengstoff entfernen. „Oder umgekehrt. Lässt sich der Zünder nicht entfernen, müssen wir die Bombe aufsägen und den Sprengstoff, in der Regel TNT, rausholen“, so Kinast.
Die Entschärfung vor Ort macht entweder der Chef selbst oder sein Stellvertreter Georg Ocklenburg. „Weil wir die Verantwortung tragen, nicht nur für uns sondern auch für die Bevölkerung“, so Kinast. Denn er oder sein Vize bestimmen auch Bahnhöfe, Altenheime und Häuser zu evakuieren oder Bahnstrecken oder den Luftraum zu sperren.
Neben der Auswertung von Luftbildaufnahmen, die 70 bis 80 Prozent der Bombenfunde ausmacht, sind die Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes auch auf Zeitzeugen angewiesen oder auf Zufallsfunde. „Zeitzeugen können uns sagen, wo Munition oder Granaten versenkt wurden“, sagt Kinast.
Wann die letzte Weltkriegsbombe in Schleswig-Holstein entschärft wird, dass kann Kinast nicht sagen, schätzt jedoch dass es noch viele Jahrzehnte dauern wird. Zumal seine Kollegen von 150.000 Luftbildaufnahmen, bisher 69.000 ausgewertet haben.