Heide Sanati und Mohsen Rezai aus dem Iran sind zwei von 14 Flüchtlingen, die im Film „Persona non data“ von ihrer bewegenden Flucht nach Deutschland erzählen. Er wird bei den Interkulturellen Wochen gezeigt.
Elmshorn. Schon als Teenager las Heidi Sanati viele Bücher, sehr zum Ärger ihres Ehemannes. Die gebildete Iranerin engagierte sich in ihrer Heimat in den 80er Jahren politisch in der linken Opposition. Sie erinnert sich noch gut an den Tag, als sie über ihrem Haus eine Rauchwolke sah: „Mein Mann warf ein Buch nach dem anderen ins Feuer und sagte dabei, das ist Heides Arm, das ist Heides Bein, das ist Heides Ohr...“ Die Botschaft war eindeutig: Wenn sie nicht spurte, würde sie als nächstes brennen. Dennoch machte die junge Frau im Verborgenen weiter, traf sich mit anderen Kommunisten. Eines Tages warteten Mitarbeiter des iranischen Sicherheitsdienstes in ihrem Haus auf sie. Ihr Mann hatte sie verraten. Mit verbundenen Augen schleppten sie Sanati ins Gefängnis. „Dort wurde ich massiv gefoltert und immer wieder vergewaltigt“, sagt Sanati.
Ihre Tortur dauert zwei Jahre. Am Ende ist ihr Körper so zerstört, dass sie mit dem Tod ringt. Beide Beine sind mehrfach gebrochen, der Körper mit Entzündungen übersät. Aus Angst vor Konsequenzen brachten ihre Folterknechte sie in eine Irrenanstalt. In einem Brief an die Heimleitung machten sie deutlich: Dort habe sie bis ans Lebensende zu bleiben. Und ihr wirres Gerede über Folter entspringe einem kranken Hirn. „Der Professor in der Klinik glaubte mir aber“, sagt Sanati. Er pflegt sie gesund und lässt sie nach sechs Monaten gehen. Sie macht sich auf dem Weg zum Haus ihres Vaters. „Ich lauschte den Gesprächen auf der Straße und saugte das Leben in mich ein“, sagt sie.
Die Iranerin ist eine von 14 Flüchtlingen, die im Dokumentarfilm „Persona non Data“ über ihre Flucht aus der Heimat und Ankunft in Deutschland berichten. „Der Film wirbt um mehr Verständnis bei Deutschen für die schwierige Situation von Flüchtlingen“, sagt die Hamburger Filmemacherin Dorothea Carl, die schon in „Zwischen Welten“ Frauen mit Migrationshintergrund zu Wort kommen ließ. Andere fliehen als Erwachsene zu Fuß, in Booten, mit Fluchthelfern, fortgejagt von Krieg, Giftgas, Folter, Angst und Hunger. Sie landen in Hamburg, im Kreis Pinneberg oder in abgelegenen Containerdörfern. Sie berichten von schlaflosen Nächten, Papierkrieg mit deutschen Behörden und das Warten auf Asyl. Der Film hatte im April während der Dokumentarfilmwochen in Hamburg Premiere. Am Mittwoch, 17. September, von 18 Uhr an wird er kostenlos im Elmshorner Rathaus vom Forum der Vielfalt Elmshorn gezeigt. Anlass sind die Interkulturellen Wochen.
Manche sind noch Kinder, stark durch den Mut der Verzweiflung, so wie Mohsen Rezai. Er ist erst 15 Jahre alt, als er aus dem Iran flüchtet. Als Afghanen haben er und seine Familie dort so gut wie keine Rechte. Er schließt sich einer Gruppe Flüchtlinge an. Ihr Weg führt über die Türkei, durch Griechenland, Italien und Österreich nach Deutschland. In Griechenland stirbt sein Freund. Wie und warum, darüber redet Mohsen nicht. Bei der Schilderung seiner Flucht, bleibt er lieber an der Oberfläche.
Sanatis Sohn ist ungefähr im gleichen Alter wie Mohsen, als er im Iran den Kontakt zu seiner Mutter suchte. Er erzählte, wie unglücklich er und die beiden Schwestern bei dem Vater und seiner neuen Frau seien. Als Junge durfte er sich freier bewegen als die Mädchen. Sanati organisiert seine Flucht und heißt ihm, in der Türkei auf sie zu warten. Ein paar Monate später schließt sie sich einer anderen Gruppe Flüchtlinge an. Nachts laufen sie stundenlang, tagsüber verstecken sie sich. Nicht jeder der Flüchtlinge schafft es lebend bis in die Türkei. „Ein neun Jahre alter Junge stürzte in den Bergen ab“, sagt sie. „Die Mutter wurde einfach weiter gezogen und konnte ihr Kind nicht einmal bergen.“ In Istanbul bekommt sie gefälschte Papiere. Sie sind für Deutschland ausgestellt. 1983 landet sie in Hamburg und stellt den Asylantrag.
Jahre später landet auch Mohsen nachts auf dem Hamburger Hauptbahnhof, ohne ein Wort Deutsch zu können. Ein halbes Jahr hat er bis hierhin gebraucht. Mit der Bahn will er eigentlich gleich weiter nach Kopenhagen. Schweden heißt sein vorläufiges Ziel. Er hofft, dass er sich von dort nach Kanada zu seinem Cousin durchschlagen kann. „Wir sahen einen afghanischen Jungen am Bahnhof und fragten, ob er uns beim Ticketkauf helfen könne“, sagt der heute 20-Jährige. Der Junge möchte nichts Illegales tun, gleichzeitig seinen Landsleuten aber auch helfen. Er bietet Mohsen und seinem Kumpel an, mit ihm nach Pinneberg zu kommen und bei ihm zuhause zu duschen, zu essen und zu übernachten. Am nächsten Tag müssten sie aber gehen, so der Junge. „Als wir in Pinneberg ankamen, wollte er sein Fahrrad am Bahnhof mitnehmen“, sagt Mohsen. Die Polizei glaubt einen Fahrraddieb am Werk. Mit diesem Missverständnis endet Mohsens Flucht auf dem Pinneberger Polizeirevier.
Während Sanati auf ihre Anhörung vor Gericht wartet, will sie die Zeit nutzten, um Deutsch zu lernen. Nur wo und wie? Ohne die Sprache zu können, ist sie auch von Informationen abgeschnitten. Jemand schickt sie zum Sozialamt. Der Sachbearbeiter dort behandelt sie grob und sagt ihr, solange sie nicht deutsch spreche, brauche sie gar nicht wieder zu kommen. Sie verlässt weinend die Behörde und schwört sich, erst wiederzukommen, wenn sie Deutsch kann. Zugang zum Deutschkursus hat sie nicht und sie kennt niemanden in der Fremde, mit dem sie reden kann. „Eines Tages klingelten die Zeugen Jehovas“, sagt Sanati. Sie war so froh, jemanden zum Reden gefunden zu haben, dass sie die Sektenmitglieder von da an jeden Tag mit Tee und Kuchen verköstigte. Drei Monate später sprach sie Deutsch. „Ich wollte diskutieren und den Menschen begreiflich machen, warum ich hier bin“, sagt Sanati. Sie wollte ihnen begreiflich machen, dass auch die westlichen Länder Schuld am ersten Golfkrieg seien, indem sie dem Irak Waffen lieferten.
Da Mohsen bei seiner Ankunft in Deutschland minderjährig ist und keine Papiere bei sich hat, wird er der Obhut des Kinderschutzhauses in Elmshorn übergeben. „Die Regeln waren strikt“, sagt er. „Wir durften das Haus nicht verlassen.“ Der Grund: Er und sein Freund wollten von dort abhauen und sich weiter nach Schweden durchschlagen. Doch die Mitarbeiter können ihn überzeugen, zu bleiben. Mohsen besucht vormittags einen Deutschkursus, den er zur Hälfte von seinem Ersparten bezahlt, und nachmittags die Hauptschule. „Am Ende war ich fertig“, sagt er. Immer wieder fühlt sich der Teenager überfordert und rebelliert. Doch seine Schulkameraden bieten Halt. Sie üben mit ihm Deutsch, laden ihn auf Partys ein. Der offene junge Mann kommt gut an und findet schnell Anschluss. Nach zwei Jahren wird sein Asylantrag bewilligt.
Mit einem Trick gelingt es Sanati, auch ihre beiden Töchter nachzuholen. „Mein Sohn erzählte seinem Vater, dass er, sobald erstmal die minderjährigen Töchter in Deutschland seien, er ohne Probleme nachkommen könne“, sagt sie. Bis 1987 durften Kinder noch ohne Visum einreisen, Sanatis Mann allerdings nicht. „Der wartet heute noch im Iran auf Nachricht .“ Sanati fässt Fuß in ihrer neuen Heimat. Seit 25 Jahren berät und informiert sie andere Flüchtlinge, zuerst für die Arbeiterwohlfahrt, später im Flüchtlingszentrum Hamburg. „Meine Arbeit ist meine erste Heimat“, sagt Sanati, die vor 14 Jahren erneut heiratete. Die Schicksale ähneln sich, die meisten Flüchtlinge haben Furchtbares erlebt. „Glauben sie mir, niemand verlässt seine Heimat freiwillig.“ Sie versucht, deren Schmerz zu lindern, so wie die Arbeit sie ihren Schmerz vergessen lässt.
Nach vier Jahren in Deutschland spricht Mohsen fließend Deutsch. Er hat nach seinem Schulabschluss verschiedene Praktika gemacht, um herauszufinden, was ihm Spaß macht. Er hat 42 Bewerbungen geschrieben, wurde zu 15 Vorstellungsgesprächen eingeladen und konnte am Ende aus sieben Zusagen wählen. Er hat den Führerschein in der Tasche und lernt derzeit Latein. Das braucht er für seinen künftigen Job. Mohsen macht im Botanischen Garten in Klein Flottbek eine Ausbildung zum Gärtner. Mittlerweile ist er auch nicht mehr allein. „Mein Bruder lebt seit zwei Jahren in Deutschland“, sagt er und fügt stolz hinzu: „Er spricht mittlerweile noch besser Deutsch als ich.“