Die Population der Zugvögel habe stark zugenommen und müsse eingeschränkt werden. Denn die Tiere fressen sich durch das ausgesäte Wintergetreide. Umweltverband Nabu widerspricht.

Kreis Pinneberg/Kiel Nicht jeder freut sich darüber, wenn die Wildgänse im Herbst an die Unterelbe kommen, um dort zu überwintern. Wenn tausende Vögel auf den Feldern rasten und grasen, wo Wintergetreide gesät wurde, ärgert dies vor allem die Landwirte. „Der Gänsefraß ist enorm“, sagt Georg Kleinwort, Vorsitzender des Kreisbauernverbands in Pinneberg. Den Tieren müsse Einhalt geboten werden, da der Gänsefraß überhand genommen habe. Doch der Umweltverband Nabu warnt vor übereiltem Handeln.

Laut Kleinwort kämpft die Landwirtschaft inzwischen mit einem „erheblichen finanziellen Schaden“ von mehr als 100.000 Euro pro Jahr, den die Zugvögel verursachten. „Wir haben immens viele Gänse in der Region. Die Population ist inzwischen so stark, dass eingegriffen werden muss“, sagt Kleinwort. Das Vergrämen, also ein gezieltes Vertreiben der Tiere reiche nicht mehr aus. Das Land sei gefordert und müsse die Landwirte besser schützen.

Der Agrarpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Heiner Rickers, sagt, das das Problem bekannt sein, eine Lösung aber schwer zu finden. „Wir haben in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Wildgänsepopulation von rund 30.000 auf eine Million Tiere erlebt“, sagt er. Das bedeute, dass auf gleicher Fläche mehr Gänse nach Futter suchen würden. Und das würde die Landwirtschaft zunehmend zu spüren bekommen, insbesondere deshalb, weil die Wildgänse auch keine unbedeutenden Kotmengen produzierten. „Das Problem ist, dass auf den Kotflächen kaum etwas wächst“, sagt Rickers.

Der Agrarexperte sieht auch noch eine weitere Gefahr auf die Landwirtschaft zukommen. Da die Wildgänse viel resistenter als Hausgänse gegen Erkrankungen seien, steige mit einer wachsenden Wildganspopulation die Gefahr vor dem erneuten Ausbruch einer Vogelgrippe. Der Schaden bei den Geflügelhaltern in Norddeutschland könne im Falle einer erneuten Vogelgrippeepidemie bei rund einer Milliarde Euro liegen. Dass bislang nichts gegen die Wildgänse unternommen worden ist, stimmt ihn nachdenklich. „Es wird weiterschwelen, bis es irgendwann knallt“, glaubt er.

Der Wedeler Nabu-Gruppenleiter und Wildgansexperte Uwe Helbing meint, dass die jetzige Aufregung nicht gerechtfertigt sei. Gerade bei dem Thema Vogelgrippe rät er dazu, keine Panik zu schüren. „Hier in der Region haben wir Weißnonnengänse. Diese kommen aus Sibirien. Es ist mir nicht bekannt, dass diese das Bakterium transportierten“, sagt Helbing. Die Grippe komme aus dem südasiatischen Raum.

Unbestritten sei, so Helbing, dass Wildgänse Grünland und Getreidefelder den natürlichen Feucht- und Salzwiesen an der Elbe und der Nordsee vorzögen. Das satte Grün enthält mehr Nährstoffe und sei daher für die Gänse ein begehrtes Essen. Zutreffend sei auch, dass es in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Population der Wildgänse gegeben habe, dies sei Ergebnis verstärkter Schutzmaßnahmen und Jagdeinschränkungen. Dass die Zahl der Wildgänse aber inzwischen eine Million überschreiten solle, das sei unrealistisch.

„In der Elbmarschregion haben wir bis zu 15.000 Gänse, die dorthin kommen“, sagt Helbing. In Norddeutschland seien bei der letzten Zählung etwa 420.000 Wildgänse registriert worden. „Die Zahl ist jetzt sicher noch ein wenig höher, aber eine Million, das ist doch zu hoch gegriffen“, sagt der Nabu-Experte. Dass Landwirte und Jäger den Staat aufforderten, entweder Entschädigungen zu zahlen oder die Wildgänse wieder zum Schuss freizugeben oder die Tiere zu vergrämen, sei nichts neues. „Die Behauptungen, dass die Wildgänse alles wegfräßen, gibt es ständig“, sagt Helbing.

Untersuchungen hätten auch gezeigt, weidende Gänse nicht automatisch zu einem kompletten Ernteausfall führen würden, denn vielfach erholen sich die Pflanzen nach der Weidezeit. Auch die Klagen über ätzenden Gänsekot, der die Landschaft unfruchtbar hinterlasse, sei so nicht zutreffend. Zwar würden Gänze oft koten, doch bei den Ausscheidungen handle es sich vor allem um Zellulose. Gänsekot enthalte weder Säuren noch Laugen, der pH-Wert liege damit im neutralen Bereich. Daher sei Gänsekot eher ein Dünger denn ein Killer für Grünflächen.

Die Überlegungen von Politik und Landwirtschaft, die Tiere wegen angeblicher Schäden für die Landwirtschaft zu vergrämen, hält Helbing daher für unangebracht. Denn das würde die Probleme verschärfen. „Wenn Tiere vergrämt und mit Knallapparaten vertrieben werden, verbrauchen sie mehr Energie weil sie mehr fliegen. Diese Energie müssen sie wieder zu sich nehmen. Das bedeutet, dass die Gänse mehr essen würden“, sagt Helbing. Und wenn weniger Flächen für eine zunehmende Wildganspopulation zur Verfügung stünden, bedeute dies zwangsläufig, dass die noch vorhandenen Flächen künftig noch stärker strapaziert würden.

„Am besten wäre es daher, die Gänse in Ruhe zu lassen“, sagt Helbing. Sollte es tatsächlich einmal einen größeren finanziellen Schaden geben, so sollten den Landwirten Ausgleichszahlungen gegeben werden. Das sei besser, als die Wildgansbestände nun wieder massiv zu gefährden.