Karl-Heinz Kuhlemann, der seit beinahe 20 Jahren ehrenamtlich für das Elmshorner Stadtarchiv arbeitet, möchte an die 92 Opfer des letzten Bombenangriffs auf Elmshorn im Zwieten Weltkrieg erinnern.
Elmshorn. „Das war ein Morgengruß! Gerade war ich mit der Morgenwäsche gegen 7.15 Uhr fertig, da hörte ich, wie Flugzeuge im Gleitflug über unser Haus niedergingen, und gleich darauf fielen viele Bomben und Maschinen- und Flakfeuer folgte ratternd. Wieder galten die Bomben dem 7.07 Uhr nach Altona abfahrenden Zug.“ So beschrieb Heinrich Hinz, Lehrer an der Oberschule für Mädchen in Elmshorn, den Bombenangriff am 26. April 1945 in seinem Tagebuch. Nur wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges griffen englische und amerikanische Flugzeuge die Krückaustadt an. 92 Frauen, Männer und Kinder starben.
„Nur wenige erinnern sich daran“, sagt Karl-Heinz Kuhlemann. Der 82-Jährige arbeitet seit fast 20 Jahren ehrenamtlich für das Stadtarchiv. 2009 wurden Sperrfristen für die Standesamtsbücher eingeführt, 30 Jahre für Sterbefälle. Zuvor durften nur unmittelbare Verwandte die Unterlagen einsehen. Kuhlemann erarbeitete ein alphabetisches Verzeichnis für die Sterbebücher. In der Sterbeurkunde eines Fünfjährigen las er: durch Feindeinwirkung gefallen. „Das klang seltsam und ich wurde neugierig“, sagt er.
Dreimal wurde Elmshorn während des Zweiten Weltkrieges bombardiert. 1941 fiel ein Irrläufer auf die Stadt. Der großflächige Angriffe vom 3. August 1943 sind noch im kollektiven Gedächtnis der Elmshorner verankert. Ein Gemeinschaftsgrab auf dem kirchlichen Friedhof erinnert an die circa 60 Menschen, die dabei starben.
Vom dritten Bombenangriff am 26. April 1945 zeugen lediglich die Sterbebücher und Hinz` Tagebuch, das sich seit mehr als 20 Jahren im Besitz des Stadtarchivs befindet. Ansonsten gibt es keine schriftlichen Quellen über die schrecklichen Ereignisse. „In den Wirren der letzten Kriegstage gab es keine Zeitungen oder andere öffentliche Berichterstattungen mehr“, sagt Kuhlemann. Darum seien die Ereignisse des 26. April 1945 kaum noch jemandem bewusst. Aus diesem Grund möchte Kuhlemann mit einem Gedenkstein oder einer Tafel an die 92 Opfer erinnern.
Seine Frau frage ihn häufig, warum er sich so intensiv mit der Vergangenheit beschäftigt und so viel Zeit damit verbringt, diese aufzuarbeiten. „Wenn es meine Generation nicht mehr macht, erinnert sich bald niemand mehr daran, was passiert, wenn Krieg ist“, sagt Kuhlemann, dessen Vater und Onkel 1943 an der Front fielen. Ein entsprechender Antrag wurde vom Ausschuss für Kultur und Weiterbildung angenommen. Ein geeigneter Ort ist noch nicht gefunden.
Er selbst hatte die letzten Bombenangriffe als 13-Jähriger miterlebt. „Meine Mutter und meine Schwester hatten schon im Keller Schutz gesucht“, sagt Kuhlemann, der damals wie heute im Stadtteil Hainholz lebt. Er selbst schlief tief und fest, daran konnte auch der stundenlange Fliegeralarm, der die ganze Nacht durchdauerte nichts ändern. „Irgendwann nahm man den nicht mehr ernst.“ Der Einschlag der ersten Bombe in drei Kilometer Entfernung ließ ihn jedoch aus dem Bett hochfahren. Im Pyjama rannte er in den Keller. Dort harrten er und seine Familie die nächsten 30 bis 45 Minuten aus. Sein Haus wurde nicht getroffen.
Am Abend gegen 18.45 Uhr kam es zu einem weiteren Angriff mit Sprengbomben. Den Stadtteil Langelohe traf es besonders schwer. „Ich erinnere mich, wie zwei Enkelkinder unserer Nachbarin zu Fuß kamen, um im Haus der Großmutter Zuflucht zu suchen“, sagt Kuhlemann. Das jüngere Mädchen, damals vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, war verletzt. „Ihre Schwester muss 15 Jahre alt gewesen sein.“ Die Familie hatte insgesamt acht Kinder. In dem Bombenhagel an diesem besagten Tag starben drei von ihnen. Die Jungen wurden nur zwei, vier und fünf Jahre alt. Ihr Haus an der Köllner Chaussee 1 war völlig zerstört worden.
„Hinter der Firma Wagner ist ein Ölzug, der dort hielt, getroffen; eine dichte Qualmwolke, teilweise auch heller Feuerschein, hielt die ganze Nacht an. An der Bockelpromenade sind eine Anzahl Häuser zusammen gestürzt; in der Königstraße sind nach dem Bahnhof fast sämtliche Fensterscheiben kaputt; in der Verlängerung der Holstenstraße liegt bei der Brücke ein Blindgänger; besonders hart scheint die Gegend bei der Langeloher Schule getroffen zu sein.“, schreibt Hinz am 27. April in sein Tagebuch.
Und einen Tag später: „Die schlimmsten Verwüstungen aber habe ich in Langelohe an der Kreuzung von Steindamm und Pinneberger Landstraße gesehen. Die Gräuel der Verwüstungen zu beschreiben und das Elend der Bewohner auszumalen, dazu müsste man viele Seiten füllen. Viele Tote dürften noch unter den Trümmern liegen. Man spricht von 60 bestellten Särgen, aber die dürften nicht ausreichen. 26 bis 28 Flugzeuge sollen den Angriff auf Elmshorn durchgeführt haben.“
Elf Tage nach den Bombenabwürfen über Elmshorn, am 7. Mai 1945, unterzeichnete Generaloberst Alfred Jodl als Beauftragter des neuen Staatsoberhauptes Großadmiral Karl Dönitz im französischen Reims die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht. Sie trat einen Tag später in Kraft.