35 Russen aus Selenogradsk besuchen den Partnerkreis Pinneberg. Über große Politik wollen sie nicht sprechen. Vielmehr werben Gäste und Gastgeber für gegenseitiges Verständnis.
Kreis Pinneberg. Ein großes Schweigen herrscht in diesen Tagen bei den Gästen aus Russland. 35 Frauen und Männer aus Selenogradsk, dem ehemaligen ostpreußischen Cranz an der Samlandküste, sind bis zu diesem Freitag zu Gast im Kreis Pinneberg; Selenogradsk ist der Partnerkreis des Kreises Pinneberg. Doch wer die russischen Besucher nach dem so Naheliegenden, ihrer Meinung zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, dem Anschluss der Halbinsel Krim an das Riesenland zwischen Königsberg und Wladiwostok befragt, der bekommt keine Antwort.
„Die große Politik wollen wir heraushalten“, sagen Alexandra Bendowa, 22, und Elena Alexandrowa, 43, aus der 13.000-Einwohner-Stadt Selenogradsk, die nur 33 Kilometer von Kaliningrad (Königsberg) entfernt liegt. „Wichtig ist, dass unsere Partnerschaft erhalten bleibt. Wir wollen nicht, dass die große Politik im Leben von uns kleinen Leuten die freundschaftlichen Kontakte zerstört.“ Dieser Auffassung ist auch Gerhard Kascha, 64, vom Vorstand des Vereins Selenogradsk. „Über die Krise in der Ukraine wollen wir heute nicht reden“, sagt der Elmshorner Pensionär, ein ehemaliger Wasserschutzpolizist. Kein Wunder. Die freundschaftliche Bande zwischen den Russen und den Deutschen sind fest.
Viele Menschen aus dem Kreis Pinneberg haben schon mehrfach die Gastfreundschaft der Russen genossen – und die Russen die Reisen nach Norddeutschland. Vertrauensvolle Gespräche wurden geführt. Es wurde gelacht, gesungen und getanzt. Und Natalia, 20, Tochter der Vereinsvorsitzenden Elena Alexandrowa, besucht das Studienkolleg in Hamburg und will in Deutschland studieren. Das schweißt zusammen.
Auch Kreispräsident Burkhard E. Tiemann, CDU, findet lobende Worte für die Partnerschaft zwischen dem Kreis Pinneberg und dem Rayon Selenogradsk. „An der politischen Großwetterlage wird unser Besuch nichts ändern. Es ist aber wichtig, gerade auf der unteren Ebene zu zeigen, dass aus der mehr als 20-jährigen Partnerschaft echte Freundschaft erwachsen ist.“
So eine Freundschaft trage „zur Stabilisierung des Friedens“ bei, sagt Tiemann bei einem Besuch der Gruppe im Arboretum in Ellerhoop. „Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Jahrestage zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 und des Zweiten Weltkrieges 1939 sind diese Kontakte wichtig, um zu demonstrieren, dass sich die Beziehungen der einstigen Kriegsgegner grundlegend verändert haben.“
Über den Zweiten Weltkrieg, den die Russen auch „Großen Vaterländischer Krieg“ nennen, hat die Buchhalterin Elena Alexandrowa sehr viel mit ihren Eltern geredet. Ihre Schwiegermutter war als Kind in einem Konzentrationslager in der Nähe von Rostock untergebracht. Sie überlebte. „Heute ist eine andere Zeit", sagt Elena Alexandrowa. „Die Menschen wollen sich verstehen und Freundschaft schließen.“
Wenn sie mit dem Fallschirm in Kaliningrad landen würde, dächte sie, sie lande im russischen Irkutsk, schrieb Marion Gräfin Dönhoff 1989 über die Königsstadt. So verwundet und kaputt war die einstige „Festung“ noch 44 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute, 25 Jahre später, sind ganz viele Wunden geschlossen. Im Dom, von britischen Bomben fast total zerstört, erklingt wieder Bach. Der Krieg, er lebt noch immer auf und wird Vergangenheit, die nicht vergessen werden sollte.