Pinnebergs Bürgervorsteherin Natalina Boenigk hat Brustkrebs. Ihre politischen Ämter nimmt die Christdemokratin weiter wahr. Sie will anderen Frauen Mut machen, nicht zu resignieren.
Pinneberg. Die vergangenen vier Nächte hat sie schlecht geschlafen. Trotzdem ist Pinnebergs Bürgervorsteherin Natalina Boenigk hellwach an diesem Morgen in ihrem Haus im Ortsteil Quellental. „Manche Dinge sollte man nicht denken, weil sie dann wiederkommen“, sagt Natalina Boenigk. „Neulich hat mich eine Freundin gefragt, wie ich eigentlich schlafe, und da habe ich ‚gut‘ gesagt. Das war die letzte Nacht, in der ich gut geschlafen habe.“
Ansonsten ist diese Woche trotz des Schlafdefizits eine „gute Woche“ für Natalina Boenigk. Sie hat „viele nette Termine“ und ist jeden Abend mit guten Freunden unterwegs. Das ist wichtig für die 54-Jährige, denn sie durchlebt momentan schwere Zeiten. Am 28. November vergangenen Jahres, es war ein Donnerstag, wurde sie mit einem Satz konfrontiert, der ihr Leben einschneidend verändert hat: „Sie haben Krebs.“ Die Diagnose des Frauenarztes, knallhart ins Gesicht gesagt: bösartiger Brustkrebs, ein schnell wachsender Tumor, der in die Lymphknoten gestreut hat. „Dieser Donnerstag ist ein Tag, den ich nie vergessen werde.“
Natalina Boenigk ist seit ihrem 50. Lebensjahr alle zwei Jahre zur Brustkrebsuntersuchung gegangen. Beim Eincremen hatte sie Ende November 2013 gemerkt, „dass da etwas nicht in Ordnung ist“. Die Operation war dann im Pinneberger Regio Klinikum, noch vor Weihnachten. Jetzt muss die Bürgervorsteherin alle zwei Wochen zur Chemotherapie. In ihrem Körper sollen sich keine weiteren Metastasen gebildet haben, sagen die Ärzte.
Natalina Boenigk nimmt derzeit an einer internationalen Studie zu Brustkrebs teil. Sie bekommt die Medikamente „so hoch dosiert und so engmaschig wie möglich“. Mit 54 Jahren sei sie aus onkologischer Sicht noch jung, sagen die Ärzte. Natalina Boenigk lacht darüber. Sie lacht laut und herzlich. Sie wird oft lachen an diesem Vormittag. „Auf dieses Kompliment der Ärzte hätte ich gerne pfeifen können.“
Ihre Gedanken sortiert die Pinnebergin derzeit auch, wenn sie mit ihrer Psychoonkologin spricht. „Ich habe gelernt, dass man in so einer Situation wieder zum Kind wird. Es gibt Momente, da möchte man, dass die Mutter sich um einen kümmert und einen umsorgt.“ Aber sie hat auch erfahren, dass ihre Krankheit viele Menschen überfordert und ihnen Angst macht. „Dabei ist Krebs doch nicht ansteckend.“
Die Pinnebergerin betet öfter, seit sie von ihrer Krankheit weiß. „Der liebe Gott ist überall. Wenn du mit ihm reden willst, musst du nicht in die Kirche gehen“, hat ihr verstorbener Vater Mario di Racca, ein Italiener, gesagt. Manchmal, da kommt dann auch die Frage nach dem Warum. „Warum hat es mich getroffen? Aber ich bin eher der Typ Kämpfernatur und halte nicht viel von Rückblicken. Wichtig ist der Blick nach vorn. Ich gehe davon aus, dass alles in Ordnung sein wird, wenn die Behandlungen abgeschlossen sein werden.“
Auch ihre Krankheit betrachtet Natalina Boenigk oft mit einem Augenzwinkern. Ihre verbliebene Brust nennt sie „Susi“ – „das ist mein richtiger Busen“. Ihre Brustplastik nennt sie „Strolch“ – „aber die steht im Schlafzimmer und bleibt zu Hause.“ Natalina Boenigk will sich ihre verlorene Brust chirurgisch rekonstruieren lassen. Ihre Perücke trägt sie nicht. Sie präferiert bunte Schals und Kopftücher.
Gewiss, manchmal hadert die Katholikin auch. Warum war der Krebs nicht kleiner? Dann kommen Schuldvorwürfe hoch: „Warum hast du den Knoten in der Brust nicht schon eher entdeckt?“ Und dann betet sie wieder: „Lieber Gott, mach, dass alles gut wird und ich wieder gesund werde. Gib mir die Kraft.“
Natalina Boenigk hat nicht eine Sekunde daran gedacht, ihre Ämter als Bürgervorsteherin und Ratsfrau aufzugeben. Mit Bravour, Humor und Disziplin hat die Christdemokratin die jüngste Ratssitzung geleitet. „Der Abend war ziemlich anstrengend, weil die Tagesordnung ja sehr lang war“, sagt sie. „An diesem Abend bin ich bis an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit gekommen. Es ist nicht leicht, das anzunehmen, wenn man sonst gewohnt ist, zu machen und zu tun.“
In ihrem Fünf-Zimmer-Haus im Quellental lebt Natalina Boenigk gemeinsam mit ihrer Tochter Chiara Teresa, 20, die operationstechnische Assistentin im Hamburger Marienkrankenhaus lernt. Ihre beiden Söhne sind außer Haus: Gianluca, 22, studiert Nautik in Leer; Fabio, 24, arbeitet für eine Groß- und Außenhandelsfirma in Hamburgs Partnerstadt Shanghai. Von ihrem Mann Ronald, einem Unternehmensberater, lebt sie seit eineinhalb Jahren getrennt. Einen Tag vor dem 25. Hochzeitstag habe er ihr das Ende der Beziehung mitgeteilt. Die beiden waren zusammen, seit Natalina Boenigk 18 war. „Das Familienleben fehlt mir“, sagt sie. „Das gemeinsame Essen, die Geburtstage, die Feste.“
Mittlerweile hat die Pinnebergerin eine Ausbildung zum systemischen Coach gemacht. Auf das Jahr 2014 hat sie Silvester nicht angestoßen. „2015 wird mein Jahr“, sagte sie ihrem Coach. Die Trainerin fragte sie, was sie in 30 Jahren ihren Enkelkindern sagen wolle, was sie damals gemacht habe, als sie krank war? Sie will einen Yogakursus machen, sagt Natalina Boenigk. Sie will mehr Zeit für sich und ihre Freunde haben. Und sie will einen Hund ins Haus holen, vielleicht einen Pudel.
Das könnte alles noch im Jahr 2014, auf das sie nicht anstoßen wollte, passieren. „Und das willst du alles nicht erleben?“, hat ihre Trainerin gefragt. Da musste Natalina Boenigk lachen. „In jeder Krise“, sagt sie, „steckt auch eine Chance. Wo eine Tür zu geht, da geht auch wieder eine Tür auf. Mein Leben ist noch nicht vorbei.“