Vertreter von vier Generationen engagierter Bürger erklären, was sie an der Kommunalpolitik fasziniert. Auch das Hamburger Abendblatt möchte die Menschen animieren, sich wieder mehr in Parteien zu engagieren.
Kreis Pinneberg. Ob es die Pläne für den neuen Supermarkt sind, ob es um die Verbesserung der Versorgung älterer Menschen in der Stadt geht oder um den Erhalt von Stadtbücherei oder Schwimmhalle – die Politik vor der Haustür geht jeden etwas an.
Doch zu wenige Bürger engagieren sich dafür in den Parteien, in Ausschüssen oder im Stadtrat und Gemeinderat. Den Parteien gelingt es kaum, für frischen Wind in den eigenen Reihen zu sorgen. Überalterung ist der Normalfall. Doch wenn sich die Gesellschaft zunehmend von den Parteien abwendet, ist die parlamentarische Demokratie in Gefahr. Höchste Zeit, dem Parteien-Frust entgegenzutreten.
„Wir wollen im Hamburger Abendblatt Menschen animieren, sich wieder mehr in Parteien zu engagieren und damit den einzigen Weg ständiger Mitbestimmung zu gehen, den das Grundgesetz vorsieht“, sagte Chefredakteur Lars Haider beim Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts. „Partei ergreifen“ nennt sich die Initiative des Abendblatts, die sich dem Thema im ganzen Jahr 2014 widmen wird.
Im ersten Teil unserer Analyse der Parteienlandschaft im Kreis Pinneberg haben wir am vergangenen Mittwoch die im Pinneberger Kreistag vertretenen Parteien zu Mitgliederbewegungen und Altersstruktur befragt.
Heute nun haben wir Parteimitglieder von vier Generationen befragt, warum sie sich gegen den Trend in einer Partei engagieren. Und selbstverständlich hoffen wir von sofort an auf eine breite Diskussion mit den Leserinnen und Lesern in unserem Blatt: Melden Sie sich zu Wort, sagen Sie uns Ihre Meinung zu den Parteien und zum kommunalpolitschem Engagement. Schreiben Sie per E-Mail an pinneberg@abendblatt.
Für Waldemar Dudda, 88, war es selbstverständlich, in die Politik zu gehen. 1947 ist Dudda, der 24 Jahre lang Bürgermeister und heute einziger lebender Ehrenbürger der Stadt Uetersen ist, in die SPD eingetreten. Für viele seiner Generation stand damals felsenfest: „Nie wieder Krieg!“, sagt Dudda, der selbst als 18 Jahre junger Soldat zweimal an der Ostfront verwundet wurde und Hunderte Kameraden sterben sah.
Die SPD sei für ihn die Anti-Kriegs-Partei gewesen, die sich auch als Anwalt der Armen und Schwachen verstand. So organisierte er nach dem Krieg bei der damaligen SPD-Jugendorganisation, den Falken, Zeltlager an der Ostsee. „Ich war immer auch ein Bürgermeister für alle Uetersener“, betont Dudda, der über die Parteigrenzen hinweg anerkannt war.
„Parteien sind die Grundlage für eine funktionierende Demokratie“, so Dudda. „Sie sind unentbehrlich für unser Gemeinwesen, weil nur über sie die verschiedenen Interessen in aller Breite berücksichtigt werden können.“ Parteien aber bräuchten junge Menschen, die sich politisch beteiligen, damit der sich ständig wechselnde Zeitgeist repräsentiert werde. „Die Überalterung in den Parteien ist heute sehr groß“, sagt Dudda, der das politische Geschehen vor Ort, in Land und Bund und darüber hinaus sehr interessiert verfolgt und täglich zwei Zeitungen liest.
Jungen Menschen rät er daher: „Bilden Sie sich Ihre politische Meinung, indem Sie sich in einer demokratischen Partei engagieren.“ Das stabilisiere die Demokratie. Die Mitwirkung vor Ort sei nicht nur ein guter Einstieg in die Politik, sondern auch wichtig, weil in der Kommunalpolitik über die Lebensgestaltung der Menschen am Ort entschieden wird.
Helmuth Kruse, 65, ist vergleichsweise spät in die Politik eingestiegen, nämlich 1997. Dennoch war der Moorreger bereits früh politisch tätig, wenn auch nicht mit Parteibuch. Seine ersten politischen Erfahrungen sammelte in einer Bürgerinitiative. „Das war aber nur der Einstieg“, sagt er.
Vor allem das Thema Umweltschutz und Öko-Strom hatten es ihm in den folgenden Jahren angetan. In Moorrege baute er ein Öko-Haus, um die Idee des Umweltschutzes und des Umweltbewusststeins in der Gesellschaft zu stärken. Doch er spürte, dass er als Teil der Politik mehr bewegen könnte, als wenn er als Einzelperson um politischen Einfluss kämpft. „Für mich war klar, dass die Grünen die richtige Partei für mich sind“, sagt er. Diese hätten, im Gegensatz zu anderen Parteien, weiterführende Gedanken zur Gesellschaft entwickelt.
Was folgte, war ein rascher Aufstieg. Als er gefragt wurde, ob er für den Kreistag kandidieren wolle, war er gerne bereit. Nun kämpft er auf Kreisebene für mehr Klimaschutz, für die Klima-AG und für eine umweltgerechte frühkindliche Erziehung. Die Umweltbildung will er auch künftig fördern.
Kruse hat gelernt, dass ein Politiker einen langen Atem haben muss. „Man muss Geduld haben, denn man bekommt nichts über das Knie gebrochen hin“, sagt er. Auch wenn es länger brauche, bis ein politischer Konsens da ist, lohne sich auch heute noch der Eintritt in eine Partei. „Ansonsten kann man nicht mitreden. Mitbestimmen zu können, ist aber wichtig“, sagt er. Das müsse die Politik der Jugend verdeutlichen. Außerdem müssten Jugendliche richtig an politischen Prozessen beteiligt werden, hier erwartet er mehr Engagement von Seiten der Parteien.
Das Interesse für Politik steckt Kerstin Seyfert, 49, quasi im Blut. Ihr Opa Otto war lange Gemeindevertreter in Herzhorn. Vater Klaus gehört immer noch der Pinneberger Ratsversammlung an. Bruder Christian war einige Jahre als Sprecher des Umweltministers in Kiel tätig. Sie alle gehören der CDU an wie Kerstin Seyfert, die 1998 in die Partei eintrat, als sie von Hamburg nach Pinneberg zurückzog. Nur Bruder Ralf ist aus der Art geschlagen und nicht politisch aktiv. Schwester Kerstin ließ sich in den Pinneberger Rat und in den Kreistag wählen und leitet dort seit 2005 den Schulausschuss.
Ihre erste Berührung mit Politik vor Ort erlebte Kerstin Seyfert beim bürgerlichen Protest gegen die geplante Ausweitung eines Baumarktes in Rellingen, dessen Betreiber die Sorgen der Anwohner ernst nahm und seine Pläne daraufhin änderte.
„Ohne Parteien gibt es keine Demokratie. Man braucht sie, um sich zu orientieren“, ist Seyfert überzeugt, die von sich selbst sagt: „Ich bin stockkonservativ. Werte und Traditionen wie Respekt, Vertrauen und Achtung sind mir total wichtig.“ Sie sei zudem christlich erzogen worden, engagierte sich in der Kirchen-Jugend und hat ihre Kinder, heute 18 und 15 Jahre alt, alleinerziehend im christlichen Glauben erzogen.
In der Politik ist sie dafür, klare Positionen zu beziehen. Es müsse deutlich werden, wofür man einstehe und dafür auch Abstimmungsniederlagen hinnehmen können. Wahlkämpfe liebt sie und betreibt sie leidenschaftlich. Dann höre sie oft die Klage, jetzt würden sich die Politiker ja wieder mal zeigen. Ein falscher Eindruck, findet Kerstin Seyfert. „Man kann mich immer erreichen, telefonisch, per Mail auf Facebook oder der Homepage der Kreis-CDU.“
Politisches Desinteresse? Parteiverdrossenheit? Lennart Feix, 22, schüttelt energisch den Kopf. Davon könne im Kreis Pinneberg nicht die Rede sein. „Hier gibt es wahnsinnig viele junge Leute, die sich für Politik interessieren und mitwirken wollen.“
Als Vorsitzender der Jusos, der Jugendorganisation der SPD, setzt der 22-Jährige aus Halstenbek sich dafür ein, dass junge Menschen die Möglichkeit erhalten, sich zu beteiligen. Er organisiert Veranstaltungen und sorgt dafür, dass zum Beispiel über persönliche Kontakte zu Abgeordneten die Auswirkungen politischer Ideen konkret sichtbar werden. Zur Kommunalwahl 2013 hat er eine Kampagne mitentwickelt, die ganz auf die jungen SPD-Kandidaten zugeschnitten war. Seine Strategie: Politik von jungen Menschen für junge Menschen. Und er zeigt, wie viel Gewicht die Kreis-Jusos haben können.
„Es ist doch toll, wenn kleine Initiativen, die von uns entwickelt wurden, auf einem Landesparteitag diskutiert werden.“ Solche Ideen entstehen auch bei den regelmäßigen Pizza-Abenden der Gruppe, bei denen einfach diskutiert wird. „Ohne Tagesordnung und so was.“ Schon in der Schule hat Lennart Feix gern Argumente ausgetauscht. Nicht unbedingt, um seine Gesprächspartner von seiner Position zu überzeugen, wie der ehemalige Schülersprecher sagt. „Ich wollte einfach mehr erfahren.“ Das treibt ihn bis heute an. 2009 trat er in die SPD ein.
Eine andere Partei kam nie infrage. „Da war ich goldrichtig, das war ein schönes Gefühl.“ Aufgehoben unter Gleichgesinnten, mit denen es sich gut streiten lässt – so macht ihm Politik Spaß. Aber das sei ja sowieso klar, meint Feix. „Wenn Politik keinen Spaß machte, würde das ja niemand machen.“