Der Haselauer Autor Jochen Pragal rückt in seinen historischen Romanen Hamburg und die Elbmarsch in den Fokus. Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben.
Haselau. Der schnellste Weg ins Hamburg der Franzosenzeit führt über ein Buch von Jochen Pragal. Quasi im Seitenumdrehen reist der Leser vom Heute ins Jahr 1812, ist mittendrin in den Wirren der napoleonischen Besatzung der darbenden Handelsmetropole und den Nöten der dänischen Schwesterstadt Altona, die 5000 bettelarme Hamburger Flüchtlingsfamilien aufnimmt. Unter dem Titel „Im Sog des Kraken“ erzählt der Haselauer Historiker auf 330 Seiten die Geschichte des jungen Henning Hauser, der plötzlich in Verdacht gerät, einen Polizisten getötet zu haben. Auch ein einflussreicher Reeder scheint in die rätselhaften Ereignisse verwickelt zu sein. Anhand dieser Rahmenhandlung blättert Pragal ein gesellschaftliches Kaleidoskop jener Zeit auf. Seine Protagonisten nehmen den Leser mit in konspirative Hinterzimmer, in die bürgerlichen Salons angesehener Familien und in geschäftige Handelskontore. An Schauplätzen in Hamburg und dem heutigen Kreis Pinneberg wie etwa der damaligen Schmugglerhochburg Helgoland versuchen sie, die Wahrheit ans Licht zu bringen und geraten dabei selbst in Lebensgefahr. Nach dem 2006 erschienenen Erstling „Treibgut im Reet“, das 1804 in der Haselauer Marsch spielt, ist „Im Sog des Kraken“ das zweite belletristische Werk Pragals.
„Ich möchte in meinen Romanen anschaulich machen, wie die große Politik den Alltag der Menschen erreichte und prägte“, sagt Pragal. Ein bisschen spricht da immer noch der engagierte Pädagoge aus dem 1934 geborenen Autoren. Denn Geschichte ist für den pensionierten Hamburger Oberschulrat weit mehr als ein Hobby. Genau genommen entstand die Schriftstellerei aus seiner Tätigkeit als Geschichtslehrer und später als Ausbilder junger Referendare. „Ich habe mich ein Berufsleben lang damit beschäftigt, wie sich historische Themen anschaulich und spannend den Schülern nahebringen lassen.“ Nach seiner Zeit als Studienrat am Hamburger Christianeum entwickelte er Themen und praktisches Unterrichtsmaterial für junge Kollegen.
„Vielleicht wäre es hilfreich, wenn man wie im Deutschunterricht mit den Schülern Geschichte als Roman lesen würde“, sagt er. „Für viele würde das wahrscheinlich mehr bringen als der traditionelle Unterricht. Das kann freilich nur ein zusätzlicher Zugang zu einem kritischen Geschichtsverständnis sein." Der Ansatz, Geschichte in fiktive Rahmenhandlungen zu verpacken, ist nicht neu. Die Autoren Boris Meyn und Petra Oelker etwa haben die historischen Facetten der Elbmetropole und ihres Umlands in ihren Krimis, die allerdings in anderen Epochen spielen, bereits unter die Lupe genommen. Gerade Oelker ist für Pragal auch eine Art Vorbild. „Ich habe alles von ihr gelesen.“ Wie sie spiegelt der Haselauer in seinen Büchern die sozialen Verhältnisse einer bestimmten Epoche an einem rätselhaften Fall und dessen Aufklärung.
Doch sein Anspruch geht weiter: „Für mich geht es nicht nur um den Alltag der Menschen, sondern auch darum, die große historische Linie und den politischen Zusammenhang anschaulich zu machen. Also darum, wie gerade zu Beginn der Moderne nach der Französischen Revolution Weichen für Entwicklungen gestellt wurden, die bis in die Gegenwart wirken.“ Als die gerade erfundene Dampfmaschine den Kapitalismus auf Touren bringt und die patriarchalisch geprägten Gesellschaftsstrukturen auflöst. Als Napoleon ganz West- und Mitteleuropa besetzt, den britischen Export mit der Kontinentalsperre beinahe lähmt und damit den vielleicht ersten reinen Wirtschaftskrieg auslöst. „Da wird ein ganzer Kontinent instrumentalisiert, das war neu und ist hochmodern“, sagt Pragal.
Recherchiert hat der studierte Historiker und Germanist vor allem in Hamburger Stadtteilarchiven, dem Staatsarchiv, der Bibliothek des Altonaer Museums, in Büchern und Broschüren über Hamburger Familien und im Internet. „Gerade über Google bin ich auf viele interessante Sachen gestoßen.“ Etwa auf die Examensarbeit eines Studenten über den „Ewigen Frieden“ von Immanuel Kant, in dem es darum geht, den Krieg in Europa abzuschaffen.
„Das Buch ist ein Mix aus Fantasie, recherchierten und belegten Fakten sowie Strukturzusammenhängen. Auch das Reden und Verhalten der fiktiven Personen passt in diese Zusammenhänge und ist insofern ‚wahr’. Das ist jedenfalls mein Anspruch.“ Dafür gingen also die Nachmittage drauf. Die Vormittage reserviert Pragal dem Schreiben. Dass seine Fabulierlust nicht mit ihm durchging, dafür sorgte seine Lebensgefährtin Lorena Cocchio-Klatt. „Sie hat das Lektorat übernommen und zum Glück für die Leser zwei Drittel des Textes wieder herausgekürzt.“
Gab es Momente, an denen Jochen Pragal aufgeben wollte? „Ja klar, es gab viele Punkte, an denen ich nicht weiterkam“, sagt er. „Dann habe ich mir einen Kaffee gekocht oder bei Blockaden eine längere Auszeit genommen.“
In den kommenden Wochen geht Pragal mit seinem Roman auf Lesetour. Am Sonntag, 3. November, stellt er es von 16 Uhr an in der Haseldorfer Bandreißerkate, Achtern Dörp 3, vor. Am Sonntag, 24. November, ist er von 10 Uhr an beim Moorreger Kulturfrühstück an der Klinkerstraße 84 zu Gast. Der Eintritt zu beiden Veranstaltungen ist frei. „Im Sog des Kraken“ ist im Hamburger Verlag Tredition erschienen und kostet 17,90 Euro. Die Version als E-Book gibt es für 4,99 Euro.