Die Heidgrabener Autorin Nikola Anne Mehlhorn ist für den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert. Am 3. Juli will sie endlich den Durchbruch schaffen.
Heidgraben. Nikola Anne Mehlhorn will am 3. Juli endlich den Durchbruch schaffen. Die Autorin aus Heidgraben ist für den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert. Die Chancen, dass Mehlhorn den aktuellen, mit 25.000 Euro dotierten Literaturpreis gewinnt, der zu den wichtigsten Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum zählt, stehen nicht schlecht. Dennoch will sich die 45 Jahre alte Heidgrabenerin keine zu großen Hoffnungen machen. Die Konkurrenz sei gut. Den Bachmann-Preis erhielt 2009 übrigens der gebürtige Pinneberger Autor und Arzt Jens Petersen, der jetzt in der Schweiz lebt.
Mehlhorns Affinität zur Kultur wurde ihr in die Wiege gelegt. Die Eltern waren Musiker, sie selbst auch, bis sie eines Tages feststellte, dass es für eine Solistenkarriere nicht reicht. "Da habe ich einen Schnitt gemacht und mich lieber dem Schreiben gewidmet."
Leichter wurde das Leben dadurch nicht. "Bei jährlich knapp 100.000 Neuerscheinungen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt ist es unglaublich schwer, sich zu behaupten", sagt sie. Deshalb freue sie sich besonders über die jetzige Nominierung. Jede Auszeichnung, für die ein Autor vorgeschlagen wird, helfe den eigenen Marktwert zu steigern. "Jeder Preis war bei mir ein Türöffner. Dank der jetzigen Nominierung bekomme ich Anfragen von Verlagen, die sich vorher überhaupt nicht für mich interessiert haben." Und auch für den Lebensunterhalt seien die Preise nicht unwichtig. Immerhin habe sie ihr Haus zur Hälfte mit Preisen und Stipendien finanziert. Den mit Literaturpreisen verbundenen Presserummel, müsse man ertragen. "Es ist fast wie bei einer Schwangerschaft. Irgendwann ist man glücklich, dass alles vorbei ist."
Noch arbeitet sie an der Universität in Hamburg, um ein festes Einkommen zu haben. Doch der Gedanke, als Freiberuflerin auf den Markt zu gehen, der sei ihr wiederholt gekommen - wäre da nur nicht der immense Druck in der Branche. "Ich werde es wagen, weiß aber noch nicht wann", sagt sie.
In Deutschland gibt es viele Buchpreise. Doch im hochliterarischen Bereich, dem etwa Günther Grass oder Siegfried Lenz zugeordnet werden, gibt es nur wenige Preise, die noch dazu angemessen dotiert sind. Staatliche Preise und Stipendien sind daher überlebenswichtig, um als anspruchsvoller Autor überleben zu können. Lediglich ein Prozent aller Autoren kann laut Ver.di von den Tantiemen leben. 20 bis 30 Prozent schaffen es, von Tantiemen plus Lesungen und Kreativ-Workshops zu leben. Die restlichen gut 60 Prozent haben entweder einen "Brot-Job" oder einen Partner, der sie finanziell stützt.
Angesichts dieser Rahmenbedingungen will Mehlhorn die Schriftstellerei schon gar nicht mehr als Beruf bezeichnen. Überhaupt wurmt es sie, dass die Künste in Deutschland sehr ungleich gefördert werden. So gibt es 24 Musik- und 28 Kunsthochschulen, aber nur zwei junge Literaturinstitute, in Leipzig und Hildesheim. Schriftstellerei wird sonst nirgends im Land gelehrt.
"Autoren werden in Deutschland oft alleine gelassen, gerade auch an Universitäten. In den USA ist es dagegen selbstverständlich, dass Hochschulen Seminare und Professuren für angehende Schriftsteller haben", sagt Mehlhorn. Es gebe also viel Nachholbedarf in Deutschland. Denn vom heroisierten "deutschen Geniekult" könne man sich nichts kaufen. "Schriftstellerei ist harte Handwerksarbeit", sagt sie. Disziplin, Konzentration, Sprachwissen, Schreibstile erarbeiten, dies kennzeichne das Leben der Autoren. Das Genie in der Dachkammer, das sei eine romantische Fantasterei. "In Deutschland gibt es zwar eine Anerkennung von Literatur, doch diese hat krankhafte Formen angenommen", sagt sie. Erst wenn jemand tot se, werde er gefeiert. Selbst Goethe und Hebbel hatten Zeitlebens mit Armut zu kämpfen. Bis zu ihrem Tod lagen ihre Bücher wie Blei in den Regalen. Danach waren sie dann en vogue.
Und wie setzt man sich aus der Masse der anonymen, verarmten Literaten ab, wenn nicht mit Preisen? "Ein Autor muss in seinem Werk Emotionen ansprechen", sagt sie. Auch wenn 100.000 Neuerscheinungen pro Jahr in Deutschland auf den Markt kämen, gebe es immer neue Themen, über die jemand schreiben könne. "Dafür sorgen die Urthemen der Literatur, also Liebe, Tod, erwachsen werden, Sehnsucht, Sünde und so weiter", sagt sie. Diese Themen hätten die Menschen immer fasziniert. "Mein in Kürze neu erscheinendes Buch, die Trilogie 'Windschrift Nord', behandelt daher auch die drei Themen erwachsen werden, Liebe und Tod." Das Neue bestehe darin, wie jeder einzelne an die Themen rangehe und welchen Schreibstil er dabei entwickle.
Das nimmt oft politische Züge an. "Wer mit einem gewissen Anspruch schreibt, der ist gewollt politisch, thematisiert soziale Entwicklungen, Krieg und moralische Themen innerhalb des Kanons der Urthemen", sagt sie.
Der Autor müsse aus der Beobachterperspektive Erkenntnisse über die Zivilisation gewinnen und Fehlentwicklungen ansprechen. Denn nur so könne eine Gesellschaft gesund bleiben: Missstände ansprechen, diskutieren und beseitigen. Für diese Kritikerrolle brauche es Abstand zur Gesellschaft. Der sei aber nur zu erreichen, wenn sich der Schriftsteller aus dem Hamsterrad der Gesellschaft möglichst raushalte. "Eine gesunde finanzielle Basis hilft dabei. So ist man weniger abhängig von Gesellschaftsmechanismen."
Und in welche Richtung bewegt sich die Literatur? "Sie wird weitergehen, ständig neue, große Werke schaffen, so wie in den vergangenen Jahrhunderten auch", sagt Mehlhorn. Daran ändere auch das Medium E-Book im Grunde nichts. Aber in spätestens 100 Jahren werde es, so ist sie sicher, keine gedruckten Neuerscheinungen mehr geben.