Die Hamburger Benjamin Maack und Nikola Anne Mehlhorn lesen nächste Woche beim Ingeborg-Bachmann-Preis. Dessen Zukunft ist ungewiss
Hamburg . Benjamin Maack sagt, dass er tunlichst nicht an nächste Woche denken will. Was er wahrscheinlich doch sehr häufig tut. Wie auch die anderen 13 Autorinnen und Autoren, die dieses Jahr am Ingeborg-Bachmann-Preis teilnehmen und dort sowohl sich selbst als auch ihre Texte einem Stresstest aussetzen. Bachmann-Preis, das heißt: Lesen vor Publikum. Vor TV-Publikum. Und sich danach öffentlich von Literaturprofis und Textgeschmäcklern für das Abgelieferte kritisieren zu lassen.
Da kann man durchaus nervös sein.
Maack, 1978 in Winsen an der Luhe geboren, wohnhaft auf St. Pauli, sieht sich, so sagt er es, grundsätzlich vor zwei Herausforderungen gestellt: „Zum einen, damit klarzukommen, nicht mehr an meinem Text feilen zu dürfen, vor sechs Wochen musste ich die finale Version an die Jurymitglieder schicken – und zum anderen unbedingt darauf zu achten, dass mir nicht die Gesichtszüge entgleisen, wenn die Kritiker meinen Text diskutieren.“
Die Herausforderung für die Macher des Bachmann-Preises wird übrigens sein, die Veranstaltung am Leben zu halten. Seit der ORF, der den Wettbewerb zusammen mit 3sat überträgt und 350.000 Euro der Gesamtkosten von 750.000 Euro einbringt, seinen Rückzug zum nächsten Jahr schon angekündigt hat, wird in Österreich und Deutschland heftig über den Bildungsauftrag des Fernsehens sowie Sinn und Zweck des Literaturwettkampfs gestritten. Was ist das eigentlich, Klagenfurt – eine Vorlese-Auslese für elitäre Poesiefans, die sich eh keiner freiwillig im Fernsehen anschaut? Oder ein etabliertes, maßgebliches Autorentreffen, das die Literatur aus den vermieften Schreibklausen und braven Leseecken holt? In Klagenfurt wird sich gefetzt, scharf gerichtet, kühl seziert.
Ritualisierte Übungen der avancierten Literaturkritik also, die einen wie Maack schon im Vorfeld beschäftigen. Neben Nikola Anne Mehlhorn, die in Heidgraben im Kreis Pinneberg lebt, ist der Autor zweier positiv aufgenommener Erzählungsbände („Die Welt ist ein Parkplatz und endet vor Disneyland”, „Monster“) der einzige norddeutsche Teilnehmer.
Er wird wie seine Konkurrenten aus einem unveröffentlichten Text lesen, und all die Aufregung, die damit verbunden ist, beschäftigt ihn derzeit viel mehr als das Geschrei um das drohende Bachmann-Ende, das längst noch nicht beschlossen ist. Aber eine Meinung hat Maack schon, wie viele findet er, dass der Traditionswettbewerb eine wichtige Bühne im Betrieb ist, eine Marke, sagt Maack, die jeder kennt: „Ich weiß nicht, wer sich die Lesungen im Fernsehen anschaut, aber ich weiß, dass es schade wäre, gäbe es den Bachmann-Preis nicht mehr.“
Der Ingeborg-Bachmann-Preis wird seit 1977 im Gedenken an die österreichische Schriftstellerin (1926– 1973) in deren Heimatstadt Klagenfurt vergeben. Er gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Literaturpreise, als Sprungbrett für Talente und als wichtiger Treffpunkt des Betriebs, auf dem ästhetische und künstlerische Belange im Mittelpunkt stehen. An den literarischen Darbietungen – im Volksmund: dem „Wettlesen“ – nehmen nicht nur unbekannte Autoren, sondern auch Stars der Szene teil; wenn es solche denn gibt. Es gibt einen Haupt-, den Bachmann-Preis und mehrere Ehrungen nebenher: etwa den 3sat-Preis.
Insgesamt ist die renommierte Veranstaltung mit etwa 55.000 Euro dotiert, wovon auf den Hauptpreis 25.000 Euro fallen. Jeder Autor liest 25 Minuten, dann folgt eine Beurteilung durch die siebenköpfige Jury – das ist Hardcore-Hochkultur, ein Leckerbissen für Leser, aber wie so vieles im Bereich der Künste eben kein Massenereignis. Die Einschaltquote ist natürlich mikroskopisch, weil Hochkultur eben nie ein Straßenfeger ist. Und auch, wenn das routinierte und bisweilen enervierende Protestieren der Kulturmenschen, die auch im Bereich der Literatur auf ein breites Stipendien- und Preiswesen bauen können, schon dutzendfach in ähnlichen Fällen vernommen wurde, macht es am Ende den Inhalt ihrer Klage nicht unbedingt weniger substanziell. Letztere fand in dem Erfolgsautor Arno Geiger („Es geht uns gut“) einen beredten Wortführer: „Wenn der Bachmann-Preis wenigstens tatsächlich abgeschafft würde, dann hätte man immerhin den ersichtlichen Schaden. Aber so wurde nur wieder unterschwellig suggeriert, dass Literatur etwas Verzichtbares ist. Hingegen das Tanzen und Wandern und Bierschwefel-Verzapfen im Hauptabendprogramm ist unverzichtbar. Und die Musi spielt dazu“, sagte der Österreicher in der Zeitung „Kurier“.
Mehlhorn ist als Musikerin die Bühne gewöhnt. Das könnte ein Vorteil sein
Was Nikola Anne Mehlhorn, 1967 in Hannover geboren, vor ihrem Klagenfurt-Auftritt zu sagen hat, geht in dieselbe Richtung. Auch sie glaubt nicht daran, dass der Bachmann-Preis abgeschafft wird. „Er wird umstrukturiert, vielleicht kleiner werden“, vermutet die Autorin, deren Sammelband „Windschrift Nord“ dieser Tage erscheint. Lesen wird die für ihre Stilsicherheit gepriesene Mehlhorn aus dem Manuskript „Requiem der 40-Jährigen“. Es wird demnächst ihr fünftes Buch werden, „da hat die Einladung nach Klagenfurt gute Dienst getan“, sagt Mehlhorn.
Was Wunder, dass die 45-Jährige ein Loblied auf das Aushängeschild des literarischen Österreich singt. Der NDR überlegt, sie nach Klagenfurt zu begleiten; derzeit kommt die zweifache Mutter nur eine halbe Stunde am Tag zum Lesen – das Trainingslager fällt etwas schmal aus. Aber Mehlhorn hat wohl ohnehin einen Vorteil gegenüber ihrer Konkurrenz: Als Musikerin ist sie die Bühne gewöhnt, das verringert das Lampenfieber. Wer weiß, ob sich das nicht noch einstellt. Vom Hype und Medienaufkommen in Klagenfurt hat sie genauso wie Maack natürlich gehört.
Angesichts dieses Interesses sollte sich ein Sponsor für den großen Klagenfurter Literaturbahnhof finden lassen, wenn der ORF ernst macht. Vielleicht wird es ja auch mal irgendwann wieder einen magischen (oder: gruseligen) Moment geben wie 1983, als Rainald Goetz sich die Stirn aufschlitzte.
Ingeborg-Bachmann-Preis 3.–7.7. 2013