Bis 2017 müssten im Kreis 11 000 neue Wohnungen gebaut werden. Der Grund: Die Zahl der Bürger in der Region wächst - gegen den Trend.
Kreis Pinneberg. Innenminister Klaus Schlie hält den Wohnungsmarkt für entspannt. "In Schleswig-Holstein droht keine neue Wohnungsnot", sagt er. Den Kreis Pinneberg kann der Minister damit nicht gemeint haben. Denn in dieser Region zeichnet sich eine dramatische Entwicklung ab: Der Wohnungsmarkt droht zusammenzubrechen. Während die Bevölkerung nach aktuellen Prognosen bis 2017 weiter stetig auf 306 000 Menschen anwachsen wird, hinkt der Wohnungsbau eklatant zurück.
Das bekommt die Beratungsstelle für Wohnungslose der Diakonie in Pinneberg bereits zu spüren. "Wir beobachten das mit großer Sorge", sagt Sozialarbeiter Peter Diekmann. "Der Wohnungsmarkt in Schenefeld ist als erstes zugegangen, dann Pinneberg und jetzt Elmshorn." Die Zahl der Räumungsklagen hat sich innerhalb eines Jahres um ein Drittel auf kreisweit 100 erhöht.
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Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage hat gewaltige Dimensionen angenommen, bestätigt auch die Wohnungswirtschaft. "Unsere Warteliste ist riesengroß", sagt Wolfgang Hermann, Vorstand der Pinneberger Wohnungsbau-Genossenschaft GeWoGe. "Da stehen weit über 1000 Wohnungssuchende drauf. Es werden aber nur etwa 200 unserer 2174 Wohnungen im Jahr frei." Noch dramatischer sieht es bei Adlershorst aus, die 3400 Wohnungen im Kreis Pinneberg unterhalten: "Wir haben zurzeit 10 000 Wohnungsgesuche in unserer Interessentenkartei gespeichert", sagt Vorstandsassistent Benjamin Schatte.
Sascha Gorgas, 32, aus Pinneberg erfährt diese Misere am eigenen Leib. Seit einem Jahr sucht der arbeitslose Mann für sich und seine inzwischen schwangere Freundin eine gemeinsame Wohnung. "Nichts zu machen", sagt Gorgas resigniert. Gut ein Dutzend Wohnungen hat er sich schon angesehen, jedes Mal gab es eine Absage. Direkt sagt es ihm keiner, aber sein finanzielles Handicap ist wohl der Grund dafür. Gorgas war lange suchtkrank, weshalb er seine Gastronomielehre abbrach, und hat sich nicht mehr um die Miete gekümmert, als seine Mutter starb. So hat er 9000 Euro Schulden angehäuft. Vermieter erhalten darum über ihn eine negative Schufa-Auskunft, obwohl er mit einem Anwaltsschreiben nachweisen kann, dass er seine Schulden regelmäßig tilgt.
Das Jobcenter würde seine Miete übernehmen, sagt der Hartz-IV-Empfänger. Doch da diese Garantie nur für sechs Monate gegeben wird, verlassen sich nur wenige Vermieter darauf. "Das war bei der Sozialhilfe besser", sagt Sozialarbeiter Diekmann. Genossenschaften weisen Gorgas ab, weil sie fürchten, dass der Genossenschaftsanteil in die Insolvenzmasse geht, falls Gorgas zahlungsunfähig würde, erklärt Diekmann die vertrackte Rechtslage, die GeWoGe-Vorstand Hermann bestätigt.
Eine neue Studie des Pestel-Instituts in Hannover belegt diese Aussagen mit Daten. Demnach müssten bis 2017 11 000 neue Wohnungen für die zusätzlich erwarteten 8000 Haushalte im Kreis Pinneberg gebaut werden. Das wären 2200 Wohnungen pro Jahr. 2010 wurde aber nur die Hälfte davon neu geschaffen, bilanziert Projektleiter Matthias Günther. 2008 waren es sogar nur 814 und 2009 genau 844 neue Wohnungen. Günther: "Schon heute fehlen im Kreis Pinneberg 1250 Wohnungen. Wenn sich an der Bautätigkeit nicht bald etwas zum Positiven entwickelt, wird sich die Mietwohnungsknappheit im Kreis Pinneberg weiter verschärfen. Dann geht es dem Kreis Pinneberg so wie heute schon Hamburg."
Der Mechanik-Professor Eduard Pestel hat das Institut in den 60er-Jahren gegründet. Er ist einer der Mitbegründer des "Club of Rome", der mit seiner Analyse "Grenzen des Wachstums" 1971 erstmals die wachstumsorientierte Politik der Industrieländer in Frage stellte. Das Institut sammelt Daten über Demografie, Wohnungsmarkt und Energiewirtschaft für ganz Deutschland und vergleicht dabei alle Städte und Landkreise.
In seiner neuesten Studie über den Wohnungsmarkt schneidet der Kreis Pinneberg miserabel ab. Projektleiter Günther: "Bei einer gegenwärtigen Mieterquote von 50 Prozent müsste die Hälfte des Wohnungsbedarfs, also rund 5500, als Mietwohnungen gebaut werden." Zwischen 2001 und 2010 wurden im Kreis Pinneberg aber nur 3000 Mietwohnungen gebaut.
Doch die Wohnungswirtschaft versucht gegenzusteuern. Die GeWoGe baut gerade 42 Wohnungen in der General-Oberst-Beck-Straße in Pinneberg. Auf dem alten Kreishaus-Areal sollen 200 neue Wohnungen gebaut werden. Für das Eggerstedt-Kasernengelände ist von 300 Wohnungen die Rede. "Unser Ziel ist es, in den nächsten zehn Jahren 300 neue Wohnungen zu bauen", sagt GeWoGe-Vorstand Hermann. 40 Millionen Euro sollen dafür investiert werden. Zudem hat die Genossenschaft bereits die Hälfte ihres Wohnungsbestandes für 58 Millionen Euro saniert.
Auch Adlershorst will kräftig investieren, wie Sprecher Benjamin Schatte sagt. Voriges Jahr seien 100 neue Wohnungen in Wedel und Rellingen gebaut und 21,3 Millionen Euro investiert worden. Dieses Jahr folgt noch mal die gleiche Anzahl in Wedel, Elmshorn und Tornesch. Schatte: "Der Markt ist eng geworden für die Mieter. Das hat seinen Grund in der seit Jahren zu beobachtenden Landflucht von Hamburg aus." Die Wirtschaftskraft der Hansestadt ziehe viele Menschen an, die dort arbeiteten, sich aber nur Wohnungen im Umland leisten könnten. "Davon profitiert der Kreis Pinneberg durch ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum."
Was Diakonieberater Diekmann bestätigt: "Immer mehr Menschen mit guten Einkommen aus Hamburg drängen auf unseren Wohnungsmarkt. Die machen uns das Leben schwer."