In Halstenbek kämpft eine Elterninitiative um einen Kinderarzt. Schon mehr als 850 Unterschriften haben die Eltern gesammelt.
Halstenbek. Der kleine Justus weint. Seine Ohren schmerzen. Wahrscheinlich wieder eine Mittelohrentzündung, vermutet seine Mutter Rebecca Luhmann. Die Halstenbekerin ruft bei der Kinderärztin in Schenefeld an, die Justus sonst behandelt - doch sie ist im Urlaub. Direkt in Halstenbek gibt es keinen Kinderarzt. Also wählt die berufstätige Lehrerin die Nummer der nächsten Praxis, die sie im Internet findet. Der Anrufbeantworter springt an, auch dieser Arzt ist nicht zu erreichen. Beim dritten Versuch springt wieder nur die elektronische Ansage an. So geht es weiter. Die Praxen, die geöffnet haben, sind überlastet, obwohl es erst 10 Uhr morgens ist. Sieben Anrufe später findet die 31-Jährige endlich in Pinneberg am Damm einen, der sagt, sie soll mit dem kranken Kind vorbeikommen.
Rebecca Luhmann erinnert sich noch sehr genau an diesen Tag zwischen Weihnachten und Neujahr. Die Grünen-Politikerin sitzt gemeinsam mit ihren Parteikollegen Gudrun Gabriel-Schröder, 54, und Matthias Döring, 46, im Eiscafé in Halstenbek. Justus hält den Löffel fest in der kleinen Faust. Aufgeregt starrt er auf das Eis, das ihm die Kellnerin serviert. Es geht ihm wieder gut.
"Wir brauchen dringend einen Kinderarzt für Halstenbek", sagt Gudrun Gabriel-Schröder. Sie gehört der Elterninitiative an, die sich zu diesem Zweck formiert hat. In Kindergärten, Schulen, Apotheken, Hebammenpraxen und Allgemeinärzten haben sie Unterschriftenlisten ausgelegt, um Unterschriften für ihr Anliegen zu sammeln. Rund 850 hatten sie schon in den ersten Tagen zusammen. Die Unterschriftenlisten werden am Monatsende der Verwaltung übergeben. Am 14. März wird der Zulassungssausschuss der Krankenkassenärztlichen Vereinigung zu der Sache tagen. Auf der Liste wird auch abgefragt, wo ihr derzeitiger Kinderarzt sitzt: Hamburg, Pinneberg, Schenefeld oder andere. "Die Mehrheit kreuzt Hamburg an. Das kann doch nicht im Sinne der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holsteins sein", sagt Matthias Döring.
Obwohl sich im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr Familien mit Kindern in Halstenbek angesiedelt haben, hat die Kassenärztliche Vereinigung die Zulassung eines Kinderarztes bisher verweigert. "Inzwischen leben hier rund 2700 Kinder unter 16 Jahren", sagt Gudrun Gabriel-Schröder.
Im benachbarten Schenefeld gebe es immerhin einen Kinderarzt bei fast gleichgroßer Einwohnerzahl. Die sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln für die Halstenbeker nur schlecht zu erreichen, da es keine direkte Buslinie gibt. Eine große Hürde für alle, die mit einem kranken Kind unterwegs sind. Die nächsten Kinderärzte sitzen in Pinneberg. "Auch hier ist der Andrang groß", sagt Gudrun Gabriel-Schröder. Als Mutter von drei Kindern hat sie schon viele Stunden in Wartezimmern ausgeharrt.
Die Kassenärztliche Vereinigung begründet ihre Absage mit der Bedarfsanalyse. Der "Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen" plant den Bedarf. Er setzt sich zu gleichen Teilen mit Vertretern der Krankenkassen und mit Vertretern der Ärzte zusammen. Die Bedarfsplanung geht erst von einer Unterversorgung aus, wenn der Versorgungsgrad bei Hausärzten weniger als 75 Prozent, bei Fachärzten weniger als 50 Prozent beträgt. In Schleswig-Holstein gibt es laut dieser Definition derzeit keine Region, die unterversorgt ist.
"Im Kreis Pinneberg gibt es 20 niedergelassene Kinderärzte", sagt Marco Dethlefsen, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung in Schleswig-Holstein. Davon sitzen je vier in Pinneberg und Elmshorn, je drei in Wedel und Quickborn, zwei in Uetersen und Barmstedt sowie je einer in Schenefeld und Tornesch. Das entspricht einem Versorgungsgrad von 113,7 Prozent. Erst wenn der Versorgungsgrad unter 110 Prozent liegt, kann ein weiterer Arzt zugelassen werden.
"Uns sind leider die Hände gebunden", sagt Dethlefsen. Derzeit sei ganz Schleswig-Holstein für neue Kinderärzte gesperrt. Dabei sieht er die Bedarfsanalyse durchaus kritisch: "Sie beruht auf veralteten Zahlen von 1990 und spiegelt die Realität verzerrt wieder."
Offensichtlich haben das auch andere erkannt. In Berlin wird die Bedarfsplanung derzeit überarbeitet. Sie könnte 2013 in Kraft treten. Ob sie für Halstenbek die Lösung bringt, ist fraglich. Die Ärzte können sich innerhalb des Kreises selbst aussuchen, wo sie sich niederlassen. "Es herrscht ein akuter Mangel an Ärztenachwuchs, der bereit ist, sich auf dem Land niederzulassen", sagt Marco Dethlefsen. "Sie wollen lieber in Krankenhäusern arbeiten oder gehen ins Ausland, wo die Bedingungen besser sind."
In Halstenbek liegt es allerdings nicht am mangelnden Interesse seitens der Kinderärzte. "Der Bürgermeisterin Linda Hoß-Rickmann, die unsere Elterninitiative unterstützt, liegen verschiedene Anfragen vor", sagt Gudrun Gabriel-Schröder. Sie und ihre Mitstreiter mussten feststellen, dass es vermutlich leichter ist, ein krankes Tier medizinisch versorgen zu lassen, als ein Kind: "Allein in Halstenbek haben wir vier Tierärzte."