Die Krankenkasse unterstützt Geschädigte mit Expertenwissen beim Einklagen von Regressansprüchen und Schmerzensgeld.
Kreis Pinneberg. Es war keine große Sache: Der junge Mann suchte wegen einer Hautveränderung unterm rechten Knie seinen Pinneberger Hausarzt auf. Der Mediziner tippte auf Hautkrebs und schnitt die betroffene Partie mal eben großzügig heraus. Der Fehler: Statt oval entfernte der Arzt das Hautareal kreisförmig. Die Wunde heilte nicht. Dem Jugendlichen konnten nur mit einer Hauttransplantation geholfen werden.
"Abgesehen davon, dass der Eingriff Sache eines Facharztes gewesen wäre, war das ein eindeutiger Behandlungsfehler, den wir nachweisen konnten", sagt Privatdozent Dr. Holger Thomsen. Seit neun Jahren leitet der Arzt und Jurist das Institut Medizinschaden, mit der die AOK Schleswig-Holstein ihre Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen nach Behandlungsfehlern unterstützt. Jetzt hat die bundesweit einmalige Einrichtung, an die sich auch die Versicherten im Kreis Pinneberg wenden können, Bilanz gezogen.
Landesweit hat das Team um Privatdozent Holger Thomsen in Schleswig-Holstein 2400 Patienten bei Behandlungsfehlervorwürfen geholfen. 300 kamen aus dem Kreis Pinneberg. Für 60 Menschen aus der Region konnte Thomsen tatsächlich ärztliche Kunstfehler nachweisen und ihnen im juristischen Streit mit Ärzten, Kliniken und Haftpflichtversicherungen zu ihrem Recht verhelfen. All das passiert nicht uneigennützig. Wird einem Arzt der Pfusch nachgewiesen, muss die Haftpflichtversicherung des Mediziners nicht nur dem Patienten Prozesskosten und Schaden ersetzen sowie Schmerzensgeld zahlen - auch die Krankenkasse bekommt die Behandlungskosten zurück. Seit 2000 nahm die AOK Schleswig-Holstein acht Millionen Euro aus Behandlungsfehler-Regressen ein.
Spitzenreiter beim Ärztepfusch sind die Chirurgen. Der Klassiker: Die "Rechts-Links-Verwechslung". Beispiel: Der Arzt operiert versehentlich das falsche Knie. An Platz zwei stehen die Orthopäden. Am dritthäufigsten trifft es die Gynäkologen, insbesondere in der Geburtshilfe, wenn die Gesundheit des Babys wegen der Fehler des Arztes während der Geburt betroffen ist. "Selbst wenn es den Leuten gelingt, Behandlungsfehler nachzuweisen, weigern sich Haftpflichtversicherer meist, Schadenersatz zu zahlen", sagt Holger Thomsen. Allein gelinge es einem Versicherten selten, das Prozessieren mit allen Kosten durchzuhalten. "Hier fühlen wir uns natürlich auch als Anwalt unserer Kunden", sagt Jürgen Schröder, AOK-Geschäftsstellenleiter im Kreis Pinneberg.
Von der Arbeit des AOK-Instituts Medizinschaden profitieren nicht nur Kasse und Patienten. "In 80 Prozent der Fälle schließen wir ja Behandlungsfehler aus", sagt Holger Thomsen. Er appelliert damit auch an die Mediziner: Sie müssten konstruktiv mit ihren Patienten zusammenarbeiten und Probleme klären. Stattdessen verweigerten Ärzte häufig das Gespräch, gäben Behandlungsunterlagen nicht heraus, weil sie auf Zeit spielten und auf die Verjährungsfrist von nur drei Jahren setzten. Die Ärztekammer müsse zudem darauf achten, dass Mediziner ausreichend gegen Haftpflichtansprüche abgesichert sind. "Eine erfolgreiche Klage mit Schmerzensgeld und Schadenersatz hilft nichts, wenn die Haftpflichtversicherung den Schaden nicht deckt und der Arzt Privatinsolvenz anmeldet."
Auch mit den Gerichten geht der Leiter des Instituts Medizinschaden ins Gericht: Nicht selten stützten sich Urteile im Sinne des verklagten Arztes auf offensichtlich absurde Kollegengutachten."Manchmal hilft es auch, wenn wir den Leuten erklären, dass ihr Leid Folge einer Komplikation ist, die passieren kann und nichts mit der Unfähigkeit des Arztes zu tun hat", sagt Thomsen. Erst kürzlich habe sich eine ältere Pinnebergerin beim Institut bedankt mit den Worten: "Jetzt, wo ich es verstehe, kann ich damit leben."