Norderstedt. Regionalligist Eintracht Norderstedt erlebt eine turbulente Saison. Trainer Thomas Seeliger zieht im Interview eine Zwischenbilanz.

Eintracht Norderstedt wandelt in dieser Saison zwischen zwei Extremen. Vier Wochen lang führten die Garstedter die Tabelle der Fußball-Regionalliga Nord an, gewannen ihre ersten beiden Auswärtsspiele sogar mit 5:0. Doch der Höhenflug nahm ein abruptes Ende. Zahlreiche schwere Verletzungen trübten die Stimmung, die Eintracht rutschte nach und nach auf Rang neun ab. Bitter waren die hohen Niederlagen gegen den VfL Wolfsburg II (0:5, 1:8). Heute beginnt mit der ersten Übungseinheit die Vorbereitung auf die zweite Saisonhälfte. Trainer Thomas Seeliger nimmt im Abendblatt-Interview eine Standortbestimmung vor.

Hamburger Abendblatt: Platz neun hört sich nach gutem Durchschnitt an, aber normal war die Saison bisher nicht. Was ist hängen geblieben?

Thomas Seeliger: Wir sind sehr erfreulich gestartet, hatten gute Griffe mit den Neuzugängen, während sich die bisherigen Spieler stabilisiert haben. Die Truppe hat einen unglaublichen Ehrgeiz und Hunger auf Erfolg entwickelt. Dann kam die Verletztenmisere, die uns ganz schön in die Suppe gespuckt hat, was unser Leistungsvermögen angeht. Zwar sind wir zunächst sechs Spiele lang ungeschlagen geblieben, aber es ist eine gewisse Kreativität verloren gegangen. Es ist schade, wir hatten eine Euphorie, die wir sehr gerne fortgeführt hätten.

Sie haben immer gebremst, wenn von der 3. Liga gesprochen wurde. Muss ein Trainer da manchmal Spielverderber sein? Ist das auch Selbstschutz?

Seeliger : Nein, es ist Realismus. Hätte, wenn und aber – auch ohne Verletzungen hätte ich weiterhin nicht gesagt, dass wir um die Meisterschaft spielen. Aber wir hätten uns vom Mittelfeld absetzen können. Aufsteiger SV Drochtersen/Assel liegt als Vierter erstaunliche neun Punkte vor uns, dort könnten wir auch stehen.

Ist es nicht trotzdem bitter, wenn alles mit Verletzungen erklärt werden muss? Das ist doch einfach Pech.

Seeliger : Linus Meyer hat sich ohne gegnerische Einwirkung das Kreuzband gerissen, ist unglücklich aufgekommen. Die Verletzungen von Yayar Kunath und Haris Kevac entstanden aus Zweikämpfen. Es ist Pech dabei. Aber auch da gibt es die Frage der Stabilität. Profis, die jeden Tag trainieren, fallen manchmal anders. Man versucht ständig, sich zu hinterfragen, auch als Trainer. Die Regenerationsphasen sind geringer, das Tempo ist höher geworden. Wir hatten sehr viele Muskelverletzungen, mussten dem Aufwand Tribut zollen. Aber wir arbeiten nicht unter professionellen Bedingungen und haben weniger Erholungspausen. Die Jungs sind neben ihren beruflichen Herausforderungen im Training Woche für Woche ans Limit gegangen

Wollen die Spieler manchmal zu viel?

Seeliger: Ich weiß nicht, ob Spieler das zu 100 Prozent einschätzen können. Als Trainer im Amateurfußball kann ich nicht kontrollieren, was sie in ihrer Freizeit machen, wie sie sich ernähren, wie sie Regenerationszeiten für sich finden. Die Doppelbelastung ist schwer zu kompensieren. Wenn wir noch eine Einheit mehr machen, knicken wir vielleicht ein. Ein Profi lebt einfach anders, hat aber auch mehr Möglichkeiten durch Athletik- und Fitnesstrainer.

Trotzdem: Wie nahe kam die Eintracht anfangs Ihrer Idealvorstellung, etwa beim 2:1 gegen den ETSV Weiche Flensburg?

Seeliger : Das war eine Topleistung, Weiche spielt um die Meisterschaft mit. Da hat man gesehen, welches Potenzial in der Mannschaft steckt. Dieser Sieg war kein Zufall, er war verdient. Wir hatten nicht von ungefähr am zwölften Spieltag 24 Punkte. Da gab’s im Training aber auch einen sehr förderlichen Konkurrenzkampf, das ist gut für die Steigerung des Leistungsvermögens.

Sie haben 86-mal in der Bundesliga und 239-mal in der 2. Liga gespielt. Birgt das die Gefahr, zu hohe Maßstäbe anzusetzen?

Seeliger : Ich bin da sehr sachlich. Was du als Spieler erreichst, erreichst du nicht automatisch als Trainer. Ich hatte als Aktiver die professionelle Denke und möchte dort auch als Trainer hin. Aber erst einmal muss ich zeigen, dass ich dazu imstande bin. Dazu gehört, mit kleinen Schritten voranzukommen. Ich bin vom Alter her nicht mehr der Jüngste, aber als Trainer jung im Geschäft, weil ich noch mit 41 beim SV Todesfelde gespielt habe. Ich weiß, im Amateurbereich muss eine gewisse Kompromissbereitschaft den Spielern gegenüber gezeigt werden, aber manchmal stören mich einige Situationen, weil man an Grenzen stößt.

Ist es vorstellbar, dass auch in Norderstedt irgendwann einmal sechs-, siebenmal pro Woche trainiert wird, dass der Club auf das gleiche Level kommt wie der SV Meppen oder der VfB Oldenburg?

Seeliger : Der Verein muss sich die Frage stellen, wie er in Zukunft arbeiten will. Was wir leisten, ist nicht schlecht. Aber möchte man kurz- oder mittelfristig vorankommen? Auf Strecke setzen sich Mannschaften durch, die unter anderen Bedingungen arbeiten. Für uns ist es kein Selbstgänger, keine Selbstverständlichkeit, dass wir 40 Punkte erreichen, auch wenn wir uns toll entwickelt haben. Würden wir eine Regionalliga-Tabelle nach dem Preis-Leistungs-Verhältnis erstellen, wären wir weit oben.

Ihr Zimmerpartner bei der Fußball-Lehrer-Ausbildung war Rüdiger Rehm. Der liegt mit der SG Sonnenhof Großaspach, einem Dorfverein, sensationell auf Platz zwei der 3. Liga. Ein Vorbild?

Seeliger : Wir schreiben uns immer wieder und telefonieren auch mal. Rüdiger hat ja mit seiner Mannschaft auch bei uns trainiert vor dem Spiel bei Holstein Kiel. Es ist ein unfassbares Märchen. Das ist ein Dorfverein, der vor zwei Jahren noch in der Regionalliga gespielt hat, das sind auch nicht alles Vollprofis, die sind mit einem Etat von 800.000 Euro aufgestiegen. Dahinter steckt der Ehemann von Schlagersängerin Andrea Berg, es ist eine andere Struktur. Nichtsdestotrotz zeigt das Beispiel, dass Dinge möglich sind.

Ist es typisch Fußball, dass Mittelmaß schwer zu vermitteln ist?

Seeliger : Stagnation ist Rückschritt. Man kann nicht sagen, dass es schlecht ist, was wir erreicht haben, aber die Jungs haben Lust auf mehr gewonnen. Wenn man oben dabei ist, aber dann nicht mehr punktet, ist man immer enttäuscht. Das geht uns Trainern auch so, ich will immer das Maximale erreichen, das wollte ich schon als Spieler.

Die Winterpause ist auch Transferzeit. Was machen die Planungen?

Seeliger : Wir hatten die Kreuzbandrisse. Marius Browarczyk ist weg, Björn Nadler hat immer noch Probleme mit seinem Sprunggelenk, dann müssen wir noch vier Spiele auf Jan Lüneburg wegen seiner Rotsperre verzichten. Wir kompensieren das mit Onur Akdogan, bei dem wir aufgrund seines Kreuzbandrisses von Anfang 2015 ein Risiko eingehen. Dazu haben wir Thure Ilgner verpflichtet, den wir in der B-Jugend hier hatten – ich habe ihn einige Male im Training gesehen, gesagt, wir können ihn mit reinnehmen. Das sind reine Perspektivspieler. Ich habe den Wunsch nach Fußballern, die sofort Regionalliga spielen können, aber die laufen in Hamburg nicht herum.

Erwarten Sie einen der Langzeitverletzten noch in dieser Saison zurück, zum Beispiel Linus Meyer?

Seeliger : Linus hat den größten Ehrgeiz, es erreichen zu wollen. Aber ich weiß, was ein Kreuzbandriss bedeutet – nach sechs Monaten ist das Thema nicht durch. Die Muskulatur muss sich anpassen, der Spieler muss Sicherheit zurückerlangen. Haris Kevac ist jetzt ein paar Wochen in Kanada. Er steht für sich allein, muss da irgendwie durch. Ich war früher auch allein in fremden Städten, aber das gehört zum Leistungsfußball dazu.

Wie bewerten sie die Kooperation mit Oberligist SV Halstenbek-Rellingen?

Seeliger : Wir wissen, dass unsere Jungs dort gut aufgehoben sind. Aber wenn sie sich wirklich gut entwickeln, haben wir dann doch keinen Zugriff. Zum Beispiel auf Jan-Marc Schneider, der zum FC St. Pauli gegangen ist. Was haben wir davon?

Ist es schade, dass derzeit kein weiterer Hamburger Oberligist in die Regionalliga aufsteigen möchte?

Seeliger : Ich stehe dazu: Wenn Spieler nicht den Ehrgeiz haben, voranzukommen, weil sie einen bestimmten beruflichen Weg einschlagen, ist das in Ordnung. Aber die Regionalliga bietet vom Leistungsvermögen und vom Ambiente viel mehr als die Oberliga Die bleibt für mich total unattraktiv, ohne Ziele. Ich möchte den Vereinen nicht zu nahe treten, aber die TuS Dassendorf ist zweimal Meister geworden, ohne einen Schritt voranzugehen. Mir könnte das keinen Spaß machen, perspektivlos zu arbeiten. Mir würde es deswegen schwer fallen, solch einen Oberligisten zu trainieren. Auch unsere Jungs haben keine Lust, Oberliga zu spielen, die muss ich nicht zum Training treiben. In Hamburg habe ich das Gefühl, es geht immer nur um den Oddset-Pokal.

Ihr Vertrag läuft bis zum Saisonende. Was passiert danach?

Seeliger : Da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich traue mir zu, den nächsten Schritt zu gehen. Das muss aber nicht im Sommer sein. Grundsätzlich habe ich sehr viel Gefallen an der Trainertätigkeit gefunden. Wir streben in Norderstedt schon an, weiter zusammenzuarbeiten. Aber eigene Ziele müssen immer auch mit dem Club vereinbar sein.