Henstedt-Ulzburg. Der 2,02 Meter große Handballhüne wird nach einer Tour der Torturen wegen einer Schambeinentzündung nie wieder Leistungssport treiben.

Wer weiß heute noch das genaue Datum, wann er sich den Fuß vertreten, das Schienbein gestoßen oder das Handgelenk verknackst hat? Wohl kaum jemand. Doch Jan Wrage, in der Saison 2012/2013 Kreisläufer der Handballer des
SV Henstedt-Ulzburg, kann sich immer noch in allen Einzelheiten an das Missgeschick erinnern, das ihn am
25. Mai 2013 im Heimspiel gegen den HC Empor Rostock ereilte. Ihm war sofort, klar, dass das schmerzhafte Ziehen im Adduktorenbereich keine normale Verletzung sein würde.

„Irgendwie habe ich sofort gemerkt, dass da etwas anders war als bei einer gewöhnlichen Zerrung“, sagt der 2,02 Meter große Hüne aus dem Ortsteil Henstedt. Aus der Blessur entwickelte sich eine langwierige Entzündung des Schambeins, verbunden mit Schmerzen bei jeder körperlichen Belastung, die – durch welche Behandlungsmethode auch immer – nicht in den Griff zu bekommen waren.

Für Wrage begann eine Tour der Torturen, die nun – zwei Spielzeiten später – vor einer Kulisse von fast
700 Fans in der Halle 2 des Schulzen­trums Maurepasstraße ein emotionales Ende gefunden hat. Vor der Heimpartie des SV Henstedt-Ulzburg gegen den
TV 05/07 Hüttenberg, in der sich der SVHU rund 90 Minuten später mit einem umjubelten 22:21-Sieg den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga sicherte, hatte der 29-Jährige seinen großen Augenblick. Als Hallensprecher Klemens Schoeps seinen Namen per Mikrofon ausrief, war er allerdings völlig ahnungslos von dem, was folgen würde,

„Weil ich den Handball immer noch so sehr vermisse, bin ich längst nicht zu allen Heimspielen meiner früheren Mannschaft gegangen. Das Zuschauen hat einfach zu sehr an mir genagt“, sagt Wrage, der im zarten Alter von fünf Jahren in der Ballspielgruppe von Annette Schümann beim
MTV Henstedt seinen ersten Kontakt mit dem runden Leder hatte. „Aber die Jungs vom Aufbaukommando und Eventteam haben mich unter dem Vorwand, dass ich unbedingt helfen müsse, in die Halle gelockt. Mit einer Verabschiedung habe ich wirklich nicht gerechnet; schließlich liegt die Verletzung schon so lange zurück. Und die Gewissheit, dass es keinen Weg zurück in den Leistungshandball gibt, ist ja auch nicht erst gestern gekommen.“

Entsprechend gerührt zeigte sich der Berg von einem Kerl, als ihm ein Bilderrahmen – darin sein Trikot mit der Nummer 18 sowie Fotos von seinen sportlichen Stationen in Henstedt-Ulzburg – überreicht wurde. „Da musste ich schon ganz schön schlucken, ich war völlig überrascht und perplex.“

Die herzliche Aktion war Balsam für seine Seele. Schließlich muss er sich mittlerweile mit ernüchternden Dingen wie beispielsweise dem Kampf um die Anerkennung seiner Verletzung als Berufskrankheit beschäftigen; schließlich soll die Schambeinentzündung als Leistungsfall für die Berufsunfähigkeitsversicherung anerkannt werden. „Da ist zwar noch nicht alles über die Bühne gegangen, aber wir sind auf einem guten Weg“, sagt Jan Wrage, der seine gesamte Handball-Laufbahn mit Ausnahme der Jahre 2007 bis 2009, in denen er für den Norderstedter SV auf Torejagd ging, in Hen­stedt-Ulzburg absolviert hat.

„Als Jugendlicher habe ich nie im ersten Team meiner Altersklasse gestanden, bis ich in die A-Jugend kam“, sagt der bullige Ex-Kreisläufer, der nicht zuletzt durch seine physische Präsenz zum ersten Zweitliga-Aufstieg der Henstedt-Ulzburger Männer in der Serie 2011/2012 beigetragen hatte.

„Ich wollte, wenn es ging, immer unter Coach Jan Wagner spielen. Unter seiner Regie bin ich meistens als Linksaußen oder in der Rückraummitte aufgelaufen.“ Bis zu dem Jahr, als er – frisch in die A-Jugend aufgestiegen – erstmals unter die Fittichen des Mannes kam, auf dessen Verdienste Jan Wrage nichts kommen lässt. „Als dann Olaf Knüppel mein Trainer wurde, hat er bald zu mir gesagt: ‚Jan, ab jetzt bist Du Kreisläufer.‘ Diese Entscheidung habe ich nie bereut. Ich weiß ja, dass Olaf immer mal wieder aneckt, aber ich persönlich habe ihm viel zu verdanken. Und ohne ihn wäre der Handballsport in Henstedt-Ulzburg längst nicht das, was er jetzt ist.“

Doch da ist noch jemand, den Familienmensch Wrage, der auf einem Grundstück in Henstedt mit seinen Schwestern Sabrina und Nadine zusammenlebt und als „Onkel Jan“ gerne Fahr- und Betreuungsdienste für die Kinder von Nadine Hoppe erfüllt, ausdrücklich hervorheben möchte. „Ohne unsere Mutter Marion hätten wir Kinder nie in dem Umfang Handball betreiben können, wie wir es getan haben. Sie hat uns überall hingefahren und war auch beim unwichtigsten Spiel mit in der Halle.“

Und der Sport? Ist damit nun ganz Schluss? „Ich hoffe doch nicht“, sagt Jan Wrage, „wenn ich wieder beschwerdefrei bin, könnte ich mir gut vorstellen, mich den Faustballern des TuS Wakendorf-Götzberg anzuschließen.“ Positiv vorbelastet ist er ja schon, schließlich hat er beim traditionellen Wakendorfer Alsterpokal mit dem Team OSK („Das steht für O-Saft, Selter und Korn“) 2006 das erste Jedermannturnier gewonnen. „Und bei der zehnten Auflage Anfang Mai habe ich die Mannschaft ebenfalls ein wenig unterstützt. Doch, das wird schon werden – früher oder später...“