Norderstedt. Nino Haratischwili las in Norderstedt aus „Das mangelnde Licht“ und berichtete aus Georgien und darüber, wie sie ihre Themen findet.

Die Lesung mit der Bestseller-Autorin Nino Haratischwili hatte Dietmar Drews von der Stadtbücherei Norderstedt gleich ins Trockene – von der Wiese hinter dem Bustan im Stadtpark in die Rathaus-Bücherei – verlegt. Denn schon die Lesung mit NDR-Autor Peter Urban verregnete. Und er sollte Recht behalten. 30 Minuten nach Lesebeginn öffnete Regenmacher Petrus seine Schleusen.

Wer die 41-jährige Autorin für eine Lesung bucht, kann mit mindestens 60 treuen Nino-Haratischwili-Fans rechnen, und so war auch das Lesekabinett der Rathaus-Bücherei gut mit einem hochinteressierten Publikum gefüllt.

Das Norderstedter Publikum stellte der vielfach ausgezeichneten Autorin viele Fragen

Die Leserinnen und Leser von Nino Haratischwilis Büchern wie „Mein sanfter Zwilling“ von 2011, das Familienepos „Das achte Leben – für Brilka“ von 2014, übersetzt in 25 Sprachen, „Die Katze und der General“ (2018, Shortlist Deutscher Buchpreis) bis zum neusten Roman „Das mangelnde Licht“ (2022, 832 Seiten, 34 Euro, Frankfurter Verlagsanstalt) stellten der vielfach ausgezeichneten Autorin derart viele Fragen, dass Drews die Pause strich, damit Haratischwili noch ihren Zug zurück an ihren Wohnort Berlin erreichen konnte.

Nicht ohne, dass sie viele der frisch verkauften Bücher auch frisch signierte. Und obwohl sie gern in Hamburg geblieben wäre („Ich habe lange in Hamburg gelebt und vermisse die Stadt sehr“), Freunde besucht und das EM-Spiel Georgien gegen Tschechien gesehen hätte. „Georgien ist zum ersten Mal bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer dabei, und halb Georgien ist zum Spiel in Hamburg.“

Die 90er-Jahre waren ein sehr schweres Jahrzehnt in Georgien

Nino Haratischwili wurde 1983 in Tbilissi in Georgien geboren. Sie lebt in Berlin und arbeitet als Schriftstellerin, Theaterautorin und –regisseurin. Ihr neuster Roman „Das mangelnde Licht“ spielt in ihrer Heimat Tbilissi Ende der 1980er-Jahre. Nach der lang ersehnten Unabhängigkeit Georgiens von der Sowjetunion stürzt das Land ins Chaos. Die Autorin bricht den Roman von der weltpolitischen Lage auf das Leben von vier georgischen Mädchen herunter, auf die freiheitsliebende Dina, die intellektuelle Ira, die romantische Nene und die stille Beobachterin Keto, die Haratischwili zur Erzählerin ihres Romans machte.

„Die 1990er-Jahre in Georgien waren ein Jahrzehnt der Knappheit. Während westliche Jugendliche die Shows des US-Senders MTV guckten, lebten wir mit russischen Panzern, Gewalt, mit von Heroin überfluteten Männern und Frauen, die stark sein und improvisieren mussten, um zu überleben“, erzählte Haratischwili. Allem trotzt die Freundschaft der vier Mädchen, bis Verrat und Tod sie trennt.

Nino Haratischwili studierte in Hamburg Regie

„Die Geschichte Georgiens wiederholt sich seit 30 Jahren immer wieder, und immer noch sind 20 Prozent Georgiens, Abchasien und Südossetien, von Russland besetzt“, berichtet die Autorin, die in Hamburg Regie studierte und eine Freundin von Thalia-Regisseurin Jette Steckel ist, die zwei ihrer Romane sehr erfolgreich auf die Bühne brachte.

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Nino Haratischwili hofft auf einen guten Wahlausgang im Oktober, weil die heutige Jugend in Georgien stark für die Demokratie sei, sich frei fühle und sich nicht wie die Generationen davor von Russland einschüchtern ließe.

„Ein Thema habe ich, wenn mich eine Idee, eine Begebenheit nicht wieder loslässt“

Doch wie findet sie die Themen für ihre Theaterstücke und Romane, wollten ihre Leserinnen und Leser wissen. „Ich weiß nicht, wie ich von Seite A zur Seite B komme, aber wenn ich ein Thema habe, schaffe ich mir ein Gerüst, die Details kommen von allein, ich muss nur eine Ahnung vom Ende haben“, verrät die Autorin, die Mutter zweier Kinder ist. Und: „Ein Thema habe ich, wenn mich eine Idee, eine Begebenheit nicht wieder loslässt, wenn ich darüber mehr wissen will und recherchieren muss.“ Dann müsse sie solange schreiben, bis sie das Gefühl habe, das Thema sei ausdiskutiert.

Dietmar Drews lobte die Autorin als „echten Diamant der deutschen Literatur“, und es sei sein Herzenwunsch gewesen, sie in die Norderstedter Bücherei zu holen.