Norderstedt/Kiel. Urteil verbietet Beschäftigung von scheinselbstständigen Lehrern. Doch für Festanstellung fehlt das Geld. Norderstedt handelte schnell

Viele der 22 öffentlichen Musikschulen in Schleswig-Holstein bangen um ihre Existenz: Der Grund ist ein Urteil des Bundessozialgerichts aus 2022, das Musikschulen die Beschäftigung von freiberuflichen Lehrkräften im regulären Unterricht untersagt, wenn es sich dabei um sogenannte „Scheinselbstständige“ handelt.

Die Folge: Lehrkräfte müssen jetzt massenhaft fest angestellt werden. Zurzeit werden rund 38.000 Schülerinnen und Schüler von knapp 1100 Lehrkräften, Dreiviertel davon Honorarkräfte, an rund 500 Orten in Schleswig-Holstein unterrichtet. Für eine Festanstellung fehlt den meisten Schulen das Geld.

Unter dem Namen „Herrenberg-Urteil“ sorgt die Entscheidung in ganz Deutschland für Diskussionen. Der Name resultiert aus dem Wohnsitz einer Klavierlehrerin aus der Stadt Herrenberg bei Stuttgart. Die Deutsche Rentenversicherung Bund und das BSG sahen in ihrem Honorarvertrag eine Scheinselbstständigkeit.

Musikschulen bangen um Existenz: Jetzt handelt das Land

Was den Musiklehrerinnen und -lehrern nun also soziale Absicherung garantiert, versetzt die Musikschulen in die finanzielle Krise. Das gilt sowohl für die Musikschulen in kommunaler Trägerschaft als auch für die privatwirtschaftlichen Musikschulen. Künftig ist die Beschäftigung von Musikschullehrkräften auf Honorarbasis rechtswidrig. Wird das Urteil nicht befolgt, drohen hohe Nachzahlungen an die Sozialversicherungen.

Deswegen starteten Vertreterinnen und Vertreter der Musikschulen eine Petition mit der Forderung nach einer schnellen Umsetzung des Musikschulfördergesetzes, das eigentlich schon 2024 hätte vorliegen sollen und das den Musikschulen deutlich höhere Zuwendungen vom Land sichern würde. Am Donnerstag demonstrierten 600 Lehrkräfte, Schüler und Eltern mit Rasseln, Trommeln und Streichinstrumenten vor dem Landeshaus in Kiel, um auf ihre prekäre Finanzlage aufmerksam zu machen.

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Musikschulfördergesetz soll bis 2026 inkrafttreten

Und siehe da: sie wurden erhört. Bildungsministerin Karin Prien versprach, dass die Musikschulen ab 2025 mehr Geld vom Land erhalten sollen. Bis spätestens Februar 2025 soll das Musikschulfördergesetz dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt werden. Damit könne das Gesetz wie geplant 2026 inkrafttreten.

Vor den Demonstrierenden sagte Prien: „Wir haben uns im Kabinett darauf verständigt, dass wir trotz der überaus angespannten Haushaltslage eine substanzielle Erhöhung der Förderung für die Musikschulen ab 2025 umsetzen werden. Wir werden die Musikschulen im Land spürbar stärken!“

Übergangslösung ab 2025

Ab 2025 benötige das Land eine Übergangslösung, um die Strukturen der Musikschulen zu sichern. „Die Musikschulen werden ein herausragender Partner zur Gestaltung des Ganztagsangebots in unseren Schulen werden“, sagte Prien. Diese Aufgabe werde aber nur gelingen, wenn Land, Musikschulträger, Kommunen und Eltern gemeinschaftlich darauf hinarbeiten, die Musikschulen zu stärken. Für die Umsetzung des Landesanteils werde ihr Ministerium bereits in der nächsten Woche mit dem Landesverband der Musikschulen sprechen.

Norderstedts städtische Musikschule hat bereits Fakten geschaffen. Aktuell sind unter 47 Lehrkräften bereits 41 fest angestellt, nur noch sechs unterrichten auf Honorarbasis. „Die finanzielle und soziale Absicherung wird durch die Festanstellung sicherlich erhöht, alle unsere Lehrkräfte haben sich über das Angebot der Festanstellung gefreut“, sagte Gabriele Angelo Mele, seit April 2023 Leiter der Musikschule mit 2300 Kursus-Teilnehmenden an 28 Standorten.

Norderstedts Musikschule hat schon Fakten geschaffen

Eine Beschäftigung von freien Mitarbeitenden auf Honorarbasis sei aber nach wie vor möglich, wenn die Lehrenden nicht in die Organisation der Musikschule eingebunden werden. Die Teilnahme an Konferenzen, Vorspielen oder Konzerten beispielsweise dürfe nicht verpflichtend sein. „Diese Möglichkeit werden wir unter anderem bei Projekten nutzen“, ergänzte Mele. Die Mehrkosten durch die Festanstellungen seien im Personal-Budget der Musikschule bereits vorhanden. Eine Gebühren-Erhöhung würde dadurch vermieden.

Freie, privatwirtschaftlich arbeitende Musikschulen können Lehrkräfte ebenfalls nur noch auf Honorarbasis beschäftigen, wenn diese eine wirklich selbstständige und unabhängige Tätigkeit ausüben können. Das weiß auch Stephan Preussner, der die Yamaha-Musikschule an der Ulzburger Straße mit seiner Ehefrau Birte Preussner leitet: „Wir prüfen, inwieweit unsere Honorarkräfte betroffen sind, und ich habe darum gebeten, das Thema auf die Tagesordnung des Treffens aller Yamaha-Musikschulleiter im Herbst zu setzen, damit wir eine klare Regelung erarbeiten können.“ Die Honorarkräfte würden bis jetzt eine Rechnung über ihre erbrachten Leistungen ausstellen.

Kreismusikschule Segeberg: Großteil der Angebote gefährdet

Zu den Musikschulen, die die Umsetzung des Musikschulfördergesetzes per Petition einforderten, gehört auch die Kreismusikschule Segeberg, an der 42 Lehrerkräfte, darunter auch Honorarkräfte, 1800 Schülerinnen und Schüler an 64 Orten im Kreis Segeberg unterrichten. „Ein Großteil der Angebote wäre stark gefährdet, wenn das Land die finanzielle Ausstattung der Musikschulen nicht massiv verbessert“, heißt es vom Verein für Jugend- und Kulturarbeit im Kreis Segeberg (VJKA), zu dessen Trägerschaft die Kreismusikschule gehört.

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„Wir empfehlen der Landesregierung eine deutlich stärkere Förderung der Musikschulen, um die notwendigen Festanstellungen zu ermöglichen“, sagte Hartmut Schröder, Geschäftsführer vom Landesmusikrat Schleswig-Holstein. Außerdem sollten „die Musikschulen alles tun, um zu einer größeren Zahl von Festanstellungen zu kommen“. Nur so sei es auf Dauer machbar, die Kooperationsaufgaben mit Regelschulen und die Aufgabe des flächendeckenden Angebots aufrechtzuerhalten.

„Die sozialversicherungspflichtigen Anstellungen wird den Musikschullehrkräften zugutekommen. Das begrüßen wir als Landeskulturverband ausdrücklich. Doch die strukturellen und finanziellen Auswirkungen des ,Herrenberg‘-Urteils sind für viele Musikschulen in Schleswig-Holstein immens“, sagt auch Kilian H. Lembke, Vorsitzender des Landeskulturverbandes Schleswig-Holstein. „Die Lage der Musikschulen nach dem Urteil und der Ganztagsanspruch ab 2026 zeigen, dass es dringend geboten ist, das Engagement des Landes in der kulturellen Bildung umfassend auszubauen“, ergänzt der Vorsitzende des Landeskulturverbandes.