Kreis Segeberg. Die Einsatzleitstelle der Polizei darf keine Anrufer orten, verweisen an die Kollegen vom Notruf 112 und müssen dann auflegen.
- Wenn der Anrufer nicht weiß, wo er sich befindet, muss die Polizei an Feuerwehr und Rettungsdienst verweisen
- Grund ist eine Regelung im Polizeigesetz von Baden-Württemberg
- Gewerkschafter optimistisch, dass das Problem demnächst gelöst wird
Der Vorstellung ist unfassbar: Ein in Not geratener Anrufer meldet sich bei der Polizei unter der Notrufnummer 110. Dann sagt der Beamte nach einem kurzen Gespräch: Ich lege jetzt auf, bitte rufen Sie den Notruf 112 an. Kaum zu glauben, doch das passiert immer wieder in der Polizeieinsatzleitstelle, sagt Sebastian Kratzert, Vorsitzender der Regionalgruppe Segeberg-Pinneberg der Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Der Grund: Die Beamten in der Leitstelle können den Anrufer zwar technisch lokalisieren und seinen Standort ausfindig machen, wenn er selbst nicht genau beschreiben kann, wo er sich genau befindet. Doch sie dürfen es aus rechtlichen Gründen nicht – im Gegensatz zu ihren Kollegen in der Rettungsleitstelle, in der die Anrufe für Rettungsdienst und Feuerwehr unter der Nummer 112 entgegengenommen werden. Für alle Notrufe aus den Kreisen Segeberg und Pinneberg sind die Leitstellen in Elmshorn zuständig, die Tür an Tür arbeiten.
Notruf 110: „Wir haben in erster Linie ein rechtliches Problem“
Dieses Problem besteht in allen Polizeileitstellen des Landes. „Wir haben in erster Linie ein rechtliches Problem“, sagt Gewerkschafter Kratzert. Sein Kollege Torsten Jäger vom GdP-Landesverband bezeichnet es als unverständlich, dass sich die Ortungsmöglichkeiten der Leitstellen nur auf die 112 beschränken. Jäger sagt: „Das ist föderales Absurdistan.“ Leib und Leben könnten doch nicht durch möglicherweise fehlende datenschutzrechtliche Voraussetzungen im Polizeirecht eines Bundeslandes gefährdet werden. „Die Ortung bei eingehenden Notrufen jeder Art muss schnellstmöglich hergestellt werden!“, so der Gewerkschafter.
Das Problem liegt – ebenfalls absurd – in der Polizeigesetzgebung des Landes Baden-Württemberg, das diese Ortung nicht vorsieht. Da die Notrufe aus Elmshorn und anderer Leitstellen über den Server dieses Bundeslandes abgewickelt werden, gelten für die Technik und Anwendung die Regelungen Baden-Württembergs und nicht die Schleswig-Holsteins. „Das ist unser Problem“, sagt Kratzert. „Wir dürfen die Daten nicht abrufen.“ Die Ortung von Handys, die Apple und Android ihren Kunden erlauben, bleibt damit für die Polizei zumeist tabu.
Gewerkschaft: Bedenken der Datenschützer offenbar ausgeräumt
Das könnte sich jetzt ändern. Die Gewerkschaft berichtet, dass künftig auch der Polizei die Nutzung des „Advanced Mobile Location (AML)-Verfahrens“ ermöglicht werden soll, das bei den Kollegen von 112 schon lange angewendet wird. „Die Bedenken der Datenschützer können offenbar ausgeräumt werden“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende der GdP, Sven Neumann
„So kann auch die Polizei zeitnah Menschen per GPS lokalisieren, die sich hilfesuchend an den Notruf 110 wenden“, sagte Neumann. Er sei positiv überrascht von dieser Entwicklung. Neumann: „Es ist schön, wenn wir zeitnah eine Lösung finden, die unseren Kolleginnen und Kollegen die tägliche Arbeit erleichtert. Wichtig ist aber auch, dass den hilfesuchenden Bürgerinnen und Bürgern schnellstmöglich in Notsituationen geholfen werden kann.“
„Die Menschen befinden sich oft in einem emotionalen Ausnahmezustand“
Kratzert und seine Kollegen erleben es immer wieder, dass Menschen sich hilfesuchend über den Notruf 110 melden, jedoch nicht genau angeben können, wo sich der Unfall, das Verbrechen oder eine andere Notlage zugetragen hat. „Zum Beispiel, wenn sie Zeugen eines Verkehrsunfalls mit einem verletzten Kind geworden sind.“ In diesen Situationen Menschen an den Notruf 112 zu verweisen und aufzulegen, sei kaum vermittelbar, stoße auf Unverständnis und führe in manchen Fällen zu einem emotionalen Ausnahmezustand.
„Die Menschen rufen in höchster Not die Polizei an und hören dann, dass der Kollege auflegen wird“, sagt Kratzert. Den Anrufern die Gründe klarzumachen, sei in der Regel nicht möglich. Außerdem gehe durch das Gespräch und den erneuten Notruf, diesmal bei der 112, viel Zeit verloren, die bei einem Einsatz über Leben oder Tod entscheiden kann.
Ortung über die Handymasten funktioniert nur ungenau
Das Ortungsverbot zu umgehen, ist zwar möglich, aber in der Praxis kompliziert und ebenfalls zeitaufwendig. Bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben oder für hohe Sachwerte kann ein Richter die Ortung genehmigen. „Zuständig für uns ist das Amtsgericht in Bad Segeberg“, sagt Kratzert. Ist der Richter jedoch nachts oder am Wochenende nicht schnell zu erreichen, kann der Polizist in der Leitstelle wegen Gefahr im Verzug die Ortung anordnen, muss sie aber nachträglich bestätigen lassen.
Bleibt noch die Möglichkeit, Handys über den jeweiligen Sendemast zu orten, an dem sich das Gerät eingewählt hat. Doch das System ist nicht präzise, und die Genauigkeit nimmt abhängig von der Dichte der Besiedelung ab. „Im ländlichen Raum haben wir einen Radius bis zu zehn Kilometern“, sagt Kratzert. In Städten wie Norderstedt stehen dagegen mehr Masten auf kleinem Raum.
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Der SPD-Landtagsabgeordnete Niclas Dürbrook hatte mit einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung in Kiel die juristischen Schwierigkeiten bei der Ortung öffentlich gemacht. Bereits seit 2019 gebe es in Deutschland das Verfahren „Advanced Mobile Location“ (AML). Dadurch werden auf einem Smartphone beim Wählen des Notrufs verschiedene Sensoren wie das GPS eingeschaltet und die Daten automatisch übertragen. „Am nationalen AML-Endpunkt bei einer Leitstelle im Schwarzwald kommen die Daten an, werden weitergeben und können für die Koordinierung der Einsatzkräfte vor Ort genutzt werden“, so Dürbrook. „Zumindest, wenn man den Feuerwehrnotruf 112 gewählt hat. Denn unter dem Polizeinotruf 110 ist das leider nicht möglich.“ Niclas Dürbrook sagt außerdem: „Es gibt viele Fälle, in denen der Föderalismus zu Unrecht für Missstände verantwortlich gemacht wird. Aber in diesem Fall kann man wirklich nur den Kopf schütteln.“
Das Kieler Innenministerium sei im Gespräch mit den Kollegen im Innenministerium Baden-Württemberg, sagte Sprecherin Jana Hämmer. Das Thema werde voraussichtlich auch bei der Innenministerkonferenz Mitte April besprochen. Wann das Problem gelöst werde, sei offen.