Henstedt-Ulzburg. Einwohnerversammlung zur Ostküstenleitung in Henstedt-Ulzburg: Ein Abend mit wichtigen Erkenntnissen. Das empfiehlt die Anwältin.
Es war ein Angebot an die Bevölkerung in Henstedt-Ulzburg, mehr oder weniger die letzte Chance, sich aus erster Hand über eines der größten Infrastrukturprojekte in Schleswig-Holstein zu informieren. Die Einwohnerversammlung zur Ostküstenleitung im Bürgerhaus war eine denkwürdige Veranstaltung. Allerdings aus anderen Gründen, als manche Entscheidungsträger in Rathaus oder Politik vielleicht erwartet (oder erhofft) hatten. Denn es wurde der finale Beweis: Es existiert in der Großgemeinde kein nennenswerter Widerstand zu der 380-Kilovolt-Stromtrasse. Exakt 57 Bürgerinnen und Bürger wurden am Eingang gezählt. Und davon, auch das ist eine Wahrheit, waren ungefähr die Hälfte Vertreterinnen und Vertreter der Parteien und Wählergemeinschaften.
David Böckler, Projekleiter für die Planung beim zuständigen Netzbetreiber Tennet, stellte die Ostküstenleitung in Grundzügen noch einmal vor. Sie wird auf einer Länge von 115 Kilometern Strom von Ostholstein aus, dort insbesondere erzeugt durch Windkraft, transportieren, wird zudem an das aus Skandinavien kommende Baltic Cable angeschlossen. Über ein neues Umspannwerk, das im Bereich Beckershof direkt an der A7 entstehen soll, wird der Strom nach Süden fließen. Es handelt sich um eines der zentralen Projekte der Energiewende in Deutschland, die Kosten liegen insgesamt bei mehr als 1 Milliarde Euro.
Ostküstenleitung Henstedt-Ulzburg: Kaum noch Widerstand – wird trotzdem geklagt?
Langfristig sollen die Verbraucher gerade im Norden davon finanziell profitieren. Denn hier sind die Netzentgelte, also ein fixer Bestandteil jeder Stromrechnung, höher. Warum? Betreiber von Windkraftanlagen, aber auch anderer erneuerbarer Energien, deren Strom nicht eingespeist werden kann, weil die Leitungen nicht ausreichend Kapazität haben, erhalten Entschädigungen, die wiederum umgelegt werden auf die Stromkunden. Die Hoffnung: Wenn irgendwann die Infrastruktur so gut ist, dass keine Energie verloren geht, werden die Preise deutlich runtergehen.
Der Kreis Segeberg wird von der Ostküstenleitung durchquert. Teilweise sind es freistehende Strommasten, dann werden im Bereich Kisdorferwohld Erdkabel verlegt, was ein Pilotverfahren ist. Und auch in Henstedt-Ulzburg verläuft die Trasse unterirdisch, und das in Dükern, ebenso ein Novum. Zahlreiche betroffene Grundeigentümer, in der Regel Landwirte, haben mit Tennet individuell Einigungen erzielt über die Nutzung der Flächen, sie erhalten Entschädigungen.
Verwaltungsrechtlerin Leppin gibt Einschätzung zu Klage ab
Und dennoch behält sich Henstedt-Ulzburg weiterhin das Recht vor, gegen den Planfeststellungsbeschluss vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klagen. Beziehungsweise: Es ist Sache der Politik, so etwas mehrheitlich auf den Weg zu bringen. Anfang des Jahres hatte man das bereits versucht, als Tennet grünes Licht für einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn erhalten hatte. Die Eilklage wurde abgewiesen. Und jetzt? Angelika Leppin, renommierte Verwaltungsrechtlerin aus Kiel, berät die Gemeinde seit Jahren in dieser Sache. Sie hat die Planfeststellungsunterlagen studiert, wird am nächsten Montag (4. Dezember, 18.30 Uhr, Ratssaal zu Gast sein im Planungs-, Ortsentwicklungs- und Mobilitätsausschuss.
Ihr Fazit: Eine Klage werde „mit großer Wahrscheinlichkeit erfolglos sein“, schreibt die Verwaltung in einer Vorlage. Zu Details dürfte Leppin in der Sitzung Stellung nehmen. Bekannt ist: Der einzige Ansatzpunkt wäre wohl gewesen, eine Verletzung der Planungshoheit nachzuweisen. Also, dass Henstedt-Ulzburg in seiner Entwicklung durch die Stromtrasse rechtswidrig eingeschränkt sei.
„Aussichtslos“: Rathaus kommt zu ernüchterndem Ergebnis
Ähnlich formuliert es die Ortsplanung aus eigener Sicht: „Auch die Verwaltung kommt nach Prüfung des Planfeststellungsbeschlusses zum Ergebnis, dass das bisher durchgeführte Verfahren und die getroffenen Kompensationsmaßnahmen ausreichend sind, um das Planfeststellungsverfahren abzuschließen und die Maßnahme zu genehmigen. Ein erfolgreiches Klageverfahren mit tatsächlich geändertem Trassenverlauf ist aufgrund der jetzt durch die Einwendungen der Gemeinde Henstedt-Ulzburg nachgebesserten Planfeststellungsunterlagen nach Auffassung der Verwaltung aussichtslos.“
Dennoch: Theoretisch könnten CDU, BfB und FDP mit ihrer Mehrheit die Gemeinde beauftragen, zu klagen. Auf der Einwohnerversammlung hatten alle Fraktionen ein Rederecht. Und während Grüne, SPD und WHU sich längst mit der Ostküstenleitung arrangiert haben, blieb Jens Iversen, Fraktionschef der BfB, standhaft. „Ja“, man sei weiterhin bereit, sagte er. „Egal wie groß unsere Chancen sind.“
BfB schimpft: „Umweltpolitische Fehlentscheidung“
Und: „Bei so wenig Widerstand gegen eine umweltpolitische Fehlentscheidung und auch eine wirtschaftlich nicht nachzuvollziehende Belastung für alle Bürgerinnen und Bürger in Henstedt-Ulzburg und darüber hinaus, stehen wir auf dem Standpunkt, dass – wenn es schon die eigentlich doch der Umwelt verpflichteten Verbände nicht tun – wir gegen diesen Unsinn bis zum bitteren Ende vorgehen sollten.“ Weiterhin findet die BfB: Ein alternativer Verlauf entlang einer künftigen A20 sei nicht ausreichend geprüft worden. Allerdings, auch das schreibt Iversen: „Wir möchten Sie aber nicht darüber im Unklaren lassen, dass unsere Aussichten in Leipzig zu gewinnen, mehr als dürftig sind.“
Eine Klage hätte sowieso keine aufschiebende Wirkung, überall entlang des Verlaufs wird längst gebaut. Und Volker Duda, Chef des Bauamtes und oberster Ortsplaner, wies darauf hin: Selbst ein Erfolg würde nicht bedeuten, dass das gesamte Projekt gekippt und rückgebaut wird. Vielmehr könnte ein Urteil dazu führen, dass Unterlagen überarbeitet und neu vorgelegt werden. Das „A20-Argument“ sieht das Rathaus sowieso als chancenlos an, da es für die Autobahn noch nicht einmal einen rechtskräftigen Beschluss gebe.
Gerichtsverfahren „hilft der Gesellschaft nicht“
Wahrscheinlicher ist: Iversen wird keine Unterstützung erhalten. Stephan Holowaty (FDP) sagte, es war „richtig, dass wir uns bis heute dafür einsetzen, dass die Ostküstenleitung an die A20 kommt“. Aber: Eine Klage werden die Liberalen nicht mittragen. „Dadurch würde das Projekt teurer und verzögert, das hilft der Gesellschaft nicht.“ Und: Dass die Tennet einen Infrastrukturausgleich gezahlt habe, Kompensation für Wegerecht und die Gemeinde für einen niedrigen Preis ein Grundstück am Umspannwerk Edisonstraße erwerben konnte, stellt die FDP zufrieden.
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Aus Sicht der CDU formulierte es Dietmar Kahle bedächtiger. Man habe noch keine abschließende Meinung zu einer Klage, sagte er. „Die Frage der Klage bringt die Leitung nicht an die A20. Die Düker sind schonender, aber auch teurer, das zahlen wir über höhere Netzentgelte.“ Die Ostküstenleitung „werde man akzeptieren müssen“.
Stromtrasse: Das nächste Großprojekt für die Region ist bereits in Planung
Mehr aber auch nicht. „Kommen Sie nicht mit DC 31!“, warnte er. Dabei handelt es sich um ein weiteres Großprojekt, das in der Vorbereitung ist: Der „NordOstLink“, eine unterirdische Gleichstromleitung, soll von Heide bis Klein Rogahn (bei Schwerin) führen, auch hier geht es um den Transport von Windenergie. Der genaue Verlauf steht noch nicht fest, aber ein „Suchraum“, der auch die Kreise Segeberg und Stormarn umfasst und rund zehn Kilometer breit ist. Henstedt-Ulzburg liegt hier außerhalb, anders als etwa Bad Bramstedt. Von der Kurstadt erstreckt sich der Korridor in südöstlicher Richtung, südlich vorbei an Bad Segeberg.
Bis zum 29. Dezember läuft hier die Öffentlichkeitsbeteiligung, solange können Stellungnahmen abgegeben werden (Infos hier). Ab Februar soll ein Verlauf festgelegt und das Planfeststellungsverfahren starten. Mittlerweile wurden diese Prozesse gesetzlich beschleunigt, damit jahrelange Planungen wie bei der Ostküstenleitung ein Ende haben.