Norderstedt. 21 Hunde hat der 42 Jahre alte Norderstedter schon aus den Kriegsgebieten geholt. Warum er immer wieder losfährt.

Abgehackte Pfoten, Brandwunden, Gewehrkugeln im Körper: Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur für die dort lebenden Menschen gravierende Folgen, auch die Tiere leiden. Heimatlos gewordene Hunde streunen durch die Straßen – nicht wenige von ihnen sind schwer verletzt, fast alle schwer traumatisiert. Philip Würpel (42) aus Norderstedt reist regelmäßig in die Kriegsgebiete, um Hunde zu retten. 21 hat er mit seinem Privatwagen bisher schon über die Grenzen gebracht.

Woloschka sitzt auf der Couch neben dem Besucher und kuschelt sich an. Alle paar Minuten hebt der Schäferhund sein rechtes Bein an und fordert auf, es kurz in die Hand zu nehmen. Nach der Aktion ist der beruhigt und lässt sich nieder.

Fussel, der nicht nur wie ein Streuner aussieht, sondern tatsächlich einer war, sitzt auf der andere Seite der Couch und blickt den Besucher mit seinen Knopfaugen an. Vor wenigen Monaten lebten beide Hunde noch auf den Straßen von Bachmut im Osten der Ukraine.

Viele Hunde wurden von ihren Besitzern ausgesetzt und leben als Streuner in den Kriegsgebieten der Ukraine. Philip Würpel hat schon 22 dieser Hunde nach Norderstedt gebracht.
Viele Hunde wurden von ihren Besitzern ausgesetzt und leben als Streuner in den Kriegsgebieten der Ukraine. Philip Würpel hat schon 22 dieser Hunde nach Norderstedt gebracht. © Philip Würpel | Philip Würpel

19 Hunde hat Philip Würpel schon vermittelt

Jetzt gehören sie zum Haushalt der Familie Würpel am Henstedter Weg in der Nähe des SOS-Kinderdorfes. Eigentlich hatte Philip Würpel sie vermitteln wollen – genauso wie die 19 anderen Hunde, die er aus den Kriegsgebieten der Ukraine nach Deutschland geholt hat. Aber dem Charme der beiden Tiere konnte er nicht widerstehen.

Woloschka hat es körperlich schwer getroffen. Der zutrauliche und im Grunde seines Wesens fröhliche und auch Fremden gegenüber zutrauliche Hund kann seine rechte Vorderpfote nur beschränkt einsetzen, weil Schrapnellteile eingedrungen sind. Die tiefe Wunde in der Pfote verheilt nicht, der Einsatz einer Orthese hat nicht funktioniert. Verschiedene Tierärzte haben bereits vergeblich versucht, dem Hund zu helfen.

Mit dem Kopf auf der Schulter von Bachmut nach Norderstedt: Schäferhund Woloschka und Philip Würpel, der mit einer Schutzweste am Steuer sitzt.
Mit dem Kopf auf der Schulter von Bachmut nach Norderstedt: Schäferhund Woloschka und Philip Würpel, der mit einer Schutzweste am Steuer sitzt. © Philip Würpel | Philip Würpel

In der Norderstedter Tierklinik wird versucht, Woloschka zu helfen

IT-Fachmann Philip Würpel ist hartnäckig und bleibt dran: Jetzt wird in einer Norderstedter Tierklinik versucht, dem etwa zweieinhalb Jahre alten Woloschka zu helfen. Fussel, der kleine Streuner, benötigt keine tierärztliche. Als er aufgegriffen wurde, war er körperlich gesund, tief in der Seele aber offenbar schwer verwundet. Was er durchgemacht hat, kann niemand genau sagen: Er wirkte ängstlich und legte vor allem Männern gegenüber Angst und Scheu an den Tag.

Auch das hat sich gebessert. Nach kurzzeitiger Skepsis gegenüber dem fremden Besucher lässt sich der kleine Hund sogar anfassen. Die mitgebrachte Leckerlis verspeist er genüsslich. „Beide Hunde haben sich sehr gut gemacht“, sagt Philip Würpel, der sich dank seines Homeoffice-Arbeitsplatzes praktisch rund um die Uhr um die Hunde kümmern kann. Wichtig auch: Sie vertragen sich mit den beiden anderen großen Hunden, die zum Haushalt gehören.

Traumatisiert und verletzt leben unzählige ukrainische Hunde in den Tierauffangstationen.
Traumatisiert und verletzt leben unzählige ukrainische Hunde in den Tierauffangstationen. © Philip Würpel | Philip Würpel

Im Juli 2022 wurden die ersten Hunde nach Norderstedt geholt

Mehrmals im Jahr ist der Norderstedter unterwegs, um Hilfsgüter für Menschen und Tiere in die Kriegsgebiete in der Ukraine zu bringen. In der Nachbarschaft waren ukrainische Flüchtlinge untergebracht, zu denen freundschaftliche Kontakte geknüpft wurden, die auch nicht abrissen, als die meisten wieder in die Heimat zurückgekehrt waren. Im Juli vergangenen Jahres reiste Philip Würpel erstmals mit einem Anhänger voller Hilfsgüter in die Ukraine. Zurück kam er mit mehreren Hunden an Bord.

Freunde machten ihn auf das Elend der Tiere aufmerksam. „Die Tiere streunen umher, sind in Panik und wissen nicht mehr, wo sie zu Hause sind.“ Schäferhund Woloschka zum Beispiel hat längere Zeit bei Soldaten im Frontgebiet gelebt, bevor er zu einer Auffangstation gebracht wurde.

Viele Hunde aus den Kriegsgebiete in der Ukraine habe schwere Verletzungen erlitten. Sie streunen durch die Straße, bevor sie aufgegriffen und in Schutzstationen untergebracht werden.
Viele Hunde aus den Kriegsgebiete in der Ukraine habe schwere Verletzungen erlitten. Sie streunen durch die Straße, bevor sie aufgegriffen und in Schutzstationen untergebracht werden. © Philip Würpel | Philip Würpel

Freunde und Geschäftsleute spenden Futter und Medikamente

Ist der 42 Jahre alte IT-Fachmann anfangs noch eher zufällig zum Hunderetter geworden, so hat sich inzwischen eine Struktur herausgebildet, die auch von einem Unterstützerkreis getragen wird. Freunde helfen bei der Beschaffung von Hilfsgütern, Tierfutter und -medikamenten, Läden wie Carnivora und Futterhaus stellen größere Mengen Tierfutter zur Verfügung. Es gibt seit wenigen Tagen eine Internetadresse, über die alle, die Spenden wollen oder einen Hund aufnehmen möchten, Kontakt aufnehmen können. Die Gründung des Vereins „Hunderettung Ukraine“ ist in Vorbereitung.

Philip Würpel selbst investiert seinen Jahresurlaub und seine Ersparnisse, um Tieren und Menschen in der Ukraine zu helfen. Gerade erst hat er sich von seinem alten SUV getrennt, um sich in Norwegen einen amerikanischen SUV mit verstärkter Federung und starken Unterboden zu kaufen. „Ein solches Fahrzeug benötigt hier eigentlich kein Mensch, für Fahrten in die Kriegsgebiete ist es aber eine Notwendigkeit.“

Er berichtet von durch Panzer aufgerissenen Schlaglöchern und somit fast unpassierbaren Straßen. Nicht alles ist marode: Ein gut ausgebautes Tankstellennetz lässt bei dem Norderstedter zumindest keine Angst aufkommen, unterwegs ohne Benzin zu stranden. „Zur Sicherheit habe ich aber immer einen 50-Liter-Behälter mit Benzin dabei.“

Mit einem vollbeladenen Anhänger reist Philip Würpel in die Ukraine.
Mit einem vollbeladenen Anhänger reist Philip Würpel in die Ukraine. © Philip Würpel | Philip Würpel

Weniger Probleme an den rumänische Grenzübergängen

2500 Kilometer hin, 3500 Kilometer zurück – das schafft Philip Würpel in der Regel innerhalb von drei Tagen mit viel Koffein- und Energiedrinkunterstützung. Geschlafen wird in Hotels, bei Freunden oder auf dem Rückweg mit den Hunden zusammen im Auto. Die längere Rückfahrt kommt durch den Umweg über Rumänien zustande. Er wählt diesen Weg, weil es an den dortigen Grenzen weniger Probleme gibt.

Gefährlich ist eine Fahrt in die Kriegsgebiete allemal. Geschosseinschläge in nächster Nähe, Zerstörungen, Verwüstungen ringsumher gehören zum Alltag einer solchen Reise. Von Freunden hat er ein Video zugeschickt bekommen, auf dem die Zerstörung eines Hotels, in dem er oft übernachtet hat, zu sehen ist. Philip Würpel hat die Angst inzwischen abgelegt und nimmt die ständig lauernde Gefahr gelassen hin: „Eine Fahrt auf der Autobahn ist auch nicht ungefährlich.“

Süßigkeiten und Energiedrinks für die Soldaten

Mit ukrainischen Soldaten habe es keine Probleme gegeben, die seien auch bei Kontrollen stets höflich und freundlich gewesen. Geld habe niemand von ihm haben wollen, über Süßigkeiten und Energiedrinks hingegen hätte sie sich gefreut. Ukrainische Polizisten hingegen hätten schon mal Geld verlangt – vergeblich allerdings. „Ich habe ihnen nichts gegeben.“ Rumänische Grenzbeamte verlangten in der Regel Geld.

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Im November und wahrscheinlich im Dezember wird er wieder in die umkämpften Gebiete fahren, um Hilfsgüter zu bringen und in Not geratene Hunde zu holen. Dabei überlässt er nichts dem Zufall: „Ich hole nur Hunde, die ich vorher schon vermittelt habe“, sagt der Norderstedter, der mit Hunden aufgewachsen ist. Die Vermittlung geschieht über ein privates Netzwerk und per Mundpropaganda. Außerdem würden nur Hunde mit ordentlich ausgestellten Papieren nach Deutschland gebracht.

Viele Menschen aus den ukrainischen Kriegsgebieten unterstützten Philip Würpel (42) bei der  Rettungsaktionen für Hunde.
Viele Menschen aus den ukrainischen Kriegsgebieten unterstützten Philip Würpel (42) bei der  Rettungsaktionen für Hunde. © Philip Würpel | Philip Würpel

Tierheime werden mit Hunden aus der Ukraine nicht belastet

Auf die Unterstützung von hiesigen Tierheimen sind Philip Würpel und seine Freunde nicht angewiesen. Sie wissen, dass die meisten Heime ohnehin überlastet sind und gerade nach der Corona-Zeit kaum noch freie Plätze haben. Und wenn eine gegebene Zusage plötzlich wieder zurückgezogen wird, springt Familie Würpel ein und beherbergt einige Tiere vorübergehend in ihrem Haus am Henstedter Weg.

Fussel und Woloschka haben die Herzen der Familie erobert, wobei sich der Schäferhund als ein besonders treuer Begleiter erwiesen hat. „Der hat sich auf der Rückfahrt aus der Ukraine aus seinem Käfig befreit und den Kopf während der Fahrt von hinten auf meine Schulter gelegt“, sagt Philip Würpel. „Dort ist er dann geblieben.“ Und hat sich somit einen Freund fürs Leben auserkoren.

Wer Kontakt mit dem Verein „Hunderettung Ukraine“ aufnehmen möchte, kann das über diese Email-Adresse tun: info@hunde-rettung.org