Kiel/Henstedt-Ulzburg. Vor dem Kieler Landgericht sagte am Freitag der Segeberger AfD-Sprecher Julian Flak aus. Wie er die Auto-Attacke beurteilt.
Im Prozess um die Auto-Attacke auf Teilnehmende einer Anti-AfD-Kundgebung in Henstedt-Ulzburg vor drei Jahren wurde am Freitag der AfD-Sprecher des Kreises Segeberg, Julian Flak (41), als Zeuge im Kieler Landgericht vernommen.
Fast drei Stunden dauerte die Vernehmung Flaks. Nach seinen Angaben wurde der Angeklagte im Mai 2019 Mitglied der Partei. Am Tag nach der Autoattacke legte Flak dem Angeklagten den Austritt nahe.
Anlässlich des Auftritts des AfD-Funktionärs, der in diesem Jahr auch in den Vorstand von Landes- und Bundesgremien seiner Partei aufstieg, hatte ein linkes Aktionsbündnis zur Kundgebung vor dem Kieler Landgericht geladen.
AfD-Kreissprecher lernte den Angeklagten im Mai 2019 als neues Parteimitglied kennen
Kein Platz war mehr im Zuschauerraum frei, als der von drei Sicherheitsbeamten eskortierte Zeuge um 9 Uhr den Saal betrat.
Wie verhielt sich der zur Tatzeit 19-jährige Angeklagte in der Partei? Welche Standpunkte vertrat er? Zeigte er eine besonders aggressive Haltung im Umgang mit der gegnerischen Antifa, die rechte Parteitreffen immer wieder durch lautstarke Kundgebungen störte? AfD-Kreissprecher Julian Flak berichtete von einem halben Dutzend persönlichen Kontakten, die er in den anderthalb Jahren zum Angeklagten hatte.
„Außergewöhnliches Ereignis am Rande der Gegendemonstration“
Demnach war der heute 22-Jährige bei zwei Stammtischen, einem Mitgliedertreffen, einem Parteitag und ein bis zwei anderen Anlässen dabei. „Er stammte aus dem ländlichen Umfeld und wollte auf die Landwirte zugehen“, beschrieb der AfD-Politiker aus Kaltenkirchen die Interessen des jungen Mannes. Der sei sonst nicht weiter aufgefallen.
Das änderte sich schlagartig, als der Gastgeber der AfD-Veranstaltung mit dem damaligen Parteichef Jörg Meuthen von dem „außergewöhnlichen Ereignis am Rande der Gegendemonstration“ erfuhr. Flak ließ sich sofort die Handynummer des als Pick-up-Fahrer benannten Mitglieds geben. Am Telefon habe ihm der Angeklagte von einer Situation berichtet, bei der er sich „bedroht fühlte“.
+öö+ö+
Für den nächsten Tag hatte der Zeuge den jetzt wegen versuchten Totschlags angeklagten Fahrer und einen Begleiter zu sich nach Hause eingeladen. „Mein Ziel war herauszufinden, was passiert ist.“ Offenbar war dem AfD-Kreissprecher die Brisanz des Vorfalls schnell klar.
Nach eigenen Worten wollte er Schaden von der Partei abwenden. Gegenüber dem Angeklagten sprach er von einer „ziemlich dummen Aktion“.
Der Angeklagte stimmte seinem Parteiaustritt aus der AfD kommentarlos zu
Der Angeklagte habe seiner Bewertung des Vorfalls und dem Parteiaustritt kommentarlos zugestimmt. Er und sein Begleiter wirkten „bedrückt und angespannt“. Zur Vorgeschichte erklärten sie, man habe sich mit Aufklebern ausgerüstet unter die linken Gegendemonstranten gemischt. Dabei seien sie erkannt und aufgefordert worden, das Gelände zu verlassen.
„Eine Gruppe von vermeintlich Linken“, schloss Flak aus dem Gespräch, habe die AfD-Anhänger dann bis zu ihren geparkten Fahrzeugen verfolgt. Der Angeklagte und ein Begleiter seien in den Pick-up eingestiegen und losgefahren. Aber nicht auf die Fahrbahn, sondern auf den Bürgersteig. Auf die Frage nach dem Warum habe er vom Angeklagten „keine plausible Antwort“ bekommen. „Er sprach von einer Kurzschlussreaktion.“
AfD-Anhänger wurden „angegangen und bedrängt, aber nicht körperlich angegriffen“
In keinem der Gespräche, die der AfD-Chef nach dem Vorfall mit dem Fahrer führte, sei von körperlicher Gewalt die Rede gewesen. Doch drei Jahre später im Prozess erhob der Angeklagte eine Art Notwehr gegen rohe Gewalt zum Tatauslöser: Er will beobachtet haben, wie einer seine Freunde von Antifa-Verfolgern zusammengeschlagen wurde.
„Ich habe gedacht, die schlagen ihn gleich tot“, hatte der 22-Jährige im Juli vor der Jugendstrafkammer erklärt. Er habe leider „falsch reagiert“ und Gas gegeben. Nach dem Eindruck des Zeugen Flak wurden die AfD-Anhänger von ihren Gegnern zwar „angegangen“ und „bedrängt“, aber nicht körperlich angegriffen.
AfD-Kreissprecher nennt Aktion „kontraproduktiv“
Das „subversive Agieren“ der rechten Vierergruppe bei der Gegenkundgebung nannte Flak „kontraproduktiv“. Es sei kein Wunder gewesen, dass die Provokation auffiel. Sollte lediglich ein Platzverweis von dem als AfD-Revier betrachteten Bürgerhaus-Gelände die lebensbedrohliche Amok-Fahrt ausgelöst haben?
Wollten die von der Antifa schmählich vertriebenen Rechtsradikalen das Feld nach ihrer so genannten „Ortskontrollfahrt“ nicht kampflos räumen? Im Gefühl, den Kürzeren gezogen zu haben, setzte sich der Angeklagte ans Steuer seines hochmotorisierten VW-Pick-ups. Im Modellnamen „Amarok“ des tonnenschweren Allrad-Fahrzeugs ist das Wort Amok enthalten.
Für den Verteidiger steht als Tatmotiv „ein sogenanntes Hassverbrechen“ im Raum
Für Strafverteidiger Jens Hummel steht als Motiv nun „ein sogenanntes Hassverbrechen“ im Raum. Die Zeugenaussage des AfD-Chefs hat seinem Mandanten eher geschadet als genutzt. An einer weiteren Erkundung seiner damaligen Neonazi-Einstellung zum Umgang mit der gegnerischen Antifa hat der Anwalt kein Interesse.
Die für Freitag geplante Vernehmung der Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten versuchte Hummel mit allen juristischen Mitteln zu verhindern: Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes habe die Freundin ein umfassendes Schweigerecht, erklärte der Anwalt. Die Zeugin könnte sich zudem selbst belasten.
Jugendkammer beschließt Vernehmung der Ex-Freundin des Angeklagten
Der Verteidiger forderte zudem eine zehntägige Sitzungsunterbrechung, um sich auf die Lage einzustellen. Für den Fall einer Vernehmung der Lebensgefährtin beantragte er den Ausschluss der Öffentlichkeit „zu ihrem Schutz“. Staatsanwalt und Nebenkläger widersprachen. Ihnen geht es um die Aufklärung des Tatmotivs.
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Die Jugendkammer beschloss nach einer Beratungspause die Vernehmung der 22-jährigen Soldatin aus Kellinghusen. Über Politik habe man in der etwa zweijährigen Beziehung kaum gesprochen, sagte die Zeugin. Dass ihr Freund in der AfD gewesen sei, habe sie erst nach dem Vorfall erfahren. „Da war das schon Geschichte.“
Soldatin (22): „Es ist ja nichts Großartiges passiert“
Dem Angeklagten tue es sehr leid, was er ausgelöst habe, so die Zeugin weiter. Es sei ein riesiger Stress für ihn, für die Familie und natürlich auch für andere. Nach den Folgen für die Nebenkläger befragt, sagte sie, es sei „ja nichts Großartiges passiert“. Schließlich sei „niemand gestorben oder so“.