Kiel/Rickling. Lesbische Frau in Rickling aus stationärer Behandlung abgeschoben. Sozialministerium schließt das für künftige Fälle aus.
Wie geht es Mariem F.? Und welche Konsequenzen wird es geben? Diese Frage stellten sich in Schleswig-Holstein in den vergangenen Tagen viele Menschen, nachdem vor einer Woche öffentlich wurde, wie die 37 Jahre alte Tunesierin mitten in der Nacht aus dem Psychiatrischen Krankenhaus Rickling geholt und aus Deutschland nach Schweden abgeschoben wurde.
Einen „Skandal“ hatte die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Dietlind Jochims, dieses Vorgehen genannt, schließlich war die Frau nach einem Selbstmordversuch in stationärer Behandlung. Und: Weil sie lesbisch ist, drohen ihr in Tunesien Verfolgung und gesellschaftliche Ächtung.
Abschiebung: Krankenhäuser sollen sichere Orte sein
Der Fall im Kreis Segeberg hat auf Landesebene Diskussionen ausgelöst. Am Donnerstag schließlich reagierte Sozialministerin Aminata Touré. Ihr Ministerium setzte um, was Dietlind Jochims und andere Kritiker des Falls gefordert hatten: Krankenhäuser sollen sichere Orte für Menschen sein, dehnen die Abschiebung droht.
Mit Wirkung zum 10. August wurde der Rückführungserlass verändert. Damit werde klargestellt, dass der stationäre Krankenhausaufenthalt ein „Abschiebungs- oder Überstellungshindernis“ darstelle. Eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ reiche aus, um dies nachzuweisen. Es bestehe eine Aufklärungspflicht zur Feststellung – auch, wenn Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung vorliegen.
Mariem F.: Die 37-Jährige befindet sich in schwedischer Abschiebehaft
Touré hat damit die Schleswig-Holsteinische Regelung an entsprechende Erlasse aus Thüringen und Rheinland-Pfalz sowie einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angepasst.
In der Regel müssen die Behörden nun die Entlassung aus dem Krankenhaus abwarten, um beurteilen zu können, ob die Rückführung möglich ist. Dafür muss erneut die Reisefähigkeit durch einen Arzt festgestellt werden. Ergibt sich entgegen der Prognose ein weiterer stationärer Behandlungsbedarf, stehe dies dem Vollzug der Abschiebung entgegen.
Mariem F.: 37-Jährige befindet sich in schwedischer Abschiebehaft
Für Mariem F. kommt das alles viel zu spät. Sie sitzt unterdessen weiterhin in einem südschwedischen Abschiebegefängnis, das war am Mittwochnachmittag der Stand. Aber sie hat Freunde und Unterstützung. In Kiel engagierte sie sich in einer Gruppe für „Queer Refugees & Migrants“ (QUREMI). Diese ist ein Angebot des gemeinnützigen Vereins „HAKI“, einst 1974 als „Homosexuelle Aktionsgruppe Kiel“ gegründet. „Die Gruppe Quremi trifft sich einmal im Monat“, so Geschäftsführung Andrea Dallek.
In Schleswig-Holstein sei das der einzige ihnen bekannte Zusammenschluss für queere Geflüchtete. Je nach Herkunft handelt es sich um einen sehr sensiblen Bereich, der Verein bietet hier geschützte Räume zum Austausch. Die Hemmschwelle ist manchmal groß, Dallek berichtet, dass es auch Menschen gebe, die sich hier nicht hintrauen würden.
Nachts meldete sie sich noch ihrer bei Gruppe für „Queer Refugees & Migrants“
Für Mariem F. galt das nicht. Und deswegen gelang es ihr, sofort auf die Ereignisse in der Klinik aufmerksam zu machen. „Um 3 Uhr wurde sie abgeschoben, um 4 Uhr wusste Quremi Bescheid.“ Denn F. hatte sich per Handy sofort gemeldet, während das Landesamt für Migration und die Bundespolizei bereits im Krankenhaus waren. Später wurde ihr das Mobiltelefon abgenommen, in Schweden bekam sie ein neues, aber ohne Kamerafunktion.
Juristisch begründet sich die Abschiebung so: Die Frau hatte in Schweden einen Asylantrag gestellt, dieser wurde abgelehnt, sie floh nach Deutschland. Gemäß der seit 2014 für die EU geltenden Dublin III-Verordnung durfte sie in der Bundesrepublik keinen zweiten Asylantrag stellen, schließlich gab es bereits ein Verfahren, das für sie negativ ausging. Entscheidend ist der Erstaufnahmestaat. „Einen neuen Antrag kann sie in Schweden erst wieder in vier Jahren stellen“, sagt Dietlind Jochims.
„Rechtlich okay bedeutet nicht menschlich okay“
Doch darum geht es weder der Nordkirche noch dem Verein Haki. Sie weisen darauf hin, dass es ein Unding sei, mit jemandem in dieser Form umzugehen. „Rechtlich okay bedeutet nicht, dass es menschlich okay ist“, sagt Dallek. „Die Menschen in einer psychiatrischen Klinik wollen genesen, sie brauchen einen Schutzraum – und dann wird nachts eine Person mit Hilfe der Polizei abgeholt.“
Grundsätzlich gewährt Schweden Geflüchteten ein Bleiberecht, wenn diese in den jeweiligen Heimatländern verfolgt werden wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Die Details zu Mariem F. sind aber nicht bekannt, warum die Behörden in dem skandinavischen Land so entschieden haben, weiß Dallek nicht.
Worauf sie dafür umso deutlicher hinweist: Tunesien ist kein sicherer Ort für LSBTIQ-Menschen (Lesbische, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intersexuelle, Queere). Dort gebe es keine vergleichbaren Strukturen, in denen beispielsweise Mariem F. so leben könnte, wie sie möchte. „Das wäre dort ein krimineller Raum. Die einzige Möglichkeit ist, sich als lesbische Frau zu verstecken oder einen Mann zu heiraten.“ Sobald sie in dem nordafrikanischen Land ankommt, lasse sich nicht sagen, wie die Behörden mit ihr umgehen werden.
Abschiebung: Am Donnerstag wird in Kiel für eine neue Politik demonstriert
Über ehrenamtliche Kräfte des Kieler Vereins sei man in Kontakt mit Mariem F., so Andrea Dallek. Und es wird zumindest versucht, zu verhindern, dass sie in einen Flieger nach Tunesien gesetzt wird. „Es gibt in Schweden das Rote Kreuz, das UNHCR, es gibt Projekte, die Rechtsberatung anbieten. Die Frage ist, ob wir etwas machen können.“
Haki will den Druck aufrechterhalten. Am Donnerstag findet in der Landeshauptstadt ab 18 Uhr (Start: Europaplatz) eine Demonstration statt. Diese führt unter anderem auch am Sozialministerium vorbei. „Wir wollen das Thema nicht ruhen lassen“, verspricht Andrea Dallek.