Kreis Segeberg. Holger Möckelmann dokumentiert das Treiben in den Horsten. Bis Nachwuchs kommt, kann es dauern – manchmal 24 Jahre lang.

Holger Möckelmann hat eine große Pinnwand mitgebracht. Sorgsam packt er sie aus der Luftpolsterfolie aus und legt sie auf den Esstisch. An dem Brett heften zwei Landkarten. Sie zeigen beide den Kreis Segeberg. Anhand von kleinen Stecknadeln ist zu sehen, wo überall in der Region Storchenpaare gebrütet haben – im Jahr 1934 und 2023.

Die Dokumentationen zeigen: 1934 haben 65 Brutpaare 135 Jungstörche auf die Welt gebracht. In diesem Jahr waren es ebenfalls 65 Paare, die 113 junge Vögel ausgebrütet haben. Die Zahlen sind nahezu identisch. Wirft man allerdings einen Blick auf die Jahre dazwischen, wird klar, wie schlecht es lange Zeit um die Storchenpopulation stand.

Auf einer Pinnwand dokumentiert Holger Möckelmann, wo und wie viele Störche sich im Kreis Segeberg aufhalten.
Auf einer Pinnwand dokumentiert Holger Möckelmann, wo und wie viele Störche sich im Kreis Segeberg aufhalten. © Annabell Behrmann

Störche im Kreis Segeberg: „Die Population steigt“

1990 haben gerade einmal elf Storchenpaare im Kreis Segeberg genistet und 20 Jungstörche durchgebracht. 2010 gab es in ganz Schleswig-Holstein knapp 4800 Jungstörche weniger als noch 70 Jahre zuvor. Inzwischen scheint sich der Bestand aber wieder erholt zu haben. „Die Population steigt“, sagt auch Holger Möckelmann.

Der 71 Jahre alte Henstedt-Ulzburger ist in der Region als „Storchenvater“ bekannt. „Das ist meine Leidenschaft“, sagt er. „Ich habe eine chronische Begeisterung für die Natur.“ Möckelmann gehört der Arbeitsgemeinschaft Storchenschutz des Naturschutzbundes (Nabu) an und ist seit knapp 14 Jahren hauptverantwortlicher Storchenbeauftragter des Kreises. Die Tiere und ihr Verhalten beobachtet er genau. Deswegen hat er auch eine Vermutung, warum ihre Population wieder steigt. „Die Lebensbedingungen haben sich wieder verbessert. Viele Flächen in der Region wurden renaturiert“, erklärt Möckelmann.

Bruterfolg ist 2023 höher als noch im Vorjahr

Auch gebe es immer mehr Störche, die sich nicht mehr auf den weiten Weg nach Afrika machen, sondern in Spanien auf Mülldeponien mit reichlich Nahrung überwintern. Nach Deutschland sei es über die Westroute dann nicht mehr weit.

In diesem Jahr sind 113 Jungstörche flügge geworden, im Vorjahr waren es 84. Dabei kommt es allerdings immer wieder zu Todesfällen. Der Verlust liegt diesmal bei 20 Prozent (2022 waren es noch 30 Prozent). Dies entspricht einem Bruterfolg von 1,7 Jungstörchen pro Brutpaar (2022 lag die Quote bei 1,3). „Im Vergleich zum Vorjahr bin ich zufrieden. Hätten wir aber nicht so ein trockenes Frühjahr gehabt, dann wäre der Erfolg noch größer“, sagt Möckelmann.

Viele Störche verhungerten – zu wenig Regenwürmer

Zuerst sei der April viel zu kalt gewesen, dann der Mai und Juni zu trocken. „Die Störche sind verhungert. Regenwürmer sind eine wichtige Nahrungsquelle für sie und die haben ihnen gefehlt“, sagt der Experte. Die Würmer hätten sich wegen der Trockenheit in tiefere und feuchtere Bodenschichten verkrochen. „Da sind die Störche nicht rangekommen.“

Der Mangel an Nahrung wiederum hat dazu geführt, dass die Storcheneltern einige ihrer Kinder aus dem Horst geworfen haben, um zumindest einen Teil des Nachwuchses durchzubringen. Ohne Hilfe und Versorgung überleben die Kleinen nicht lange am Boden.

65 Storchenhorste gibt es im Kreis Segeberg

Holger Möckelmann sammelt Daten von jedem Storchenbrutpaar im Kreis Segeberg. Das sind insgesamt 65 Stück. Zudem gibt es 41 weitere in Hitzhusen und zehn im Wildpark Eekholt. Diese werden in der Statistik nicht mitgezählt, da den Vögeln hier Nahrung zugefüttert wird und sie nicht sich selbst überlassen sind. Möckelmann wäre es ohne die Hilfe der ansässigen Storchenhorstbetreuer nicht möglich, jedes Jahr zum Abschluss der Storchensaison einen detaillierten Bericht zu schreiben.

Das Ehepaar Birte und Björn Brechlin hat auf seinem Grundstück in Naherfurth einen Storchenhorst errichtet. Storchenbeauftragter Holger Möckelmann (l.) kommt die Familie besuchen und schaut nach den drei Jungstörchen.
Das Ehepaar Birte und Björn Brechlin hat auf seinem Grundstück in Naherfurth einen Storchenhorst errichtet. Storchenbeauftragter Holger Möckelmann (l.) kommt die Familie besuchen und schaut nach den drei Jungstörchen. © Annabell Behrmann

Familie Brechlin hat auf ihrem Grundstück in Naherfurth 2015 einen Mast aufgebaut. In diesem Jahr haben dort zum ersten Mal Störche genistet, obwohl der Horst direkt an der vielbefahrenen B 432 liegt. „Ich bin ein Naturmensch“, sagt Björn Brechlin. Von seinem Platz am Esstisch kann der 57-Jährige durch das Fenster einen Storch beobachten, der gerade auf dem angrenzenden Feld einen Spaziergang macht. „Die Tiere faszinieren mich einfach.“

Mann in Daldorf wartete 24 Jahre auf den ersten Storchennachwuchs

Zig Fotos von den Störchen hat er auf dem Handy gespeichert. Der Familienvater hat sie aus vielen verschiedenen Perspektiven fotografiert. „Ich erfreue mich an den Bildern“, sagt er. Seine Frau Birte Brechlin hat genau notiert, wann das Storchenpaar in Naherfurth angekommen ist und zu welchem Zeitpunkt sie zum ersten Mal die Köpfe der drei Jungtiere in dem Nest entdeckt haben. „Das war Ende Mai“, sagt sie.

Familie Brechlin hat acht Jahre lang darauf gewartet, dass endlich Störche vor ihrer Haustür brüten. In Daldorf musste sich ein Mann allerdings noch viel länger gedulden. 24 Jahre, nachdem er den Storchenhorst in unmittelbarer Nähe zu einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgestellt hatte, hat dieses Jahr nun endlich ein Brutpaar drei Junge bekommen.

Drei Jungstörche wohnen derzeit bei Familie Brechlin in Naherfurth auf dem Grundstück.
Drei Jungstörche wohnen derzeit bei Familie Brechlin in Naherfurth auf dem Grundstück. © Annabell Behrmann

„Storchenvater“ wird auch nächste Brutsaison genau dokumentieren

„Dass der Platz endlich angenommen wurde, kann auch mit dem verbesserten Lebensraum zusammenhängen“, mutmaßt Holger Möckelmann. Er ist selbst gelernter und studierter Landwirt. Inzwischen bekommen Bauern strengere Auflagen, um die Natur bestmöglich für die Tierwelt zu erhalten.

Auch im nächsten Jahr wird der „Storchenvater“ die Brutsaison genaustens dokumentieren. „Das macht mir einfach Spaß“, sagt er. Liebevoll mit Stecknadeln wird er wieder auf seiner Pinnwand markieren, wo Störche im Kreis Segeberg brüten – und wie sich die Population der Vögel, die ihn so sehr faszinieren, entwickelt.