Norderstedt. Nach wie vor Lieferengpässe: Herzmittel oder Antibiotikasäfte fehlen in Norderstedt. Wie Apotheker die Lücken schließen.

Im Winter schlugen Apotheker Alarm, Eltern waren verärgert: Medikamente für Kinder waren nicht zu bekommen, vor allem fehlten Fiebersäfte. Im April hat die Bundesregierung ein Gesetz zur Bekämpfung der Lieferengpässe von Kinderarzneimitteln verabschiedet. Verbessert hat sich seitdem nur wenig. Bei vielen Medikamenten herrscht noch immer der Mangel. Das ergibt eine Umfrage des Abendblatts bei den Apotheken in Norderstedt.

Mit dem Gesetz will der Bund die zunehmende Abhängigkeit von Produzenten im außereuro­päischen Ausland aufheben, eine wesentliche Ursache für die Engpässe. Indem die Preisbildung gelockert wird, sollen Hersteller wieder nach Deutschland und Europa gelockt werden.

Norderstedt: Medikamenten-Mangel – „Neues Gesetz bringt nichts!“

.„Das neue Gesetz hat sich bei uns noch nicht ausgewirkt. Deswegen haben wir leider nicht mehr Medikamente“, sagt Ricarda Collin von der Spitzweg-Apotheke in Norderstedt. Antibiotika-Säfte seien nur schwer zu bekommen, Fiebersäfte teilweise gar nicht lieferbar. Auch bei Antibiotika, Herzmedikamenten und Ozempic, einem Arzneimittel für Menschen mit schwer einstellbarem Diabetes Typ 2, gebe es Engpässe.

Insgesamt fehlten 195 Medikamente. „Da müssen wir oft rumtelefonieren, um sie zu beschaffen“, sagt die Pharmazeutisch-technische Assistentin. Sie blickt mit Sorge auf den Herbst und Winter, wenn größere Krankheitswellen bevorstehen und es weiterhin zu Engpässen bei der Versorgung der Patienten komme: „Das kann problematisch werden.“

Medikamenten-Mangel: Auch Blutdruck- und Kreislaufmittel fehlen

Auch Matthias Hergert, Inhaber der Norderstedt-Apotheke, sieht das Lieferengpassbekämpfungsgesetz kritisch: „Für die tägliche Praxis hat es nichts gebracht, es herrscht nach wie vor ein Mangel an Arzneimitteln, der uns vor immer neue Herausforderungen stellt. Mal fehlt das eine, mal das andere Medikament.“ Weiterhin gebe es Engpässe bei Arzneimitteln für Kinder, aber auch Blutdruck- und Kreislaufmittel stünden auf der Mängelliste.

Auf der anderen Seite habe sein Team die Situation im Griff: „Nach wie vor können wir unsere Kunden angemessen versorgen.“ Das sei aber zum Teil mit enormem Aufwand verbunden, die Beschäftigten arbeiteten immer wieder an der Belastungsgrenze, um die Versorgungslücken zu schließen.

Medikamenten-Mangel: 50 Cent für besonderen Aufwand bei der Beschaffung

Ist ein Arzneimittel nicht verfügbar, werde mit dem Arzt telefoniert, ob der Patient ein anderes Medikament bekommen kann, oder beim Großhandel nachgefragt. Dafür gesteht das neue Gesetzt den Apotheken 50 Cent pro Fall zu – viel zu wenig, wie Apotheker Hergert sagt: „Dieser Betrag ist bei weitem nicht kostendeckend.“

„Das neue Gesetz, dass die Lieferengpässe beseitigen soll, greift viel zu kurz und hat für uns noch keine Entlastung gebracht“, sagt auch Stephanie Suhrbier, Inhaberin der Erlen-Apotheke in Norderstedt. Es herrsche nach wie vor eine katastrophale Situation bei der Patientenversorgung.

Rund 400 Medikamente stehen in der Erlen-Apotheke auf der Mängelliste

Stephanie Suhrbier, Inhaberin der Erlen-Apotheke in Norderstedt: „Ein bestimmtes Asthma-Notfallspray kann der Hersteller frühestens nächstes Jahr liefern.“
Stephanie Suhrbier, Inhaberin der Erlen-Apotheke in Norderstedt: „Ein bestimmtes Asthma-Notfallspray kann der Hersteller frühestens nächstes Jahr liefern.“ © Annabell Behrmann

Zwar habe sich die Lage bei den Fiebersäften für Kinder etwas entspannt, dafür fehlten Antibiotika-Säfte, knapp könne es auch beim Asthma-Notfallspray Sultanol werden. „Der Hersteller hat uns mitgeteilt, dass er frühestens nächstes Jahr liefern kann“, sagt die Apothekerin. Ein Blick auf ihre Arzneimittelliste verrät: Es fehlten rund 400 Medikamente.

Das Gesetz zur Verhinderung von Lieferengpässen sieht auch vor, dass Apotheken 50 Cent pro Medikament bekommen, wenn sie es mit Mehraufwand besorgen, aber: „Wir können diese 50 Cent noch gar nicht abrechnen, weil die Software erst installiert werden muss“, sagt Stephanie Suhrbier. Der normale Weg sei doch, dass die Politiker erst alle Voraussetzungen schaffen und dann beschließen.

Norderstedt: Medikamenten-Mangel – „Neues Gesetz bringt nichts!“

Dr. Felix-Alexander Litty, Geschäftsführer der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, hält das neue Gesetz für „einen Schritt in die richtige Richtung, aber es ist letztlich nur ein Pflaster auf das Problem“. Litty vermisst „den großen Wurf“, einen Befreiungsschlag für den regulierten Arzneimittelmarkt.

Zwar habe Gesundheitsminister Lauterbach die Preisbildung für Kindermedikamente gelockert. Sie fallen nicht mehr unter die Rabatt- und Festbetragsregeln – die Hersteller bekommen von den Krankenkassen einen Festbetrag oder handeln mit ihnen Rabattverträge aus. „Die vom Gesetzgeber beschlossene Lockerung müsste auf andere Medikamentengruppe ausgeweitet, die Festbeträge dynamisiert werden, damit die Hersteller höhere Kosten bei der Produktion ausgleichen können“, sagt der Geschäftsführer der Apothekenkammer.