Norderstedt. Der Hamburger Schriftsteller las im Norderstedter Stadtpark. Das Publikum bezog er auf besondere Art mit ein.
Bestes Lesewetter unter blauem Himmel, aber bei gefühlt zehn Grad. Trotzdem hielten die zirka 80 Zuhörerinnen und Zuhörer zwei Stunden aus, um Saša Stanišić zuzuhören. Der Schriftsteller aus Hamburg mit Geburtsort im ehemaligen Jugoslawien las auf Einladung der Stadtbücherei im Norderstedter Stadtpark aus seinem Erfolgsroman „Herkunft“ und stellte sein neustes Buch „Wolf“ vor, das Mobbing unter Jugendlichen nicht nur thematisiert, sondern auch Wege zu Problemlösungen bietet.
In allem aber bezog der 45-Jährige das Publikum ein. So wie er in „Herkunft“ der Leserschaft mehrfach die Wahl lässt, auf welcher Seite sie weiterlesen wollen, so nannte er bei seiner Lesung die Titel von zwei Kapiteln und ließ abstimmen, welches er lesen sollte. In fast alle Geschichten bringt Saša Stanišić zudem eine liebevoll ironische Note als versöhnliches Element, dass jedem die Chance gibt, alle Protagonisten zu verstehen und zu respektieren.
Norderstedt: Saša Stanišić stellte sein neues Buch „Wolf“ am Bustan vor
Ort der Lesung war der Bustan, der biblische Obst- und Weingarten im Norderstedter Stadtpark. Stanišić rezitierte viele Texte auswendig, gestaltete sie mit beredter Mimik und temperamentvoll den Text beschreibender Gestik fast szenisch, beispielsweise in „Die Stafette der Jugend“, bei der er einer der Stafettenträger war, aber dringend pinkeln musste.
Ein anderes Beispiel: Das Kapitel „Einander ausreden lassen“, in der er sich als Gast in der arabischen Familie seines Freundes Rahim beschrieb, oder „Näher am Nordpol“, in dem der Lehrer Zoki die Schülerinnen und Schüler auffordert, sich in die Rubriken Moslem, Serbe, Kroate einzutragen. Die wehren sich und setzen ihrerseits neue Rubriken, beispielsweise „Weiß nicht“, „Jugoslawe“ bis zu „Fickt euch alle“. Wenige Monate später mussten alle Muslime eine weiße Armbinde tragen.
In „Herkunft“ werden die mörderischen Anschläge in Rostock und Solingen thematisiert
In seinem Buch „Herkunft“ thematisiert Saša Stanišić im Kapitel „Hängst sie!“ den mörderischen Überfall von Neonazis auf ein Wohnheim für Vietnamesen in Rostock am 24. August 1992 und den Nazi-Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç in Solingen am 29. Mai 1993, bei dem fünf Frauen und Mädchen ermordet wurden.
Während „Herkunft“ im Luchterhand-Verlag (366 Seiten, 22 Euro), ist Saša Stanišić’ neustes Buch „Wolf“ im auf Kinder- und Jugendbücher spezialisierten Hamburger Carlsen-Verlag erschienen (160 Seiten, 9,99 Euro). Es ist Stanišićs erstes Kinderbuch. Darin erzählt er von Angst und dem Gefühl des Verlassenseins, macht aber gleichzeitig Mut, sich gegen An- und Übergriffe, gegen Gemeinheiten, gegen Mobbing zu wehren. Er schickt seine jungen Leserinnen und Leser in ein Ferienlager in einem Wald.
Ein Junge wird gemobbt, ein anderer beobachtet – aber steht ihm aus Angst nicht bei
Saša Stanišić erzählt das Geschehen aus der Ich-Perspektive, was dem Buch etwas Autobiografisches, tatsächlich Erlebtes und damit Vertrauenswürdiges gibt. Ein Junge wird gemobbt, ein anderer beobachtet die Übergriffe, steht ihm aber aus Angst nicht bei. Als die Situation zu eskalieren droht, taucht auch noch der Wolf auf. Ist er Sinnbild dafür, sich zu wehren? Aber wie?
Das Buch für Jugendliche ab elf Jahren zeigt, wie schmal die Grenze zwischen Anderssein und Ausgrenzung ist. Der Carlsen-Verlag bietet für Mobbing auch entsprechendes Unterrichtsmaterial für Schulen an.
Norderstedt: Woran der Schriftsteller aktuell arbeitet
„Ich wollte mich der Herausforderung stellen und Möglichkeiten aufzeigen, wie mit Ausgrenzung umgegangen werden kann“, sagte der Autor, der zuvor intensiv recherchiert und auch mit Neun- bis 14-Jährigen gearbeitet hat. „Lassen Sie die Geschichte bis zum offensichtlichen Mobbing lesen und dann die Schülerinnen und Schüler beschreiben, wie es weitergehen könnte“, riet Saša Stanišić einer Lehrerin aus dem Publikum.
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Jetzt recherchiert Stanišić für sein nächstes Buch. Er will den Klima-Wandel thematisieren: „Doch wie erzählt man das, um die Menschen zu gewinnen, dem Klimawandel entgegen zu treten?“